Der Jammerlude

Reportage
zuerst erschienen 2004 in Dummy Nr. 4, S. 26-35
Aus dem Alltag eines Zuhälters: Er hat ein Goldkettchen, zwei Einschüsse in der Wand, Diabetes, einen großen, abgemeldeten Schlitten in der Garage und eine Riesenwut auf dieses Land, in dem sich ehrliche Arbeit nicht mehr lohnt. Er muss jetzt mal richtig jammern und klagen

Der Zuhälter, in seinem Wohnzimmer sitzend, lässt viel Maggi in die Nudelsuppe tropfen, extrem viel, stellt die Flasche auf den Tisch und zieht sich das leberwurstgraue Sweatshirt aus – er will es nicht bekleckern. Dann jammert er im weißen gerippten Unterhemd da weiter wo er aufgehört hat als eines seiner Mädchen die Suppe brachte. Was für ein Klagen, wie viel Tragik: Er ist mindestens 15 Jahre zu spät dran, keine Chance mehr, Großes zu erreichen, beispielsweise seinen Puff aufmachen. Sitzt in seinem Haus, einer netten Wohnstätte mit Grün davor im Neubaugebiet von Bad Rappenau, der Kurstadt, in Piefigkeit. Hier, in der geriatrischen Zone, lebt er mit Dani. Die und sein anderes Mädel schaffen im nahen Heilbronn an, einer etwas größeren Stadt mit Proll-Ästhetik. Am Telefon beeindruckte ich ihn, weil ich einiges weiß über die Gegend, ich war hier mal Lokalredakteur, kenn den Namen eines Staatsanwaltes, weiß, wo das Polizeipräsidium ist, ja, ich kenne sogar jemanden, der im gleichen Knast war wie er. Da gefällt ihm. Nun sitzen wir in seinem Eigenheim, gelblicher Rauputz, Baujahr frühe 70er, auf der Couch.

Nicht im Wohnzimmer, sondern in einem kleinen, vollgerammelten Zimmer. „Das ist mein Raum, wenn ich mal Ruhe brauche“, sagt der Zuhälter. Mit Blick in den Garten, auf den grünen Rasen mit dem vielen Löwenzahn und dem hellblauen Pool. Sein Raum: ein Durchgangszimmer, etwa drei auf fünf Meter, mit dickem Teppich und kaum noch Platz. Zuvor aber das Wohnzimmer: Couchgarnitur, an den Wänden Ölbilder, Natur mit viel Tannen, gemalt vom Großvater „einem berühmten Kunstmaler.“ Ein Blick in die Essecke, vier dicke Knarren an der Wand. „Alle legal“, sagt er. Um zur Couch zu kommen: Der Dickpolstersessel, macht er klar, ist sein Platz – muss ich mich zwischen Tisch und Schrankwand durchzwängen. Der Couchbezug ist graubraun, Blumenmuster aufgestickt. Dazu ein riesiger Fernseher und ein großes Fernrohr auf einem Gestell. „Zum Sterne gucken“ sagt er. In der Schrankwand Bücher über den Zweiten Weltkrieg und die SS, dazu Räuber Hotzenplotz, ein paar Karl-May-Bände und „Das große Schrauberbuch für Autorfahrer“. Darunter ein Zeitschriftenständer mit Herz für Tiere, einigen Playboys und Gala.

Er erzählt sein Leben, und plötzlich hat er Probleme beim Sprechen, er artikuliert undeutlich. Seine Hände zittern leicht, er macht lange Pausen beim Reden, wiederholt Sätze, und irgendwann mal sage ich: „Sie sind unterzuckert.“ Er schaut mich an, grunzt, steht auf, geht aus dem Raum. Ein paar Minuten später ist er wieder da und sagt: „Sie hatten Recht, woher wussten sie das?“ Mir war aufgefallen, dass er Kaffee mit Süßstoff trank, und das wirkt nicht wirklich macho. Außerdem hatte ich zur Begrüßung eine Ananas mitgebracht auf die er so reagierte: „Danke, aber die kann ich nicht essen.“ Nein, sagt er, nein, Diabetes behindere ihn nicht bei der Arbeit. Das hat Nähe geschaffen, danach kann man tiefer gehen. Muss nicht, aber kann. Ich will nicht sagen, dass wir Freunde wurden, aber wir erreichten eine Vorstufe.

