Käpt’n, wir sinken

Reportage
zuerst erschienen im August 2001 in brand eins
Na, Jungs, jetzt mal nicht die Nerven verlieren. Das Schiff sinkt schließlich schon seit mehr als zehn Jahren, es heißt eben nicht umsonst „Titanic“. Die ersten Fahrten des Luxusdampfers der deutschen Satire ab 1979 verliefen zwar prächtig, doch seit einigen Jahren läuft vor allem das Anzeigengeschäft schleppend. Die Mannschaft schert das wenig: Man sieht sich als Piraten, vogelfrei. Geld interessiert diese Leute nicht. Und so schlingert Deutschlands wichtigste Humorinstitution immer weiter durch das stürmische Zeitschriftenmeer und diese endlose Welt voller Marine-Metaphern

Frankfurt, die Redaktion von „Titanic“. Im ersten Stock eines Hauses, das Journalisten gern Villa nennen. Weil: „Titanic“ und Villa, das ist so ein schöner, überraschender Kontrast. Man muss seine Fantasie aber schon arg zwingen, um das Haus, in dem noch ein Zahnarzt und einige kleine Firmen untergebracht sind, als Villa wahrzunehmen. Martin Sonneborn, im Sinne des Presserechts verantwortlich für die deutsche Satireinstitution, kommt in den hinteren unaufgeräumten, etwas angegammelten Redaktionsraum, in dem eine Frau und drei Männer sitzen und arbeiten und reden. Die Redaktion ist stilistisch ein Alt-68er-Jeans-Gelände, allerdings mit deutlich jüngerem Personal, insgesamt elf Leute. Der hintere Raum ist eher die grafische Ecke der Redaktion, weniger die Textabteilung, wobei die Trennung nicht besonders stark ist. An der Wand stehen vier große Maschinenpistolen aus Pappe für eine Fotoproduktion, daneben liegen Papp-Bomben. Sonneborn sagt: „Hannelore Kohl ist tot. Selbstmord.“ Alle sind ruhig. Er spricht weiter, mit seiner netten, friedlichen, Vertrauen hervorrufenden Stimme, die ihm bei den „Titanic“-Telefonaktionen hilft, Politiker und andere Figuren des öffentlichen Lebens reinzulegen: „Wir haben damit nichts zu tun.“ Stephan Rürup, ein Zeichner, riesengroß, mit blinkenden Augen und einem Kinnbart, von dem drei lange Zöpfe abgehen, sagt: “ Wenn Sonnebom das sagt, stimmt’s.“ Von da an herrscht Trauer in der Redaktion, ehrliche, echte, aber nicht übertriebene Trauer. Sie lieben, was sie hassen. Sie leiden an der Welt und ihren seltsamen Bewohnern, sind jedoch traurig, weil jemand Selbstmord verübt hat. Es fallen keine abfälligen Bemerkungen, kein Witz. Sie lesen die Nachrichten der Online-Dienste, sagen noch, dass das ja wirklich eine Scheißkrankheit war. Mehr nicht.

Einige Minuten später: Chefredakteur Sonneborn, an seinem Schreibtisch vor der Wand mit den „Titanic“-Titelbildern der vergangenen sieben Jahre sitzend: „Jetzt kann man da nichts machen, das muss sich erst mal einen Tag setzen. Das ist ein professioneller Reflex, nicht gleich loslegen.“ Vielleicht wird „Titanic“ gar nichts aus dem Selbstmord Hannelore Kohls machen. Am nächsten Tag sagt er: „Es ist interessant, was passiert. Wenn man sofort einen Witz macht, ist man erschrocken, wie schnell das geht, automatisch. Also lässt man es. Wenn man aber sieht, wie die Presse und die Politiker reagieren, dann denkt man, dass man doch etwas machen muss, etwas, das nicht so verlogen ist.“ Ich stelle mir die Hektik in den Redaktionen anderer Zeitungen vor, die Professionalität, den Zynismus: Wie machen wir da eine gute Geschichte draus, wie viel Seiten kriegt sie, was können wir den Leuten für ihr Geld geben, wie lange dürfen wir die Schlusszeiten rausschieben? Und während ich mir das vorstelle, klingelt das Handy von Daniel Josefsohn, dem Fotografen, der mit mir bei „Titanic“ ist. Ein Fotoredakteur erzählt ihm, Hannelore Kohl habe Selbstmord verübt, und fragt, ob er gute Bilder von ihr habe. Die Frage ist wirtschaftlich motiviert. Mit dem Tod der Frau wird in den nächsten Tagen und Wochen Geld verdient.

