Der Flohmarktkönig

Reportage
zuerst erschienen im Juni 2009 in Impulse, S. 52-57
Fassung des Autors
Wie ein 17jähriger die Branche revolutionierte.

Es war ein Junge, der las viel. Las alles. Mit 18 Jahren hatte er die deutsche Literatur durch, klassische und zeitgenössische. Heute sagt der Mann, der nicht mehr liest: „Ich war beseelt von Literatur und Philosophie.“ Ist nun Unternehmer, wurde es, weil er Bücher kaufen wollte. Damals, Mitte, Ende der 70er Jahre, ging er in Aachen jeden Tag nach der Schule in den Buchladen, kaufte ein Buch. Jeden Tag. Er bekam 25 Mark Taschengeld. Was nicht reichte. „Ich brauchte ständig Geld, um neue zu kaufen.“ Er musste was machen.

Der Vater hielt schon das Gymnasium für, nun ja, für überflüssig. Und Bücher? Der Sohn sollte die Spedition übernehmen. Der Vater würde das Studium, das der Sohn wollte, nie finanzieren. „Für ihn war Philosophie jenseits seiner Vorstellungskraft.“ Heute, Norbert Hermanns ist 49 Jahre alt, wirkt alterslos, solide, im weißen Hemd, wie man sich einen Geschäftsmann vorstellt, überlegt er lange, welches er zuletzt gelesen hat. Es fällt ihm nicht ein. Weiß er noch, um welche Bücher es ihm damals ging? „Handke, Borchers, Kafka. Wie gesagt, ich hab alles gelesen. 1000 Bücher, als ich anfing. Mindestens.“

Er fängt an mit Hans Thomas Lampert, dem Klassenkameraden am Einhard-Gymnasium. Sie fahren auf einer blauer Vespa zum Handball, an einem Abend, an dem Leute Sperrmüll rausstellen. Bling! Die Idee. Auch Lampert braucht Geld, er steht auf alte Fords und will, bald macht er den Führerschein, einen 15 M. Also trödeln sie. Entdecken Sachen in Gerümpel-Bergen: Gynäkologenstuhl, Beinprothese, Bilder, kleine Möbel. Bringen am Sonntag den Ramsch auf den Flohmarkt. Beim ersten Mal, das ist klasse, macht jeder 250 Mark Umsatz. „Umsatz gleich Gewinn.“ Es ist „unheimlich“ viel Geld. Gleich Bücher.

Der Beginn: „Selbst für einen 18jährigen war zu erkennen, dass Flohmärkte schlecht organisiert waren. Die Leute, die dort waren, hatten dieses warenbezogene Feeling, ab und zu sagte mal einer, ok, ich mache den Veranstalter.“ Hippiefeeling, kein Geschäftssinn. „Keine Werbung, kein Know-how, kein Marketing. Das schrie nach professioneller Organisation.“ Er und Lampert „haben rumdilettiert, innerhalb weniger Monate das Geschäft gelernt“.

Ihren ersten Markt veranstalten sie im Frühjahr 1980. Da hat Norbert Hermanns, der Flohmarkt-Mozart, die Idee. Sie kommt, plopp, aus dem Nichts. Ist was Kreatives. Nein, nur scheinbar ein spontaner Geniestreich. Die Idee kommt, weil er schon Erfahrung hat mit Flohmärkten. Weil er sie spürt und fühlt. Über sie nachdenkt. Es ist „die grundlegende Idee für die Branche“, für ihre Zukunft: „Nicht in den Innenstädten, besser wäre auf Parkplätzen der Einkaufszentren.“

Norbert Hermanns ist heute der größte Flohmarktveranstalter Deutschlands. Ein Riese. Mit entsprechendem Selbstvertrauen. Aber auf dem Weg woanders hin. Zwar redet er so, als wäre er der einzige. Aber inzwischen beschäftigt er sich mehr mit dem Finanzieren und Bauen von Einkaufscentern und Shopping-Galerien. Spricht von Erlebniswelten. Lektüre gab er auf, um Flohmarktycoon zu werden. Flohmärkte gibt er nicht auf. Die macht er noch als reine Geldbringer, um anderes zu finanzieren. Jetzt, wo die Krise tobt, es schwer ist, mit Banken über die Finanzierung von Bauprojekten zu reden, jetzt antwortet er am Telefon auf zwei Nachfragen zur aktuellen Lage mit zwei schnellen, kurzen Sätzen. Hängt „Wir haben hier gerade die Hölle“ dran. Ganz anders im Jahr davor, als er im wohligen Gefühl der Nostalgie badete.