Der Zuhälter sieht gefährlich aus. Am Anfang – vor der Unterzuckerung – versuchte er zu reden wie ein Politiker, geübte Formulierungen, im Fernsehen gehörtes, aufbereitet für den Eigenverbrauch. Nach einiger Zeit aber Brüche, weil er Milieu-Slang reinmischt. Er weiß, das muss er bieten, imagetechnisch. „Bin eingefahren, weil ich ein Mädchen auf den Strich geschickt hab´, die war nicht volljährig.“ Oder: „War 19, als sie mich das erste Mal verknackt haben.“ Der wahre Grund, warum er reden will, ist die Idee mit dem Puff. Er hatte sich bei der Stadtverwaltung Heilbronn, der das Gebäude gehört, um einen beworben. „Die wissen ja auch, dass jede Stadt ab einer gewissen Größe einen Puff braucht.“ Der Heilbronner Puff war sozusagen ausgeschrieben. Die haben dann einen von außerhalb rangelassen, ihm jedoch das Gefühl gegeben, er sei am Drücker. Nun steht er blöd da, auch in der Branche.

„Hab´ jahrelang den Wasserträger gemacht, jetzt, wo oben was frei wird, macht die Stadt so was. Fühle mich verarscht, im Prinzip hat die Stadt mich in den Arsch gefickt. Mich hat noch keiner ungestraft niedergemacht, die Stadt beeinflusst mein Leben massiv, ich entscheide normal selbst.“ Ganz ruhig: „Das verstößt gegen die guten Sitten und den Anstand, was die Stadt da gemacht hat.“ Das ist seine Tragik, deshalb immer wieder dieser Kummer, dieses: Ich bin ein Opfer. Hat sich hochgedient, jahrelang. Das heißt Schlägereien, Geballer, blöde Weiber. Er hat für große Heilbronner Zuhälter in guten Zeiten den Butler gemacht. Mit viel Loyalität und niederen Arbeiten die Hierarchieleiter hoch, ganz langsam, wie’s sich gehört. Und jetzt, er ist oben angelangt, gelten plötzlich neue Regeln. Gerade als er es geschafft hat, seine Konkurrenten sind tot oder in Spanien, gerade also ist er am Ziel, er wäre jetzt dran. Schwupp! gilt nicht mehr, was immer galt. Für ihn völlig überraschend.

Ja, früher: „Da haben die Jungs einen Laden gekauft, eröffnet und gewartet, was passiert. Ich aber renn rum, sammle alle Genehmigungen, Behördengänge noch und nöcher und krieg einen in die Eier.“ Er will nicht blöd da stehen. Mit seinem riesigen Oberkörper. Ein Fitness-Studio-Typ, zu aufgepumpt, um gut auszusehen, aber auf jeden Fall furchteinflößend. Lange Arme, dicke Bizeps, Sonnenstudiobraun, Kotletten, Schnauzbart, schwarze Haare und der Beginn einer Glatze auf dem Kopf, eine große Nase, die schon mal gebrochen war. Die Haare sind gefärbt, so ein Schwarz gibt es selten. Seine Augen: beeindruckend, stechend, dunkel, wirken wie die eines geschminkten Heavy-Metal-Gitarristen. Sein Unterhemd weiß, gerippt, freie Schultern. Am linken Oberarm tätowiert „ne Knastsache“. Soll ein Henker sein, erkennt man aber kaum. Am rechten Arm Goldkettchen, Kette am Hals. Er lässt extrem viel Maggi in die Suppe tropfen.