Geld interessiert die Leute bei „Titanic“ überhaupt nicht. Ernsthaft. „Wir schätzen nichts wirtschaftlich ein, nichts“, sagt Thomas Hintner, ein Redakteur. Er erklärt, dass vor ein paar Jahren jeder Pfennig umgedreht werden musste, jetzt jede Mark. Es gebe keinen Etat, sie müssen manchmal Seiten selbst machen, um die 600 Mark Seitenhonorar zu sparen. Die Aktion vor kurzem, als sie nach Luzern fuhren, die CDU ein bisschen bloßstellen, sei sehr teuer gewesen: “ 300 Mark für einen Mietwagen.“ Dort gaben sich „Titanic“-Mitarbeiter als Vertreter der Credit Suisse aus, die ein von einem Herrn Leisler-Kiep angelegtes Drei-Millionen-Konto entdeckt hatten und nun drei zur Schadensbegrenzung herbeigeeilte CDU-Männer trafen: den Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann, den parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Eckart von Klaeden und einen stellvertretenden Irgendwas des CDU-Fraktionsbüros. Fotograf Josefsohn und die „Titanic“-Leute gehen am nächsten Tag in Anzügen in den Frankfurter Messe-Turm, um Fotos in schnieker Atmosphäre zu machen. Dort sehen sie, dass die Credit Suisse ein Stockwerk belegt, fahren hoch, gehen rein, rufen „Steuerfahndung“ und machen so lange Fotos, bis sie rausgeworfen werden. Daniel Josefsohn ist begeistert. Für die „Titanic“-Leute war es eher Routine: „Nett.“ „Doch, recht lustig.“ „Gar nicht mal so schlecht“.

Viel Geld verdient hier niemand, also machen alle Nebenjobs, für die „Bunte“ oder für Gottschalk

Sonneborns Vorgänger, Oliver Maria Schmitt, einige Tage später in Stuttgart. Er arbeitet an der Premiere seines Musicals „I want to hold your Hendl“ im Theaterhaus, die Autobiografie des Wienerwald-Gründers Friedrich Jahn. Er ist in Hektik, sprudelt nur so Sätze, die Weltschmerz und Sarkasmus als Reaktion auf die Dummheit in Deutschland ausdrücken. Sagt, was Sonneborn auch gesagt hat: „Die CDU-Aktion, das war doch investigativer Journalismus, das wäre eigentlich ein „Spiegel-Job gewesen. Die haben aber die Kreativität nicht. Von dem, was bei „Titanic“ an einem Tag aufkommt und wieder verworfen wird, kann eine Werbeagentur einen Monat leben. Werber und Journalisten lesen und lieben uns, wir dürfen das machen, was sie gern tun würden und nicht dürfen.“ Geld ist kein Motiv bei „Titanic“, alle bekommen das gleiche Gehalt, 5800 Mark. Es gibt halbe Stellen, viertel Stellen, dreiviertel Stellen. Und wenn einer eine siebenachtel Stelle brauchte, gäbe es die auch. Ein „Stern“-Autor, der mal hier war, habe einen moralischen Anfall bekommen und die Redaktion zum Essen eingeladen. Auf Spesen. „Gsella aß ein Schnitzel, der Rest Bockwürste mit Kartoffelsalat. Dazu viel Bier. Der wollte, dass wir uns mal richtig satt essen“, erzählt Sonneborn.