Viele haben so angefangen wie er. Meist im Ruhrpott oder in Norddeutschland, selten im Süden. Was an der Religion liegt. In katholischen Gegenden gehört der Sonntag eher dem Herrn. Flohmärkte nicht zum Sonntag. Niedersachsen ist auch so ein Problemgebiet für Betreiber, die Behörden geben da weniger Erlaubnis zum Sonntagsverkauf. Das Geschäft ist eigentlich simpel: man braucht die Erlaubnis der Behörde. Braucht Aufsteller, die bezahlen. Dann Leute, die kommen. 20000, 30000 sind gut. Die müssen kaufen. Das heißt: Werbung machen, locken. Der Ablauf am Sonntag muss organisiert werden. Von Jobbern. Das gilt als der harte Teil. Der Umgang mit den Behörden als der ganz harte.

Szenenwechsel: In Ahrensburg bei Hamburg, bei Firma Hochberg, einem der Flohmarktriesen. Dennis Marten ist 28 Jahre alt, er organisiert hier mit zehn Angestellten Flohmärkte in Hamburg und Schleswig-Holstein und kennt die Geschichten von früher. Seine Ex-Chefs haben die erzählt. Studium abgebrochen, Geld gemacht. Sind, wie Hermanns old school, aufgesogen worden von der Boom-Branche. Jonny Saß studierte BWL, Constantin Hochberg Sozialpädagogik. Sind heute nur noch Mini-Anteilseigner, haben an Ralf Kuck verkauft. Hermanns plant heute Einkaufscenter. Hochberg, Saß machen Großhandel mit Elektrogeräten. Der Flohmarkt war nur der Start. Ihr erster war an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg, in den 70ern.

Während Hermanns in seinem Büro in Aachen wegen der Finanzkrise und irgendwelcher Großprojekte zappelt, wirkt Dennis Marten entspannt: „Wir sind mehr vom Wetter abhängig als von der Lage der Wirtschaft.“ Das Wetter war schlecht im Sommer, das Geschäft dennoch nicht wirklich. „Von Krise nichts zu spüren.“ Nächstes Jahr vielleicht. Aber, könnte sein, dass es besser wird, in diesen Zeiten. Die Zyklen der Flohmärkte dürften anders sein als die der Volkswirtschaft. Es geht um altes Zeug, das man zu Geld machen kann. Zusätzliches Geld. Marten redet lieber über Details. Ebay sei Konkurrent gewesen. Aber die Flohmarktbeschicker, die sich da eine Zeit lang hinorientierten seien wieder da. Auf Märkten verdienen sie mehr, so Marten.

Er hat mit 16 als Schüler angefangen, Sonntags zu jobben, vor zwölf Jahren. Ist gelernter Veranstaltungskaufmann. Das ist ein relativ neuer Beruf, der vor ein paar Jahren bedarfsorientiert, nicht nur für die Flohmarktbranche aber vor allem für sie, geschaffen wurde. „Ich bin da reingewachsen.“ Ist ja auch eine Branche, in die man leicht reinkommt. „Wir haben 100 freie Mitarbeiter vor Ort, Studenten, Schüler.“

Oh, das gibt es auch anders: Jürgen Janssen, Sohn von Berthold Janssen, dem Gründer von „Flohmax“, einem der Großen in Norddeutschland, Sitz in Oldenburg, 20 Jahre Tradition, erzählt: „Wir haben viele Rentner als Mitarbeiter, gerne auch frühere Bundeswehrsoldaten. Die haben die richtige Autorität da draußen.“ Draußen, im Kampfgebiet.