Der Zuhälter will die Tragik seines Lebens veröffentlicht haben. Die guten Zeiten der Prostitution seien vorbei, die Leute sollten das wissen. Würde er nie zugeben, aber verkürzt ausgedrückt: Ihm geht es um Mitleid für die armen Zuhälter und darum, der Stadtverwaltung Heilbronn eins reinzuwürgen. Er will, dass alle wissen: Schuld hat der Staat, „also ich habe keinen Respekt mehr vor dem Staat“. Schuld hat das Internet, Schuld hat … Es folgt eine lange Liste. Schuld hat die Gesellschaft, ihre neue Moral, heute könne jeder fremdgehen, in jeder Disco seien Mädels, die Sex wollten, zum eigenen reinen Vergnügen, einfach so, ohne Geld. „Heute kannst Du doch überall Weiber abschleppen, das war früher anders.“ Außerdem „haben die Leute weniger Geld übrig“. Im Fernsehen nackte Frauen. Heftchen, Videos an jeder Ecke, „ja, wegen den Videorekordern gab es massiver Einbrüche bei uns“. Kassetten sind leicht zu besorgen, selbst für katholische Dorfpfarrer. „Dann die Scheiß-Swinger-Clubs und Singleclubs, und wie die Kacke noch so heißt, die haben uns den Rest gegeben.“ Außerdem Nutten ohne Zuhälter in Apartments. Nutten ohne Zuhälter, verdammt nochmal. Und „Barbaren“ aus Jugoslawien, Albanien und Russland, die sind einfach eine Nummer härter als die deutschen Jungs, muss er zugeben. Ihm kann zwar keiner, aber: „Wir haben auch eine Krise, weil der Ostblock reindrängt.“ Außerdem Aids.

Und die Amis sind weg. Früher war eine US-Garnison in Heilbronn, die GIs waren Business. Statt Kaserne jetzt Gründerzentrum. Außerdem die Stöhn-Telefonnummern, die Geld einspielen. Nur seine Mädels nicht. Stehen auf dem Straßenstrich rum und gehen zu selten beruflich in die Wohnwagen. Da am Sportplatz, nahe dem Bau, in dem früher Telefunken war, sind nur seine zwei Mädels, sonst keine, „zwei, drei mehr wären gut für die Optik“. Früher hatte er sechs Mädels laufen, „eine große Familie“.

Zuhälter sein sei kein Zuckerschlecken, der solide Bürger habe eine falsches Bild: „Bei dem Stress, den ich auf der Piste hab, da würden sich andere nach ‚ner Weile die Kugel geben.“ Er weiß aber auch: „Wenn ein Zuhälter jammert, sagen alle: Geschieht dem Arschloch recht.“ Er wolle nicht jammern, nur: „Älter werden wir halt auch alle.“ Sitzt in diesem großen Sessel und jammert und jammert und jammert. „Ich bin jetzt 43 und hab mir schon vor Jahren überlegt, dass es so nicht weitergehen kann“, deshalb die Idee mit dem Puff. „Wir haben Geld immer unter die Leute gebracht. Da sollte die Regierung mal dran denken, die USA zeigen doch, weniger Steuern, mehr Geld wird ausgegeben, bessere Geschäfte, mehr Steuern, Wirtschaft floriert. Bei uns pennen die. Wenn ich 10000 hab, verballere ich 8000 davon. Aber ich hab nie übertrieben, deshalb bin ich einer der wenigen, die noch übrig sind.“ Er habe sein Leben lang in Sachwerte investiert, große Autos vor allem.

Ein paar Tage später: Mehr Gründe für den Niedergang des Milieus, er wiederholt sich wortwörtlich, klingt inzwischen aber nicht mehr nach Politiker, sein schwäbischer Dialekt wird breiter. Dani trägt eine richtig große Brille, schrille Seventies, mit gelben Gläsern und ergänzt: „Das Freizeitangebot heutzutage ist auch größer und die Leute geben ihr Geld nur noch für Markenartikel aus.“ Ich: Früher war alles besser – sagen doch alle. Er: Schon, aber es stimmt, das Milieu war früher besser. „Milieu“ sagt er oft, mit Stolz, trotz der Krise. Und „solide“. Solide sind Frauen, die sich nicht prostituieren. Oder Menschen, die mit dem Milieu nichts zu tun haben. Das Wort solide fällt etwa 20 Mal. Er mag solide nicht, macht sich lächerlich darüber, bieder ist das für ihn. Gleichzeitig sehnt er sich danach, nach Eigenheim und Sozialversicherung. Sein Haus, die Beinahe-Villa, hat sein Vater aus Steuergründen gekauft und bereits abbezahlt. Es hat tatsächlich wie angekündigt zwei Einschusslöcher in der Wand, eins im Garagenanbau, eins neben dem Wohnzimmerfenster.