Für das Personal ist ausschließlich die Redaktion zuständig, nicht der Verleger. Das sorgt für Freiheit: Wer es will und braucht, verdient sich etwas nebenher. Als Thomas Gottschalk einen Versuch als Late-Night-Moderator bei RTL startete, verpflichtete er zwei „Titanic“-Redakteure, die nebenbei für viel Geld, richtig viel Geld, mit Witz aushalfen. RTL-Samstag-Nacht fragte auch an, bevor die Sendung gestartet wurde, aber Hugo Egon „Tutti Frutti“ Balder, der Produzent, sei zu unsympathisch gewesen. Für die „Bunte“ in München haben „Titanic“-Leute einige Zeit eine Doppelseite Komik für ordentlich Honorar geliefert. Und jeder „Titanic“-Mitarbeiter hat ein paar Bücher veröffentlicht oder in der Planung. Die Redaktion ist ein Pool, aus dem sich jeder bedienen will, der versucht, lustig zu sein. Eine Talentschmiede.

Und auch eine akademische Keimzelle. Ich habe ein paar gefragt, was sie studiert und worüber sie ihre Magisterarbeit geschrieben haben: Sonneborn über „Titanic“. Oliver Nagel über Ror Wolf, einen Schriftsteller aus dem Umfeld von „Titanic“. Klaus Cäsar Zehrer, der Praktikant, schreibt eine Promotion über den „Titanic“-Mitgründer Robert Gernhardt („Widerwärtig, widerwärtig / der Erwin ist schon wieder fertig / denkt die alte Machosau / denn gar nicht an das Glück der Frau“). Mark-Stefan Tietze schrieb in Kommunikationswissenschaften eine Arbeit über Humorkommunikation. Dann habe ich aufgehört zu fragen.

Die Auflage des Heftes, so zwischen 50000 und 60000, ein Drittel davon Abos, ist der Redaktion egal, völlig egal. Ob Anzeigen geschaltet werden auch. „Wir kümmern uns wirklich nicht um die Finanzen“, sagt Sonneborn wieder. Das Redaktionsstatut ist festgeschrieben und sicher. Die Redaktion bestimmt den Chef selbst, sie kann machen, was sie will. Der Verlag darf nicht reinreden. Das ist historisch bedingt: Die fünf Leute, die „Titanic“ gründeten und heute noch 25,1 Prozent besitzen, hatten bei „Pardon“ angefangen, einer erfolgreichen Satire-Zeitschrift, die irgendwann den Bach runterging, weil der Verleger, Chefredakteur, Herausgeber und Besitzer Hans Nikel abhob. „Der machte zum Schluss Realsatire“, erzählt Oliver Maria Schmitt. Nikel habe seitenweise beschrieben, wie er „yogisch fliegt, ernst gemeint, Fliegen durch Meditation, der glaubte das tatsächlich“. Die fünf „Titanic“-Gründer wollten also eine garantierte Unabhängigkeit für ihre Grundhaltung „Ein klares Ja zum Nein!“ Heute kommen sie einmal im Monat vorbei, sind nicht mit allem einverstanden, lassen die Redaktion aber machen.

Finanziell ging es der „Titanic“ schon besser. Der Start war fulminant. Das Blatt kam 1979 auf den Markt, im gleichen Jahr wie die „Taz“ und die Grünen. Schmitt: „Die ‚Taz‘ muss heute um Abos betteln, die Grünen haben einen Krieg begonnen, um von ihren Problemen abzulenken. Uns geht es noch am besten.“ „Titanic“ finanziere sich, mache aber nicht viel Gewinn, das sei eine schöne Nischenexistenz. „Wenn es um viel Kohle ginge, gäbe es mehr Druck. Es gibt einen Apparat, der vor sich hin schlingert, aber man muss nirgends um Erlaubnis fragen, alles geht. Nur so kann es funktionieren, im Kumpelino-Kreis, wie in einer Kommune, einer Wohngemeinschaft.“ Eine Zeit lang war die Redaktion tatsächlich eine WG, inzwischen wohnen die Mitarbeiter getrennt, gehen nur noch abends zusammen trinken. Der Verleger, der das alles mitmacht, muss einfach verrückt sein. „Wer rechnen kann, tut sich das natürlich nicht an.“ Grüner + Jahr wollte „Titanic“ mal kaufen, Springer auch. Als schöne Perle im Portefeuille, zum Angeben. Aber: Da waren immer diese 25,1 Prozent. Die wollten die Großen nicht hinnehmen. Deshalb blieb „Titanic“ selbstständig.