In den Büros der Flohmarktveranstalter, ob bei Norbert Hermanns Melan, bei Flohmax oder Hochberg, draußen ist immer was, von dem sie gerne erzählen, von der harten Schule. Alle sagen sie, sie hätten den größten Markt in Deutschland, Süddeutschland, Westdeutschland, Ostdeutschland, wahlweise in irgendeinem Bundesland, nennen Zahlen wie 600 oder 700 Aufsteller, 30000 Besucher. Und alle reden von Draußen wie vom Bad in Stahlgewittern das ihnen nichts anhaben konnte, sie adelte.

Hermanns sagt, um draußen zu beschreiben, stolz, Melan hat das „totale Know-how“. Alles in ein System gebracht, industrialisiert, strukturiert, rationalisiert, glatt geschliffen, Muster entwickelt, sehr konsequent Systematik und Fließbandeffekte genutzt. Später, er telefoniert wegen eines Bauprojekts mit Architekten, führt eine Mitarbeiterin durch die Räume im Erdgeschoss. Den Vorhof des „draußen“. Die Telefonzentrale, wo die Buchungen angenommen werden. Die Räume mit dem Equipment, den tragbaren Computern für die Märkte. Der Raum hinter der alarmgesicherten Schleuse. Am Wochenende kann die Firma abgeschlossen werden. Die freien Mitarbeiter, die auf den Märkten arbeiten, haben einen Schlüssel für den Schleusenraum, können alles abholen, was sie brauchen. Es wird Freitagabends für sie bereitgelegt: Quittungsblöcke, Walkie-Talkies, Stempel, Ordner, Kassentaschen, Kalender, Computerausdrucke. In einem Raum mit der Anmutung eines Hochsicherheitstrakts.

Auf jedem Markt steht ein Melan-Bus in dem der Marktleiter und der EDV-ler sitzt. Wer unten im Getümmel zählt die Dienstleistungen auf die Melan zukauft: „die WC-Container, das Reinigungspersonal, die technische Abwicklung, Wasser, Strom, die Lieferanten, die Verkehrsregelung“. Das Konzept von Märkten wird erklärt, die richtige Mischung, „damit sich da nichts kannibalisiert“. Wer anders spricht von „Zusatzmodulen“, die an die Märkte gehängt werden. Märkte brauchen, „jetzt nur mal als Beispiel, noch Fischstände oder ein neuer Markt braucht drei Bierstände, dann suchen wir in der Kartei.“ Trends müsse ein Marktbetreiber möglichst früh erkennen: „Derzeit haben wir einen Accessoire-Hype, also haben wir da Anbieter gesucht. Asiatische Geschichten schon etwas länger.“ Da müsse man steuern und lenken. Sie sprechen als wär es Kunst, betonen aber die Sekundärtugenden. 5 Uhr vor Ort sein, ist normal. Nur als Beispiel.

Es geht um Know-how, wiederholt in seinem Büro Hermanns. Mit Siemens hat er eine interaktive Telefonanlage, die erste in Deutschland, Nostalgie, Nostalgie, entwickelt, um die Buchungen besser machen zu können. „Wenn x, dann drücken sie die eins, wenn y, drücken sie die zwei“, das habe er nach Deutschland gebracht. Nein, kein schlechtes Gewissen deshalb. Auch ein extra Buchungsprogramm, ähnlich der Reisebürosoftware entwickelt, „damals neu,  Wettbewerbsvorsprung“. Viele reden von Outsourcing, „wir haben gelernt, dass vieles billiger im Haus ist. Flexibler vor allem.“ Plakate und Handzettel druckt und entwirft Melan deshalb wieder selbst. Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter, egal wozu eingestellt, muss ab und zu als Marktleiter raus. Denn darum geht es zuerst einmal. Das ist das Basis-Know-how. Auf dem Laufzettel steht, zum Beispiel: E 137617, der Buchstabe und die ersten drei Zahlen sind die Marktnummer, wobei Deutschland in Nord, Süd, Ost und West eingeteilt ist. E ist Ost. Die drittletzte Zahl ist der Monat. Die letzten zwei der Tage des Marktes. Die sind in Kategorien eingeteilt, je nach Attraktivität, es gibt Dachzuschläge, es gibt Unterkategorien. Es gibt 1 a Lagen, 1 b Lagen, 2 a Lagen, 2 b Lagen, Know-how. Auf den Listen sind die Samstage schwarz, die Sonntage rot geschrieben. Feiertage grau unterlegt. Das Schema hat was von Fließband. Ist effektiv. Taylorisiert. Bezahlt werden laufende Meter. Entsorgungsgebühren, Reinigungskautionen. Organisation.