Neben der Tür ist ein Schild, das vor dem Hund warnt, ein anderes, das vor der Pistole des Hausherrn warnt, dann noch ein kleines, auf dem steht sein Nachnahme und „Industrievertretung“. Später erklärt er, er sei aus Sozialversicherungsgründen bei seinem Vater angestellt, das sicher Rente, Pflege, Krankenkasse.

Auf seiner Couch: Vorhänge vorm Fenster, hölzerne Schrankwand, Plüsch, Schmuckkissen, dicke Sessel, alles eng aneinander, kaum Platz, um sich zu bewegen. Er redet über Sozialversicherung, Altersversorgung, den Staat, der nicht richtig funktioniere, ganz Stammtischbruder. Das Haus, die Einbauküche, die Eckbank, die Fliesen am Boden – Klischee und Wirklichkeit sind hier eins. Ein Privatsender dudelt im Hintergrund. Der Zuhälter erzählt von den guten Zeiten. Von seiner Freundin und den, naja, Angestellten. Die Freundin schenkt Kaffee nach, sie holt, er zeigt die Fotoalben. Grillbilder, Urlaubsfotos, „Italien, das war schön, da hatten wir einen Bungalow gemietet“. Mama, Papa, Weihnachten, Silvester, viele Fotos vom Autowaschen und vom Hund. Dann Videofilme. 18 Jahre alte Partyfilme. Ungesund überdimensionierte Männer in muskelbetonenden Kleidungsstücken und mit langen Haaren sind furchtbar laut und essen von Papptellern, Musik von Deep Purple und Black Sabbath übertönt alles. Keine Frauen? Dani, die Freundin, antwortet: „Frauen arbeiten, die kommen erst so gegen zwei oder drei dazu.“ Den beiden geht es jetzt gut: Das ist der Beppo, kannst Dich an den noch erinnern? Der da sitzt seit neun Jahren im Knast. Der ist tot, Moment, der auch. Der ist ziemlich fertig, Drogen. Und der lebt in Spanien. Der da, am Tisch, war da aus dem Knast ausgebrochen, kam zum Fest, sie haben ihn erst Monate später erwischt. Sie: Hat der sich nicht gestellt? Er: nein, nein. Der Besuch in der guten Zeit dauert lange. Sie sind beide auf den Filmen jünger, er noch mit langen Haaren. Sie sagt: „Da hast Du aber noch jung ausgesehen.“ Er deutet auf den Schirm: „Der war damals mein Butler.“

Dani ist nett, sehr drall, mit Airbagbusen und freundlichem Gesicht, sie hat Jeans an, in die sie entweder eingenäht oder mit dem Schuhlöffel reingedrückt wurde. Redet offen, hat ab und zu witzige Kommentare, naja witzig, so etwa: „Die Freier zahlen 30 Euro und denken heutzutage, dafür gibt es eine Hochzeitsnacht“. Jaja, auch sie: früher war alles besser. „Mies ging es uns nur, als das mit dem Aids aufkam. Da war Ebbe.“

Sie muss in die Küche, heute Abend kommen seine Schwester und ihr Mann, zum Spargelessen, sie schält jetzt. Der Zuhälter schlabbert Nudelsuppe, dazu Autobiografie: Er kommt von den Fildern, das heißt aus der ländlichen Umgebung von Stuttgart. „Bin stocksolide erzogen worden.“ Vater selbstständiger Kaufmann. Mutter Hausfrau. Mechaniker gelernt beim Daimler in Untertürkheim, danach Arbeit als Formbauer, schickte nebenbei eine Minderjährige auf den Strich, Knast, 13 von 24 Monaten abgesessen. „Kam auf Bewährung raus, und hab für ‚ne Firma gearbeitet, aber mein Geld nicht gekriegt, lange Gelegenheitsarbeiten. Bei einem Abbruchunternehmer, der hat mich nicht versichert, obwohl er gesagt hat, er würde es machen. Der machte bankrott, ich zum Arbeitsamt, bekam kein Arbeitslosengeld.“ Also zum Sozialamt. „Hatte einen Pontiac“ – hatten Sie damals wieder Mädchen laufen? – „Ich hab ein unstetes Leben geführt, mal hier eine, mal da eine, die gaben mir ein paar Mark, so fing das an.“ Sozialamt. „Bin hin im Pontiac. Was sollte ich machen? War mein einziger Wagen damals. Die haben 263 Mark gezahlt. Ich frage: Kann ich morgen wiederkommen? Der Typ sagt: Das muss einen Monat reichen. Ich erkläre: Wenn ich tanke und essen gehe, ist das weg.“