Die „Titanic“-Verleger, eine seltsame Spezies: Der erste vermarktete Vietnam, der zweite guten Kaffee

Der „Titanic“-Verlag ist in Berlin, die Redaktion in Frankfurt. Der Verlag, das lerne ich später, ist so durchgeknallt wie die Redaktion, nur anders. Der Verlag war schon immer eine Stelle für Verrückte. Als „Titanic“ in den achtziger Jahren bei einer Auflage von über 100 000 Exemplaren mit viel Werbung richtig Geld brachte, startete der Verleger Gerhard Sondermann zwei andere Projekte: „Nam“, ein Monatsheft über den Vietnamkrieg, das ein Problem hatte - es gab zu wenig Vietnam-Veteranen in Deutschland, also zu wenig Käufer. Außerdem brachte er „Win“ auf die Rampe, Wirtschaft im Norden, zu einer Zeit, als es in Friesland nicht viel davon gab. Zwei Flops, finanziert von „Titanic“. Sondermann ist heute ein Star, als Figur in „Titanic“, auf den Sondermann-Seiten, in denen Witze auf Kosten eines trotteligen Bürohengstes gemacht werden. Der echte Sondermann tauchte, nachdem er „Titanic“ für eine Mark verkauft hatte, im Impressum der damals neuen Zeitschrift „Gala“ als geschäftsführender Herausgeber auf, 1995 machte er sich als Verlagsberater selbstständig.

Sondermanns Nachfolger wurde, für eine Mark, Erik Weihönig. Auch ein interessanter Typ, nicht bereit, sich interviewen zu lassen oder Auskünfte zu geben. Schwer beschäftigt. Dazu später Details. Weihönig war erfolgreicher Galerist in Berlin, dann Gründer der Elefantenpresse, ein lange gut laufender Buchverlag. Irgendwann kaufte er von der gewerkschaftseigenen Büchergilde Gutenberg deren 24 Läden. Er übernahm den „Freitag“, die „Junge Welt“, noch ein paar andere Zeitungen aus der alten DDR und eben „Titanic“, denn Weihönig, sagen Sonneborn und dessen Vorgänger Schmitt, habe ein linker Pressemogul werden wollen. Das sei dessen Traum gewesen. Ein gescheiterter Traum: Weihönig hat „Titanic“ mal für eine Million Mark zum Kauf angeboten, aber niemand wollte zugreifen, wegen der 25,1 Prozent. Inzwischen ist er Großimmobilienbesitzer in Berlin, hat eine alte DDR-Druckerei übernommen und eine Beteiligung an der Geschäftsidee, das Berliner „Cafe Einstein“ zu franchisen, also eine Art neumodische Tchibo-Kette in Deutschland aufzubauen, bevor amerikanische Konzerne das Land mit Coffee Shops überschwemmen.

Dazu ist nichts in den Archiven, Weihönig sagt dazu nichts, die Informationen sind von Schmitt, Sonneborn und von Patric Feest, dem heutigen Verlagsleiter, der einiges erzählt, dann aber Wert darauf legt, nichts gesagt zu haben. Schmitt jedenfalls sagt über Weihönig: „Auf der Buchmesse war er mal an unserem Stand mit einer tollen Espressomaschine. Kaffee kann er wirklich kochen, er hat den besten auf der ganzen Buchmesse gemacht.“ Außerdem sei Weihönig „ein Kämpfer, Konfliktbereitschaft hat er“. Wenn jemand, was oft vorkommt, „Titanic“ verklagt, ist Weihönig, der eigentlich nur Ärger mit dem Laden hat, eine feste Mauer. Schmitt über Weihönig: „Vermutlich kann man in Berlin damit angeben, dass man Verleger von „Titanic“ ist. Außerdem verdient er ja etwas daran, ich schätze mal, dass ihm 10 000 Mark im Monat bleiben. Und für die muss er nicht viel tun.“ Ein Besuch im Verlag: Der Leiter redet gern und viel, über Mao, Microsoft, die Börse. Der Chef sagt nix.