Hermanns, selbstbewusst, über den Anfang: „wir waren sehr gut, besser als andere, in der örtlichen Abwicklung, in der Lage die Händler schnell zu den Plätzen zu bringen. Wir haben Verkehrschaos auf den Zufahrten verhindert.“ Dennis Marten von Hochberg kennt Hermanns nicht, Melan schon, das sei ein Konkurrent in Norddeutschland, aber Hermanns? Ne. Und der junge Janssen sagt, da müsse man mal den Vater fragen, vielleicht kenne der den. Jürgen Janssen ist studierter Wirtschaftswissenschaftler, seit 1995 in der Firma, die Vater Berthold gegründet hat. Der könne von früher erzählen. Er aber redet anderes: Im Westen sind die Meter-Preise, das, was Veranstalter von den Händlern nehmen, kaputt, die Konkurrenz zu groß. Er zählt auf: Melan in Aachen, Braun in Köln, Kopp in Köln, Junge, auch irgendwo im Westen.

Noch mal Aachen. Im Melan-Gebäude. Unten, vor der großen Glastür dem Bürohaus in Aachen, sein Bürohaus, steht an der Wand: NHG, Norbert Hermanns Gruppe, Melan (macht Märkte), Euregio Wirtschaftsschau, Aachen Arkaden, AMW Projekte GmbH, Haus für Musik Stiftung. Was heißt eigentlich Melan? Es steht für „Meine einzige Liebe Annette“.

Norbert Hermanns lacht. „Ich gehe noch gerne auf Flohmärkte. Ich begeistere mich an der Organisation.“ So wie er Bücher liebte als Junge, begeistert er sich nun für Abläufe, Strukturen. Betrachtet die als Kunst, sorgt dafür, dass diese Strukturen nie starr sind, sondern flexibel. Das ist kein Verrat an der Literatur, es ist ein erwachsen werden, ohne jugendlichen Eifer zu verlieren, ein Verlagern von Enthusiasmus.

Sein Büro könnte das eines Anwalts sein oder das einer modernen Spedition. Spedition? Er verdreht die Augen. Hermanns trägt ein weißes Hemd, die Arme sind hochgekrempelt, eine unauffällige Krawatte, dunkle Hose. Hat eine Glatze, graue Haare links und rechts neben der hohen Stirn, einen Dreitagebart. Ja, er könnte Anwalt sein, optisch, Steuerberater, Kaufmann, Amtsleiter, Spediteur. Nein, sagt er, Spediteur nicht.

Die Wände sind weiß, der Boden glänzt, die Möbel auch. Die Couches schwarz und tief. Alles wirkt edel, das helle Büro, der Neubau wie eine Investition. Sein Schreibtisch ist groß und aufgeräumt. Nichts deutet auf Flohmärkte hin, nichts auf Antikmärkte, die er inzwischen auch macht. Die Türen sind offen, ab und an kommt wer rein zum Chef. Was klären. Absegnen lassen. OKs holen.

Es ist ein schöner, warmer Tag, die Sonne scheint, die Temperatur im Büro ist gut. Hinter einer Glaswand brennen im Kamin dicke Holzscheite. Immer wieder mal steht er auf und holt neue Scheite, füttert das Feuer. Macht es überakkurat. Hermanns hat Melan nicht gegründet, sondern sich mit wem in Hamburg zusammengetan, der sich den Namen ausgedacht hatte für seine Ursprungsfirma. Da Norbert Hermanns älteste Tocher, er hat vier Kinder, Anke heißt, war für ihn der Name Melan gut. Auch für die Teile der Republik, die er allein beackert.