Wo geht man in so einer Lage hin? Zum Bewährungshelfer. „Dem hab ich gesagt: soll ich einbrechen, oder? Sagt der: Nee, das wär ein Verstoß gegen die Bewährungsauflagen.“ Er bekommt eineinhalb Jahre auf Kosten des Arbeitsamts Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung, arbeitet schwarz. „Mit den Kursen war ich zehn Jahre zu früh, das wurde später Mode.“ Anfang 1981 ging er nach Heilbronn und arbeitete bei Hannes – den hatte er im Knast kennengelernt – im Hardrock-Café. „Davor hab ich in Kirchheim als Disco-Rausschmeißer gejobbt.“ Gibt es das Hardrock noch? „Ist heute Döner.“ Er bekam noch ein Jahr auf Bewährung dazu. „Einfach so.“

Er hätte über Hannes einen Job in Frankfurt bekommen können, Türsteher oder so was. Der Bewährungshelfer sagte nein. „Meine Freundin ging fremd, da sagte ich mir, nie mehr ein solides Mädel, wenn die sowieso nicht treu sind, können sie auch für mich anschaffen und mir Geld verdienen.“ Es sah so aus, als könne er in Esslingen einen Laden wiederaufmachen. Der Typ, dem er gehörte, saß im Knast. „Seine Frau machte einen anderen Schuppen im Schwarzwald, ich sollte den in Esslingen machen.“ Am Tag der Wiedereröffnung brannte er ab. „Weihnachten 83, da stand ich mit meinem Ford Granada. Wo soll ich hin? fragte ich einen Polizisten, der sagt, nehmen Sie ein Zimmer im Hotel. Ich bin zu meiner Schwester.“

Versicherungsbetrug? „Möglich.“ Er zog weiter zu Hannes nach Heilbronn. „Als ich bediente im Hardrock-Café, da war ich schon beeindruckt von de Typen, die da laut reinkamen, mit viel Geld in der Tasche und das rausgehauen haben.“ Sind heut alle weg, in normalen Berufen, das war mir schnell klar, aus denen wird nichts im Milieu, zu blöd für.“

Er dient sich hoch: „Hab für Hannes die tägliche Arbeit gemacht, er hatte ja viel um die Ohren. Ein Zimmer in seiner Wohnung. Hab das Frühstück gemacht, war sein Butler, kann man so sagen. Er hat mich immer als seinen Sekretär vorgestellt.“

Später erzählt er von großen Augenblicken. „Hannes sagte, ich fahr heut Abend in die Schweiz mit meiner Alten. geschäftlich, wasch das Auto, um drei oder vier war das Auto fertig, auf dem Hof waren noch andere am Waschen, tolle Atmosphäre, Musik durch das offene Fenster von Hannes.“ Wo hat Hannes gewohnt? „Südstadt, bei Knorr, das was so das Zentrum. Dann kam er top aufgestylt, Alte dabei und ein paar Tausender in der Tasche.“ Das Auto hat er heute, einen Excalibur, eine Replica auf Chevy-Basis, ein paar Hundertausender wert. Werde er nachher zeigen. Kaufte es dem Hannes ab, als der am Boden war und Geld brauchte. „Mir ist es ja eher peinlich, wenn ich mein Auto nicht sehe, weil die Leute dicht davor stehen, aber der Hannes, der stand da drauf. Ich bin eher der dezente Typ.“