Die „Titanic“-Redaktion in Frankfurt mag Weihönig nicht so. Ab und zu bringt sie ihn ins Blatt, schiebt ihm Gaga-Zitate unter, druckt ein Foto eines Jaguars, er hat einen, sagt Sonneborn, er hat wahrscheinlich einen, sagt Schmitt, er hat keinen, das ist ein Kunstprodukt der Redaktion, sagt Feest. Es gibt in „Titanic“ ein Bild eines lachenden Mannes mit der Unterzeile „Börsenguru Weihönig: Das ABC der Geldwäsche“. Thomas Hintner, seit zehn Jahren „Titanic“-Redakteur, redet nicht mit Weihönig. „Das macht schon Sonneborn.“ Weihönig taucht ab und zu überraschend in der Redaktion auf, “ trägt Schwarz und sagt eigentlich nur: Wie sieht es denn hier aus? Einmal sagte er: Wie seht ihr denn aus?“ Es sei so: „Wir machen den Inhalt und haben uns jemanden gesucht, der das Geld dazu gibt.“ Ich sehe Weihönig ganz kurz, er trägt eine blaue Jeans und ein Hemd, na ja, es ist schwarz. Er macht die Tür zu, will nicht reden. Zwei Tage hatte ich den „Titanic“ -Verlag in Berlin belagert. Frau Fuchs, die Sekretärin, hatte mir am Telefon gesagt: Ihre Anfrage habe ich weitergeleitet, aber da gibt es keine Antwort. Kommen Sie einfach mal vorbei, am besten nachmittags, morgens sind die Herren nicht hier. Ich kam um drei, sie waren nicht da, ich kam um halb vier, Feest, der Verlagsleiter, war da.

Er redete zwei Stunden, viel über Mao, Che Guevara, über den Zustand der Welt, über Microsoft, die Börse, immer in Bezug auf „Titanic“ und den Zustand der Zivilisation, verbat sich aber, dass ich mitschreibe. Sagte mehrfach: Wir wollen keine Selbstdarstellung. „Titanic“ ist die Redaktion, nicht der Verlag, wir wollen nicht in die Öffentlichkeit. Ja, „Titanic“ finanziere sich selbst. Weihönig sei Kommandantist. Otto Waalkes und Horst Wendlandt, der Filmproduzent, auch die fünf Gründer, alle seien in der großen Krise eingesprungen. Die hätten das von der Steuer abschreiben können. Dann einige Sätze über die Dekadenz des deutschen Steuerrechts. Er verspricht, Weihönig zu fragen, ob er reden wolle. Weihönig macht in Kaffee, er könne vielleicht Publicity gebrauchen. Dann ein Monolog darüber, dass Medienberichterstattung heute nicht mehr so viel bringt. Zu viele Medien. Auch Prozesse seien für „Titanic“ keine Werbung mehr. Er sagt noch, dass das Aus bevorstand, als Björn Engholm sich 40 000 Mark von „Titanic“ erprozessierte, und er und Weihönig Bürgschaften abgegeben hätten. Die anderen nicht. Deshalb sei er ihm dankbar. Man könne sagen, was man wolle, aber Weihönig habe seinen Teil getan. Über das Blatt sagt er noch: Wenn ein- oder zweimal im Jahr gute Satire drin ist, ist das Ziel erreicht. Immer schwingt mit, früher war alles besser.

Frau Fuchs kommt rein in das kleine Büro, in dem kaum Platz ist für Feests Kick-Board. Die beiden reden darüber, was morgen früh um neun gemacht werden muss. Am nächsten Morgen kommt Feest um 15.30 Uhr. Frau Fuchs sagt: Das ist normal, nein, Weihönig ist auch nicht da. Die beiden schenken sich da nichts. Sie wüsste, wenn der da ist, den würde man nämlich hören. Ganz anders als Feest. Der sieht aus wie Iggy Pop, verlebt, er hat so was Trauriges im Blick, graue halblange Haare, erzählt wieder über „Titanic“, sagt wieder: nicht mitschreiben, wie am Vortag steht er die ganze Zeit, hat immer eine Gaulloise zwischen den Fingern, die Hände immer in der Luft, immer in Bewegung, immer sehr philosophisch. Einmal sagt er: „Wir leben im Jahr 2001.“ Leute, die früher linke Bücher machten, seien heute im Kaffeegeschäft, das sage doch alles.

