Golf schütze dich

Reportage
zuerst erschienen 2008 in BMW Magazin
Fassung des Autors

Die Mitglieder der Evans Foundation haben zwei Grundsätze: „Wir bringen Caddies aufs College“ und „Golf mit Golf-Carts zu spielen ist schlecht.“ Die beiden Prinzipien bedingen sich, lerne ich, als ich mich mit der amerikanischen Institution in der Gegend von Chicago auseinandersetze.

In einem Dorf bei Chicago mit dem poetischen Namen Golf, mitten im Wald, steht zwischen 300 Wohnhäusern ein einziges Nicht-Wohnhaus, das klassizistische Gebäude der WGA, der Western Golf Association. In seinem Büro sagt Don Johnson, seit 19 Jahren deren Präsident und CEO, wegen des Schauspielers: „Ich hatte den Namen früher“.

Dann schimpft er, das gehört sich so bei der Foundation, auf Golf-Carts. „Diese Karren sind große Geldbringer für die Clubs. Deshalb gibt es die überall.“ Aber: „Golf ist ein Spiel, das richtig nur mit Caddies gespielt wird.“ Im Lauf des Tages variiert Johnson dieses Thema: „Mit Caddie zu spielen, das ist die einzig richtige Art, Golf zu spielen. So und nur so war das Spiel gemeint.“

Die WGA und die Evans Foundation, ihr Motto lautet: „Wir bringen Caddies ans College“ das ist quasi eins. Die WGA veranstaltet drei große Turniere jährlich: die Western Junior, die Western Amateurs und die Western Open. Die sollen Geld für die Evans Foundation verdienen. Der gesamte Erlös wird für Caddies verwendet.

Tiger Woods, Jack Nicklaus, Arnold Palmer, das sind nur drei Sieger-Namen von WGA-Turnieren. Chick Evans, der Gründer der Stiftung, war der erste Spieler, der sowohl die US-Open als auch die US-Amateurs in einem Jahr gewann. Er war nie Profi. Seine Mutter, die nie selbst Golf spielte, aber das Poem „The Religion of Golf“ schrieb, riet ihm, er solle weiter als Molkerei-Manager arbeiten. Wenn doch Geld reinkomme, könne er damit Caddies ans College bringen. Evans tat, was seine Mutter riet und ab 1932 half ihm die WGA, übernahm die Verwaltung der Evans Foundation.

Chick Evans, eigentlich Charles, aber so nannte ihn niemand, hatte eine Mission: er hatte sich mit guten Noten an der North Western University am College eingeschrieben. Musste aber nach einem Jahr gehen, weil die Hochschule zu teuer war. Er fing an zu arbeiten. Und zu golfen. Und später, sich darum zu kümmern, dass es genug Caddies gibt, dass Kinder aus armen Familien aufs College können.

Er fing mit zwei 1930 mit zwei Stipendiaten an, inzwischen sind es etwa 8600 geworden, gerade sind 820 College-Studenten mit Evans-Scholarships an 20 amerikanischen Hochschulen. Jedes Jahr kommen mehr als 200 dazu, hören mehr als 200 auf, die Zahlen sind seit etwa zehn Jahren konstant. 70 Prozent sind junge Männer. Seit Judith Kloos in den 50er Jahren als erstes Mädchen ein Scholarship bekam, steigt deren Zahl aber stetig.

1930 sollte nur ein Stipendiat ausgewählt werden. Aber zwei Kandidaten beeindruckten die Jury. Also schickte die Foundation beide aufs College. Von da an war Druck da, denn die Entscheidung bedeutete: mehr Geld muss her. Irgendwie ging es immer. Chick Evans besprach 78er Schallplatten mit Golf-Lektionen, Spender halfen von Anfang an. Und 1932 stieg die WGA mit ein. Die Foundation ist die einzige ihrer Art und sie ist erfolgreich. Inzwischen hat die Stiftung Häuser auf dem Campus von 14 Universitäten im Mittelwesten der USA aber auch im Westen oder in Colorado. Das bedeutet: die Stiftung zahlt nicht nur die College Fees und das Büchergeld, sondern bringt die Studenten auch unter. Nur für das Mittagessen müssen sie arbeiten, die Foundation verlangt, dass sie „Meal Jobs“ machen, also an den Unis in der Kantine abwaschen für Essen.