Und ein „Jesus-Autofreak. Ich brauch, wenn ich mein Auto richtig putze, zwei Tage für.“ Hannes war sein Lehrmeister. Nach ein paar Jahren zog er los, nach Mühlheim, einen kleinen Teilort des schon kleinen Ortes Sulz. „Der Schuppen hatte keine Lizenz, aber Tag und Nacht ist das Telefon gegangen, wir haben Werbung in der Zeitung gemacht. Top-Adresse mit Sauna und Bar, fünf, sechs Frauen, haben gut verdient. Die Frauen haben Miete bezahlt, 100 Mark am Tag und bekamen die Hälfte von den Getränken. Jede kam auf 1000 Mark am Tag. Wir haben Krimsekt für 350 verscheuert, für 20 eingekauft, die Mädels haben getrunken, was ging.“ Die Polizei machte ständig Ärger, die Kundschaft musste ständig den Führerschein zeigen, Alk-Tests machen Irgendwann waren fünf Scheichs da, „echte Ölscheichs, waren bei Mauser in Oberndorf, Taxichaffeur brachte die für Prämie. Mitten drin, der Obersaudi lag auf Frau, tritt das Einsatzkommando, 20 Mann, die Tür ein.“

Bis dahin sei alles schön gewesen: Morgens den Hund ausführen, mittags Kuchen kaufen, immer alle zusammen. „Zwei Mädels hatten Küchendienst, wie eine Familie, war eine schöne Zeit.“ Drei Monate lang. Damals hat er Dani kennengelernt. Sie ist gerade wieder da, schenkt Kaffee nach. Kommt aus der Gegend da unten. Als das Einsatzkommando Schluss machte, schickte er sie nach Heilbronn, zu Hannes, ins Je t’aime. Sie nickt, sagt: „Das war ein Abenteuer.“ Sie komme aus einem soliden Haushalt, das sei so was wie ein Ausbruch gewesen. Führ ihn war es hart. „Plötzlich saß ich mit meinem Hund allein da, ein Doggenmischling, aus dem Tübinger Tierheim, imposante Größe.“ Er fuhr ständig nach Heilbronn. Heimweh. Schließlich zog er um. „Oben drin im Hardrock Café, da haben alle gewohnt, beim Hannes. Der hat auch die Rewell-Jacken von René Weller vertrieben.“

Nach einem Jahr weiter nach Untereisesheim. „Drei Jahre unter Bauern.“ Mit zwei Hunden, er hatte noch einen Rottweiler gekauft.

Dani war dabei. „Damals habe ich ein Gespräch mit dem Papa gehabt. Wenn ich gemacht hätte, was der wollte, wäre ich schon lange arbeitslos.“ Vater weiß seitdem, was der Sohn macht. „Klar, die Eltern haben die Dani kennengelernt und gesehen, das passt.“ Papa stellte Sohn pro forma ein. Kaufte das Haus.

Es ging aufwärts. „Der Hannes hatte großes Vertrauen, der hat gemerkt, dass ich nicht blöd bin.“ Es war die Zeit, als die Hamburger Zuhälter versuchten, ganz Deutschland zu übernehmen. „Hat ja überall geklappt, nur nicht in Heilbronn.“ Da ist er stolz drauf, das ist seine große Geschichte. Die Clique in Heilbronn, 20 Mann, „hatten Partys für ganz Deutschland“.

Die Leute aus Hamburg kamen zu dritt, im 500er Coupé. Lalajojo heißt eigentlich anders aber der Zuhälter sagt, wenn der richtige Name auftauche, würde der mich verfolgen „bis in die Steinzeit. Lalajojo hatte einen Morgenstern, Heilbronn hatte eine Hierarchie: oben Hannes, Lalajojo und noch einer, darunter ich und noch wer. Der Lalajojo (der Zuhälter benutzt den richtigen Namen) war komisch. Hat sich gern verhauen lassen.“ Vom Hannes. „Die hatten ein komisches Ding laufen, anfangs hat der Hannes den Lalajojo verprügelt, die waren danach die besten Freunde, ganz seltsames Ding.“ Auf jeden Fall, die Hamburger kamen, Lalajojo packte den Morgenstern in eine Plastiktüte. „Wir waren draußen mit einem Kofferraum voller Knarren. Lalajojo wollte sich verprügeln lassen, wär ne gute Presse gewesen. So war der drauf.“