An der Eingangstür stehen übrigens folgende Firmen: Schmidt und Partner GbR, BBWe Haus- und Grundstücksverwaltung, Buchbinderer am Treptower Park GmbH, DLZett Medien GmbH und Co., Druckhaus am Treptower Park, Einstein Kaffee AG, Espresso Verlag GmbH, Info Pool Network GmbH, Meilenstein GmbH, Minuskel Screen Partner GmbH, S + P Buchhandelsgesellschaft GmbH, „Titanic“ Verlag und CoKG, Tribüne Druck GmbH, WeBe GmbH. Das hat nicht viel zu sagen, das sind Namen, sagt Patric Feest.

Im Flur hängen klassische „Titanic“-Plakate, außerdem Che in Rot, Lenin, Marx und Engels werben für den SDS. Feest sagt, kommen Sie um fünf noch mal, bis dahin habe ich mit Weihönig gesprochen. Feest sagt um halb sechs: Er will nicht. Als wir in sein Büro gehen, schließt ein Mann in Jeans und schwarzem Hemd eine Bürotür. Weihönig. Er will nicht. Feest spricht noch über unser Justizsystem, vor allem über Anwälte, die keinen Ehrenkodex haben. Gegen „Titanic“ geht zurzeit eine Kanzlei im Namen von Benjamin von Stuckrad-Barre vor, die auch schon für “ Titanic“ gearbeitet hat. Heute sei es so, dass Kanzleien Magazine durchsuchen, um etwas zu finden, womit sie Geld machen können, dann gehen sie zu dem vermeintlichen Opfer, überreden es, legen den Streitwert möglichst hoch, weil sie prozentual mitkassieren, und los geht es. Feest bringt mich zur S-Bahn, erzählt von den vielen Prozessen, über die Verlagsarbeit sagt er immer wieder: Es ist Arbeit. Mit der Redaktion gebe es oft Diskussionen, richtig harte, das gehöre nun mal dazu. Auf die Frage, ob ihm das Blatt „Titanic“ gefällt, antwortet er nicht richtig.

Noch mal in die Redaktion in Frankfurt. Wir schauen alte „Titanic“-Hefte durch, ganz alte. Das waren Zeiten, da gab es noch Anzeigen, von Citroen für die Ente, von großen Buchverlagen, eine ganze Seite Werbung für die „Wirtschaftswoche“, für Bob Dylans neues Album, eine Seite Vin de Pays, Rothändle und drei andere Zigarettenmarken. Das war mal. „Wir werden in den Werbeagenturen geliebt, aber wir haben keine IVW-Auflagenzahlen, deshalb werden kaum Anzeigen geschaltet.“ Sagt Sonneborn. In Berlin gibt es eine Anzeigenagentur, „die bemüht sich lach Kräften, die eine oder andere Zigarettenanzeige reinzuholen“. Ab und an kauft der Fernsehsender Arte eine Seite, vierfarbig, für ca. 10 000 Mark. Das ist es dann. Ab und an gibt es Anzeigen von Buch- und CD-Vertrieben, die zahlen mit Sachwerten, die „Titanic“ als Abo-Geschenke verteilt. Einmal hat Sony ein paar Walkmen rausgegeben, bei der Verlosung wurde aber nicht Sony genannt, sondern der direkte Konkurrent, einfach so. Sony rief empört an und bekam zu hören: Haben Sie gedacht, „Titanic“ macht Werbung für Sie? Bei Sony hätten sie gelacht, wirklich gelacht. Einmal brachte jemand einen Beutel Thrombozyten im Wert von 1500 Mark vorbei. Thrombozyten sind Blutplättchen, die für Gerinnung sorgen. „Sah aus wie Linsensuppe.“ Wurden verlost und verschickt. Einmal wollte „Titanic“ ein Endoskop zum Verlosen, für Darmspiegelungen. Man erzählte einer Firma, dass viele Ärzte das Blatt lesen. Die Firma sagte erst zu, sprang aber kurz vorher ab.