Er taucht ein in das wohlig warme Meer der Nostalgie: Nach dem Abi, er ist schon bekannt auf den Flohmärkten Aachens, Kölns, des Ruhrgebiets, studiert er auf Druck des Vaters Wirtschaftswissenschaften, muss aber das Studium selbst finanzieren. Er lacht kurz und diesmal recht bitter, als er es erzählt. Steht auf und legt Holz nach. Es wird ein bisschen zu warm im Raum. Er studiert eher nebenbei, vor Prüfungen lernt er nachts, weil er tags keine Zeit hat – er studiert fast bis zum Abschluss, baut die Firma auf.

Er erinnert sich: Der erste große Markt war am 11. Mai 1980, doch, lacht er, das Datum werde er nie vergessen. Auf dem Parkplatz „von Plaza in Aachen, heute ist das ein Real, dazwischen war es ein Wal-Mart, damals gehörte es zu Coop. Ich hab meine beste Jeans angezogen. Halt, nein, die war in der Wäsche, also hab ich die zweitbeste angezogen und saß eine halbe Stunde im Vorzimmer von Herrn Bauer. Ich war nervös, es ging ja um meine Existenz. Dachte ich zumindest. Ich kriegte meinen Atem nicht unter Kontrolle. Subjektiv war es eine Sein-oder-nicht-sein-Situation. Er fand mich ganz niedlich, wie ich da nervös war, hat mir den Parkplatz für 200 Mark gegeben. Beim nächsten Mal für 1000 Mark. Heute sind es ganz andere Preise, ganz andere.“

Es hat sich was verändert: „Heute suchen die Firmen seriöse Partner für zehn Jahre, damit die Flohmarktmiete auch in den Immobilienwert eingerechnet werden kann.“ Mit der Metro-Gruppe hat Melan einen Vertrag, der gilt weltweit. Wenn Flohmarkt auf Metro-Parkplatz, dann Melan. Oder aber … Dazu später. „Wir bekommen viele Anfragen, ob wir nicht da und da eine Markt machen könnten. Aber die Gattung Melan-Märkte stellt hohe Anforderungen.“

Zurück zu Plaza! Los! Es kann losgehen. Sie machen mehr Werbung als die anderen zuvor, man könne sagen, sie sind die ersten, die überhaupt richtig Werbung machten, „sowohl bei Ausstellern als auch bei Besuchern.“ Ab jetzt ist es Business, sein Business. Die Vorteile der Großparkplätze sind gigantisch: die Händler können ihre Autos am Stand lassen, müssen weniger tragen. „Das war bequem, sie mussten nicht nachts um 2 Uhr anfangen und ranschleppen. Die Plätze waren garantiert, der entscheidende Vorteil.“ Denn die Händler waren meist Schluffis.

Da ist noch ein neuer Trend, zufällig: für viele Menschen wird es gerade interessant, den Keller aufzuräumen und Sachen zu verkaufen. „Das sind die fetten Jahre, die Keller sind voll. Da ist die Nostalgiewelle. Der alte Wandschrank der Oma ist plötzlich schick. Selbst ihr Schmuck. Oder Opas Hemd, hippiemässig betrachtet.“ Nein, es war keine Notzeit, es war die Zeit nah der Vollbeschäftigung. Flohmärkte sind Spaß, „ein Kommunikationserlebnis, Kinder lernen, Spielsachen zu verkaufen. Man kann sich auf den Markt stellen, ohne als Loser zu gelten. Das ist neu.“ Er lernt: „Menschen wollen was erleben, gucken, unter Menschen kommen, das ist ein menschliches Bedürfnis. Es geht um Erlebniswert.“

140 Händler sind bei seinem ersten Markt. Das ist viel damals. 5000 Mark Umsatz, 1500 Mark Gewinn für Lampert und Hermanns. Heute: Melan, seine Firma, veranstaltet 1000 Märkte im Jahr, an etwa 70 Standorten, wöchentlich etwa 15 bis 20 Märkte, mit ganz, ganz anderem Gewinn. Seine Märkte, früher hießen sie Hermanns und Lampert Märkte, haben 32 Millionen Besucher. Jährlich. Er will keine Gewinne und Umsätze nennen, er weiß, die anderen Zahlen wirken. Er ist stolz. „Seit ein paar Jahren ist unser Vorsprung so groß, dass uns alle nur noch bewundern, kein Wettbewerber redet schlecht über uns. Die Händler sind meist total begeistert.“