Aber so lief es nicht. Plötzlich dreht Lalajojo durch, holt den Morgenstern aus der Tüte, wütet die drei Hamburger vor die Tür. Rennen zu ihrem Auto. „Vorbei an 20 Mann, alle Knarren in den Händen, mitten auf der Neckarsulmer Straße.“ Was für eine Knarre hatten Sie? „Ne dicke zweiläufige Schrotflinte. Die sind auf vier platten Reifen auf die Straße. War ein großer Augenblick.“ Er schließt die Augen und genießt den Augenblick. Nein, geschossen sei nicht worden. Kurz darauf haben sie den Club der Hamburger in Heilbronn gestürmt, das Curazon. Der Club sei zweimal abgebrannt. Und? „Ich gelte als Pyromane.“

Sie gründen den Car Club Heilbronn, „weil wir alle Auto-Fans waren“ und noch einen Kegelclub, „haben nie gekegelt“. Warum dann Kegelclub? „In der Kasse war Geld, wenn mal einer aus dem Knast kam, gab es Unterstützung. Jeder zahlte 50 Mark im Monat.“ Er ist Kassenwart, „auf meinem Ordner stand geheim, als die Bullen die Hausdurchsuchung machten, ließen sie den stehen, weil geheim draufstand, die dachten, das ist ein Witz, so entging denen, was sie suchten.“

Dani kommt wieder rein, mal schauen ob alles in Ordnung ist. Ihr Zuhälter sagt zu ihr: „Hol mal die Jacke!“ Sie holt sie, hält sie hoch: schwarzes Leder, hinten drauf ist ein Indianer mit einer Hakennase und einer langen Feder. Drumherum steht: One for all, all for one. Er redet über Zusammenhalt, Freundschaft. „Wir leben seit 16 Jahren zusammen, die Gabi ist seit sechs Jahren dabei, andere wechseln.“

Dani geht mit der Jacke wieder raus, ich frage: Eifersucht? Er zuckt die Schultern. Sie seien nicht die besten Freundinnen, aber sie kämen klar. Nein, ich meine Sie. „Ach was, ich weiß, meine Mädchen lieben nur mich. Für die ist es einfach so. Mit der einen leb ich zusammen, mit der anderen gehe ich joggen oder ins Training.“ Die andere kommt nachher. Dann fahren sie los, im Mustang Cobra Jet, nicht im Excalibur. Holen die beiden Wohnwagen vom Rastplatz, fahren nach Heilbronn. Wie immer außer zur Urlaubszeit, wenn Volksfest ist auf der Theresienwiese, nahe beim Strich. „Dann können wir nicht arbeiten, da gehen wir nach Italien.“ Freie Tage? Früher stark hätten sie ihr Geld freitags und samstags gemacht, heute vor allem montags. Arbeitszeiten? 7 bis 11 im Winter, 9 bis 12 oder 1 im Sommer. „Wenn ein Lauf ist, bleiben wir länger.“

Weiter mit der Historie: Lalajojo und Hannes verloren an Reputation, denn es gingen Aussageprotokolle der Polizei rum, in der sie über die Hamburger plauderten. Da drängte der Ostblock schon rein. Und Aids war da. Hannes hatte inzwischen den alten Heilbronner Puff übernommen. Aber da war er schon auf dem Weg nach unten. „Er hatte keinen Führerschein mehr, seine Bauchspeicheldrüse war kaputt. Alkohol. Ich hab ihm das Auto abgekauft.“ Den Excalibur. „Er hatte Schulden bei mir und ich gab ihm noch Geld, 80000 Mark so etwa. Ein halbes Jahr später ist er im Suff vom Dach gefallen. Den Schlüssel hatte er verrückterweise in der Tasche, dachte, er hätte ihn nicht dabei, ist wie immer rausgeklettert, im sechsten Stock, auf seinen Küchenbalkon. Diesmal hat es nicht geklappt, war blau. Ging immer zur Tanke, Alk kaufen, vergaß oft den Schlüssel.“

Hannes fiel auf den Hof, auf dem sein Butler früher das Auto wusch. Selbstmord? Der Zuhälter sagt nichts. Nach langer Pause: „Der Hannes, die Eltern hatten ‚ne Gärtnerei, der hat so einen grünen Touch gehabt, hat sich jedes Problem von anderen reingedrückt, hat immer versucht zu helfen.“

Lalajojo macht noch in Apartments, kommt einigermaßen rum damit. „Viele sind abgewandert, 89 ist der Volker erschossen worden, wurde im Baggersee gefunden, er hat immer zu viel angegeben. Der Peter ist ertrunken, keine Ahnung wie.“ In den noch nicht ganz so schlechten Jahren, in denen nach Hannes, war die Aufteilung einfach gewesen: Lalajojo die Wohnungen, Harald den Puff, er den Straßenstrich.