Das ist so ein Problem, wenn man „Titanic“ besucht. Der Humor. Was ist ernst gemeint, was nicht? Sonneborn beispielsweise wirkt gar nicht witzig, eher ernst. Er kann mit seinem naiven Gesicht glaubhaft sagen: „Wir leiden an der Welt.“ Und: „Es steckt oft ein aufklärerisches Erkenntnisinteresse dahinter.“ Oder Thomas Hintner: „ ‚Titanic‘ ist ein Fachblatt, es ist nicht leicht konsumierbar.“ Oder Stefan Gärtner: „Die Wortfindungsarbeit fällt oft leicht, weil es Spaß macht, aber es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir einfach was hinschmieren. Die meisten Witze darf man nicht machen, weil sie schlecht sind.“ Guter Witz ist Arbeit. Während er das sagt, sieht er ernst und leidend aus.

Leiden ist immer in der Luft. Schmitt bringt das so auf den Punkt: „ ‚Titanic‘ hat keinen großen Effekt. Aber du kannst Leute ärgern, den ungezogenen Lümmel spielen, wüste Streiche machen. Das ist doch was.“ Und nach einer kurzen Pause: „Heute, bei den Millionen an Zerstreuungen, die es gibt, ist “ Titanic“ ein reiner Luxusartikel, den sich eine literate Gesellschaft leistet.“ Außerdem macht „Titanic“ anderen Magazinen Mut. „Schaut, was wir gemacht haben, traut euch doch, es geht.“ Immer wieder Prozesse, „Titanic“ ist die verbotenste Zeitschrift Deutschlands. Und es hört nicht auf.

Stefan Gärtner ist einer der „Zwillinge“: Er und Oliver Nagel sitzen in einem Büro, sie machen ihre Geschichten gemeinsam. „Das machen die Zwillinge“, sagen die anderen. In ihrem Raum hängt Zonengabi an der Wand: eine dümmlich lächelnde Frau mit Minipli auf dem Kopf, eine Salatgurke in der Hand und dazu der Satz „Meine erste Banane“. Ein Klassiker. Das ist ein anderes Problem bei “ Titanic“: Es gibt so viele Klassiker. Der Papst kommt, der Papst kommt schon wieder. Ich war eine Dose. Ich vögle gem. Engholm und die gelbe Quietscheente in der Wanne. Gute Nachricht aus Schröders Hose - ein Arbeitsloser weniger. Die Liste scheint endlos. „Titanic“ „hat Kohl gemacht“, sagt Sonneborn. „Titanic“ verpasste ihm Birne. „Der Mann war 80-mal bei uns auf dem Titel.“ „Titanic“ schuf Genschman, Ziege und vieles mehr. Genschman sorgte übrigens für ein Auflagenhoch. Ein anderes war die Buntstift-Lutsch-Aktion bei Gottschalks „Wetten dass..?“ Anekdoten, Geschichten, Mythen. Gerade scheint es, als habe Sonneborn es geschafft, dass ich einfach mitschreibe, was er sagt ihm sozusagen glaube, da fängt er an, dass es durchaus Anzeiger in „Titanic“ gibt, etwa die „Bunte“-Anzeige. Schießlich holt er das Heft aus einem Regal, in dem auch die Ordner „Prozesse I bis IV“, „Prozess Engholm“ und „Prozess Markwort“ stehen. Er zeigt ein Foto, das in Paris nach dem Concorde-Absturz gemacht wurde, Flugzeugteile und verkohlte Leichen, so wie man es aus der anderen Zeitschriften kennt. Dazu eine Verfremdung des „Bunte“-Emblems und der „Bunte“-Werbespruch „Schade, dass Sie nicht dabei waren“, eine Persiflage auf die damals aktuelle „Bunte“-Werbung. Ha, ha, ha. „Okay“, sagt Sonneborn, das sei keine bezahlte Anzeige. Dann erzählt er von den vielen Austauschanzeigen, die „Titanic“ hat. Das bedeutet: „Titanic“ bekommt eine Anzeige in der „Taz“ im Tausch für eine „Taz“ -Anzeige in „Titanic“.