Er startete als Wunderkind. „Die fanden es alle niedlich, dass da zwei Kinder kamen. Die Behörden, die Händler, alle.“ Auf erste Erfolge folgen Niederlagen. „Im Winter hatten wir unglaubliche Tiefen. Ich wusste nicht, wie ich meine Telefonrechnung zahlen sollte.“ Geschweige denn die ersten Angestellten.

Der endgültige Durchbruch? „19. Juli 1981, ein Einkaufszentrum in Hürth. Der Manager stand auf Rekorde für die Werbung. Er wollte den größten Flohmarkt Deutschlands.“ Bekam er. 2000 Händler wollten, 1208 Händler kamen unter. Eine neue Dimension. 80000 Besucher. Bis dahin unvorstellbare Zahlen. „Es war ein unglaublicher Flohmarkt, der uns weitgehend entglitten ist. Wir mussten Händler abweisen. Der Rest hatte unheimlichen Erfolg. Die Branche sprach darüber. Wir waren 20 Jahre alt und die ganz Großen der Branche. Aber es war ein finanzielles Desaster, wir hatten nicht genug Leute, um so viele Händler abzukassieren.“ Daraus lernte er. „Von da an ging es sehr dynamisch voran. Nach zwei Jahren waren wir bundesweit aufgestellt.“

Aber noch war Kampf. Bis Norbert Hermanns 1985 die nächste bahnbrechende Idee hatte, eine, die innerhalb von 14 Tagen in der ganzen Branche übernommen wurde. Man schaute bereits auf den Jungen mit den Ideen. Er hatte beschlossen: ab jetzt zahlen die Händler ihre Standmiete vorab. Immer wieder hatte es Probleme gegeben, wenn zu viele Händler, zu wenige Mitarbeiter da waren, so dass nicht richtig kassiert werden konnte. Oder wenn Märkte nicht liefen.

1985 regnete es an 42 Sonntagen im Jahr, sagt Norbert Hermanns, also liefen die Märkte nicht, fuhren die Händler meist um 11 Uhr wieder ab, weil sowieso niemand kam. „Ich hatte die Erkenntnis, wir müssen die Händler binden. Vorkasse.“ Die Händler machten mit, denn Hermanns bot ihnen - das Wetter wurde besser - Werbung, Publikum, Umsätze. Schluffis wurden Businessleute.

Das Telefon klingelt, er muss etwas klären, es geht um ein 70 Millionen Euro Bauprojekt. Zurzeit arbeiten seine Firmen an Projekten mit etwa 300 Millionen Euro Investitionssumme. Das Flohmarktgeschäft hat er delegiert, in der Zentrale arbeiten 35 Leute, die es managen für ihn. Auf den Märkten etwa 400, wenige fest, viele Jobber.

Nach einiger Zeit, 1985, die Firma war noch klein, stellten Lampert und er fest, das geht nicht gemeinsam. Lampert war zu gemütlich, dem ging es darum, genug Geld für ein nettes Studentenleben zu verdienen, noch einen Ford 17 M dazu. Mehr nicht. Anders Norbert Hermanns, der nicht mal mehr Bücher las. Der stand unter Strom. Kam um 7 Uhr ins Büro. Lampert kurz vor Mittag, mal reinschauen und Essen gehen. „Er hatte zu viele Ängste und Sorgen, scheute das Risiko. Er hatte einfach eine andere Idee von Unternehmertum. Ich war mit beiden Füßen auf dem Gaspedal, er mit beiden auf der Bremse. Es lief so nicht.“

Sie trennten sich in Frieden. Lampert sieht das heute ähnlich, sagt über Hermanns, den er seit dem zehnten Lebensjahr kennt: „Er wollte stärker expandieren als ich. Ich denke, Größe ist nicht alles in dem Geschäft.“ Sie, sie sind heute noch Freunde, teilen damals also die Firma, jeder nimmt sich Flohmärkte in einer Stadt, der andere den Konkurrenzmarkt.