Der Jahresetat der Foundation liegt bei 10 Millionen Dollar. Die Turniere bringen heute Geld, vor allem aber die ehemaligen Scholars, die sich alle verpflichtet fühlen. Drei Millionen Dollar haben vergangenes Jahr ehemalige Caddies dem Programm gespendet, zurückgegeben sozusagen. Heute kosten vier College-Jahre etwa 80000 Dollar. Don Johnson hatte kein Stipendium. „Meine Familie hatte zuviel Geld. Das ist eine soziale Sache.“

Wer sich ein Stipendium erarbeitet, bedarf „Strong work ethic“. Früh aufstehen, Bags schleppen, jedes Wochenende. Fünf, sechs Stunden. Und gut in der Schule sein, eine Grundvoraussetzung. „Es ist wirklich nicht leicht, Caddie zu sein. Niemand hat diesen Kids je was geschenkt.“ Laut Gesetz gibt es in den Bundesstaaten eigentlich keinen Job, den man mit 14 Jahren oder jünger machen darf. Ausnahme: Caddie auf dem Golfplatz. Es geht um Tradition, um ein Erbe, sagt Johnson und schimpft noch einmal auf Carts.

Einige Beispiele für Evans Scholars:

Kimberly Brightmore,

20 Jahre alt, stammt aus Oak in Illinois, nahe Chicago. Sie caddied seit sie 13 ist, auf dem Beverly Country Club. „Eine Freundin von mir hat angefangen, ich bin mitgegangen.“ Kimberly wurde mal von einem Golfball an der Schulter getroffen. „Naja, blauer Fleck, halb so wild.“ Sie findet es „richtig toll, Caddie zu sein. Ich rede gerne. Es ist ein kommunikativer Job. Und es gibt eigentlich keinen Golfer, der dem Caddie jemals die Schuld gibt.“ Kimberly studiert Communications und Religion. Ihr Vater, ein „Golf-Süchtiger“, arbeitet als Kirchenorgelstimmer. Die Familie hätte das Studium an der North Western University nie finanzieren können.

Kenny McCormick,

21 Jahre alt, kommt aus Lake Zurich nördlich von Chicago. „Allein unser Dorf hat zwei Golfplätze, in der nahen Umgebung sind 15.“ Er fing mit 14 Jahren im Biltmore Country Club als Caddie an. „Ich kam auf die Idee, weil mein älterer Bruder vor mir angefangen hatte.“ Es gebe auf allen Golfplätzen immer dieses Gerücht: „Gestern hat der da seinen Caddie angeschrien. Es ist das meisterzählte Gerücht unter Caddies. Definitiv ein Gerücht. Leute golfen, weil sie eine nette Zeit verbringen wollen.“ Kenny studiert Economics und Psychologie. Sein Vater arbeitet in einer städtischen Busgarage, seine Mutter ist Lehrerin. Er sagt, was alle Scholars sagen: „Ohne Scholarship müsste ich wohl an einem anderen College studieren.“

Joseph Foran,

19 Jahre alt, stammt aus Lemont in Illinois, caddied auf dem Cog Hill Course seit er 14 ist. Die ersten Tage waren Stress. „Ich war klein, dachte nicht, dass ich das durchhalte.“ Er war der jüngste, alle waren schon länger dabei. „Du bist mit fremden Erwachsenen unterwegs. Du kennst dich noch nicht aus mit den Clubs, hast Angst vor Fehlern.“ Das habe sich gelegt. „Golfer sind freundliche Menschen.“ Man verdiene gut als Caddie. Und es mache Spaß. „Man kommt ins Gespräch. Und wenn Du aufpasst, kannst Du aus den Gesprächen viel lernen.“ Sein Vater arbeitet in einem Laden, seine Mutter ist Hausfrau. Joseph studiert Economy und Politik. Auf die Idee kam er, als Erwachsenen beim Golfen zugehört hat.

Alfredo Santos,

21 Jahre alt, studiert Economics. Sein Vater arbeitet in der Bäckerei von Alfredos Onkel. Die Eltern kamen aus Mexiko nach Chicago, zuhause wird Spanisch gesprochen. Alfredo war immer ein guter Schüler, bekam schon in der High School ein Stipendium, das Daniel Murphy Scholarship. Dazu gehörte, dass er in den Sommerferien in einem College lebt und jeden Tag auf einem anderen Golf Platz caddied. „Das war meine Chance.“ Sein älterer Bruder konnte nicht aufs College, Alfredo kann wegen der Evans Foundation. Gerade hat er ein Praktikum bei Meryll Lynch in Chicago absolviert. „Als Caddie hatte ich gelernt zu kommunizieren. Es gibt keinen Caddie, der das nicht kann.“