Was die Finanzen von „Titanic“ betrifft, sind die Prozesse natürlich wichtig. Gibt es immer wieder. Zwar haben Politiker inzwischen kapiert, dass es nach hinten losgeht, wenn man gegen Satire klagt Aber ab und zu passiert es eben doch. Johannes Rau, Bundespräsident, hat beispielsweise geklagt und ein paar tausend Mark gewonnen. Ein bisschen Geld holten sich Leute wie Gerhard Zwerenz Evelyn Künneke, Hans-Joachim Kuhlenkampff, ein Bundeswehrsoldat. Viel, nämlich 40 000 Mark, hat sich - wie gesagt - Björn Engholm erkämpft. „Titanic“ geht juristisch meistens bis zum Ende der Instanzen, aus Prinzip, weshalb in diesem Fall mit Gerichts- und Anwaltskosten mehr als 190 000 Mark anfielen.

Es gibt einige vor Gericht hart erkämpfte Unterlassungserklärungen gegen „Titanic“. Die sind für das Magazin gefährlich teuer, denn meist sind es Großkonzerne, deren Werbung verarscht wird. Sie setzen den Streitwert hoch an, also kostet das immer viel. Die katholische Kirche versuchte achtmal, sich vor Gericht durchzusetzen, vergeblich. „Focus“ -Chefredakteur Helmut Markwort scheiterte ebenfalls am Satireblatt. Im Impressum von „Titanic“ steht die Rechtsanwältin Gabriele Rittig. Sie schaut das Heft vor dem Druck durch und versucht zu retten, was zu retten ist. So wurde aus der Rubrik „korrupte Politiker“, die monatlich das Passfoto eines Bundestagshinterbänklers zeigt, „unterschätzte Politiker“. Oft lässt sich die Redaktion aber nicht überzeugen. Insgesamt wurden 40 Verfahren seit 1979 gegen „Titanic“ angestrengt, 28 der 260 Ausgaben sind verboten, „Titanic“ ist die verbotenste Zeitschrift Deutschlands. Sonneborn: “ Eigentlich finden alle Satire gut, nur wenn sie selbst betroffen sind, dann nicht.“ Der Tag, an dem der Selbstmord Hannelore Kohls bekannt wurde, war derselbe Tag, an dem Benjamin von Stuckrad-Barres einstweilige Verfügung eintraf. Und der, an dem Friedrich Merz juristisch gegen seinen von „Titanic“ in Umlauf gebrachten Spitznamen Fotzenfritz erfolgreich vorging. Fotzenfritz war eher eine Notlösung. Es gab einen langen Text, in dem der CDU-Mann satirisch zerlegt wurde. Das war in „Titanic“ nett zu lesen, aber der Text war lang und für viel Layout war kein Platz. Sonneborn dachte sich: Wenn ein Text so langweilig aussieht, braucht er wenigstens eine knallige Überschrift. So wurde spontan aus Friedrich Merz Fotzenfritz. Den Lesern gefiel es, und einer, den die „Titanic“-Macher nicht kennen, sorgte dafür, dass man, wenn man im Internet www.fotzenfritz.de eingab, sofort und ohne Warnung auf der Seite des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag landete. Der wollte das nicht und ließ es verbieten.

Die höchste Forderung hatte übrigens der DFB, der wollte 600 Millionen Mark von „Titanic“, Sonneborn musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Und das kam so: Als über die WM 2006 abgestimmt wurde, standen zwei Kandidaten in der Endauswahl - Deutschland und Südafrika. Es sah so aus, als würde bei einer Abstimmung ein 12:12 rauskommen, dann hätte FIFA-Präsident Joseph Blatter zwei Stimmen gehabt - und Blatter war bekennender Süd-Afrika-Fan. Da bot „Titanic“ den Abstimmungsberechtigten per Fax Kuckucksuhren und Würste an, würden sie für Deutschland stimmen. Der Neuseeländer Charles Dempsey sagte später: „This final fax broke my neck“ und enthielt sich der Stimme. Deutschland gewann, doch der DFB drohte „Titanic“ trotzdem mit einer Klage. Sonneborn versprach, dass „Titanic“ so etwas nie mehr tun würde. Warum auch nicht? „Kein Problem, gute Witze macht man nicht zweimal.“