Der Ex-Partner ist inzwischen in der Eifel und in Sachsen-Anhalt noch im Geschäft. Aber gemütlicher. Lampert: „Ich bin geschrumpft, gewachsen, geschrumpft, gewachsen.“ Im Gegensatz zu Hermanns. Der sagt: „Das Ziel hat sich stark gewandelt.“ Nächste Geschäftsidee: „regionale Verbrauchermessen“. Nächster Erfolg. Ab 1990: Gewerbeimmobilien, Bürogebäude, Lager, Gewerbeparks, „immer als Übung für Einkaufszentren, wir haben ja einen intimen Einblick in Einkaufszentren geschafft, so oft wie wir auf den Parkplätzen waren, wir haben komplexes Marken-Know-how erworben.“ Er schaffe gerne Märkte. „Es geht darum, Räume zu kreieren.“

Er sagt: Probleme hätten sie ja sechs, sieben Mal die Woche, würden sie parallel lösen. Da haben sie es früh gelernt, das Business. Konsequenz zeichne ihn aus. „Schlimm finde ich ja gut“, sagt er über ein von ihm beschriebenes Chaos. „Alles, was nicht klappt, empfinde ich als Herausforderung. Wenn etwas auf niedrigem Organisations-Niveau funktioniert, wird man zufrieden, sieht die Perspektiven nicht. Nein, Probleme sind gut, sie treiben an.“ Er kann solche Sätze sagen, ohne wirklich unsympathisch zu wirken.

Man hört etwas heraus. Dass er mal mit den vier Kindern für zweieinhalb Jahre in den USA lebte. Seine Frau, Ruth, eine Urologin, hatte 1995 bis 1997 einen Forschungsauftrag an der Harvard Uni. Er schaute sich Firmen an. „Ich hab da ein professionelles Business-Umfeld erlebt, auch in mittleren und kleinen Unternehmen. Anders als hier.“ Viel gelernt, viel übertragen.

Eine anstrengende Zeit für die Firma. „Oh ja“, sagt rückblickend Silke Böge, damals seine Assistentin. Sie dreht die Augen hoch: 20 Tage Boston, 10 Tage hier, was für Tage, das war so sein Monat. Er lernte viel über Technologie. „Email gab es zwar, aber das war in Deutschland noch völlig unbedeutend“. Die Idee mit der interaktiven Telefonanlage hat er aus den USA mitgebracht. In Boston war er um 6 Uhr am Schreibtisch. Manchmal um 5 Uhr, um, sechs Stunden Zeitverschiebung, in Aachen anrufen zu können. „Ich hatte eine Telefonrechnung von 2000 Dollar monatlich, ein Faxgerät, das unentwegt lief.“

Amerika war tolle Zeit, sagt er, „jeder Tag gefüllt mit aktivem Handeln“. Er meint das ernst. Er arbeitet so wie er als Junge las. Er klingt wie ein Ami, als er sagt: „Ich liebe Motorbootfahren. Segeln? Nein, ich will schnell wo ankommen.“ Er spricht viel von Service: „Konsens und Harmonie ist für uns etwas Wichtiges. Es darf kein Verkehrschaos geben. Stadt und Polizei dürfen keinen Aufwand haben. Die Nachbarn müssen zufrieden sein. Die Händler. Die Kunden. Das bedeutet, wir sind sehr dialoginteressiert. Es geht um liebevolle Betreuung.“ Melan biete „ein Rundum-Sorglos-Paket“. Alle sind König. Melan der Dienstleister.

Danach gefragt, überlegt er lange, bevor er sagt: „Vielleicht würde ich im nächsten Leben Architektur studieren“. Aber, er lächelt, „nein, nicht wirklich…“ Er hat die Flohmärkte verändert. Die ihn. Er liest keine Bücher mehr. „Wir machen Märkte.“ Von seinen anderen Projekten hat er wenig erzählt. Und auch in einem anderen Tonfall.