Patrick Kielty,

ist 54 Jahre alt und Ingenieur. „Als ich vierzehn war und gecaddied habe, starb innerhalb eines Jahres zuerst meine Mutter an Krebs, dann mein Vater. Ich habe einen drei Jahre jüngeren Bruder. Der Caddie Master am Beverly Country Club hat sich um uns gekümmert. Golf hat uns gerettet.“ Der Caddie Master ist derjenige im Golf Club, der die Caddies anstellt, sie den Golfern zuteilt, der sie berät und im besten Fall für sie da ist. Und er ist derjenige, der vor allem die Evans Scholars braucht. Wenn andere Caddies heimgehen, weil keine Golfer kommen, kann der Caddie Master sicher sein, die Evans-Leute bleiben. Sie müssen. Sind deshalb die Rettung, wenn spät noch Golfer kommen. „Der Mann hat dafür gesorgt, dass ich 1971 ein Evans Scholarship bekam, mein Bruder drei Jahre später. Ich wüsste nicht, wo wir heute wären ohne die Foundation. Golf wurde wirklich unsere Familie.“

Erin O’Hara,

19 Jahre alt, stammt aus Chicago und fing mit 13 Jahren im Beverly Golf Club als Caddie an. „Mein Onkel hatte ein Scholarship gehabt. Das ist bei uns in der Familie so etwas wie Tradition. Meine Großmutter hatte 15 Kinder, drei davon hatten ein Evans Scholarship.“ Und jetzt sie. Ihre Mutter arbeite bei einer Bank, ihr Vater ist Lehrer, das Studium der Radiologie an der Purdue University in Indiana hätte sich die Familie nicht leisten können. Sie kann sich noch an die erste Tour als Caddie erinnern. „Es hat geregnet, nach neun Loch wurde abgebrochen. Es hat keinen Spaß gemacht. Aber es wurde gut bezahlt.“

Bill Moses,

25 und seine Frau Nicole Chmela Moses, 28, sind beides ehemalige Evans-Scholars. Sie haben 2005 geheiratet, nachdem sie sich im Haus der Foundation auf der Marquette University in Milwaukee kennengelernt hatten. „Aber wir haben erst nach dem College gedated“, erzählt Bill, der inzwischen als Alumni-Koordinator für die Evans Foundation arbeitet. „Ich hab als Caddie angefangen, weil ich gehört hatte, es sei ein gutbezahlter Job. Und dann hab ich von dem Scholarship gehört.“ Und die Chance genutzt. Sein Vater ist Zimmermann, „richtiger Working-Class-Background, Marquette hätten wir uns nie leisten können.“ Nicole arbeitet als Studentenberater an der Loyola-University in Chicago. Bei der Hochzeit der beiden waren drei der vier Trauzeugen Evans Scholars.

Ken Kraft,

22, begann mit 13 Jahren als Caddy auf Cog Hill in Lemont. „Ein toller Sommerjob.“ Er bekam ein Scholarship für sein Buchhalter-Studium an der Marquette in Milwaukee. „Heute ist Samstag, am Montag fange ich bei Motorola in der Buchhaltung an.“ Schule sei ihm immer leicht gefallen. „Viele Leute denken, man müsse für das Scholarship nur als Caddie arbeiten.“ Man brauche aber richtig gute Noten. „Die kamen immer auf mich zugeflogen. Was mir dann am College sehr half, war, dass da immer jemand ist, der dir rät. Oder auf dem Golf-Platz, als Caddie kannst Du die Spieler fragen, dir raten lassen. Es ist ein Network-System, das gut funktioniert.“

Kevin Kissane,

43, studierte als Evans Scholar Russisch und Public Affairs an der University in Bloomington, heute arbeitet er als Real Estate Manager. „Das Evans Scholarship hat für mich das Tor zur Welt geöffnet. Ohne, naja, ich weiß nicht, wo ich heute wäre.“ So aber konnte er auch zwei Semester in Russland studieren. Inzwischen arbeitet er ehrenamtlich als Präsident der Alumni-Organisation. „Das ist meine Art, Danke zu sagen, Geld für das Programm reinzuholen. Übrigens: Zwei meiner Brüder waren auch Evans Scholars. Das ist oft so. Und das Programm ist auch noch so was wie eine Familie.“