Dann starb der Puffbesitzer, der Schwiegersohn übernahm, Harald, der Pächter wollte auch nicht mehr. Der Zuhälter hatte die Idee mit dem Puff. Ein Kumpel, der sonst in Sicherheitssysteme macht, „kein schlechter“, kauft das Gebäude: „Ich hätte von ihm gepachtet. Eine Million für den Kauf, 2 bis 300 000 in die Renovierung. Wär offiziell gewerbliche Zimmervermietung, bringt 150 000 Mark Miete im Monat, da wären 30, 40000 übrig geblieben.“ Ich weise darauf hin, dass wir in der Euro-Zeit angekommen sind. Er: „Ach, Scheiße.“

Wenn das mit dem Puff geklappt hätte, dann wäre er in der neuen Zeit angekommen. Also er mit dem potentiellen Käufer zur Stadt, wegen der Baugenehmigung. Sie bekamen ein Fax: Das könnte was werden. Der Partner ging damit später zum Anwalt. Jedoch: das Fax hat nur ein Beamter unterschrieben, zwei hätten es sein müssen, dann wäre damit vor Gericht was zu machen gewesen. So nicht. Zuvor hatte der Beamte gesagt, die Stadt will die Gegend entwickeln. Die Südstadt solle schön und puff-frei werden. In S3 und S7, so hieß der Puff in Heilbronn, sind jetzt Asylbewerber drin.

Der Beamte sagte, die Stadt brauche natürlich einen Puff, wenn sie ein gutes Objekt wüssten, wäre was machbar. Er stehe oben auf der Liste. „Klar, die Polizei hat mich empfohlen, die wollen keine schrägen Vögel von außen, die kennen mich.“ Moment. Aus der Tiefe der Schrankwand holt er ein paar Zeitungsartikel. Sogar die Lokalzeitung meldete, „der Organisator des Straßenstrichs, der zu den führenden Figuren des Unterländer Lustgewerbes zählt, wird im Rathaus als zukünftiger Betreiber des neuen Bordells favorisiert“. Also fuhr er durch Heilbronn, ahnte eine Zukunft und besichtigte Gebäude.

„Das dritte war’s, ganz klar. Hab ich der Stadt gesagt.“ Da drin ist heute der Heilbronner Puff. Nur: Betreiber ist wer anders. „Ich bin der Idiot, die lachen sich einen ab.“ Er beantragte einen zweiten in einem anderen Viertel. Wurde abgelehnt, wäre ja Konkurrenz für das städtische Bordell gewesen, sagt er.

Es gab Hickhack, im Puff war Buttersäure, ihm konnte nie was angehängt werden. Auf sein Haus wurde zweimal geschossen, eines seiner Autos zersiebt. Der Puffboss, ein Heidelberger, der in ganz Süddeutschland rumhuren lässt, habe eine Rockergruppe angeheuert, als Geschäftsführer. Ab und an geraten sie aneinander, kein Wunder: Puff und Straßenstrich in Heilbronn liegen nun nahe beieinander. „100 Meter neben meiner Existenz, die Polizei hat den Kopf geschüttelt.“ Er beruft sich jetzt viel auf die Polizei, benutzt nicht mehr das Wort Bullen wie gestern noch.

Gabi, die zweite Mitarbeiterin, ist jetzt da. Blond, mollig, im Jogging-Outfit. Sie grüßt, ich versuche eine kleine Konversation, während der Zuhälter aufs Klo geht, aber sie ist zu schüchtern. Er kommt zurück, zeigt wiedermal die Einschusslöcher neben der Haustür. Irgendwer wollte ihn da warnen. Lächerlich, sagt er, und dass er natürlich gleich die Polizei angerufen habe damals. Sie waren auf der anderen Seite, auf der Terrasse. Aber gehört hat er die Schüsse natürlich.

Wir gehen zur Garage, er öffnet das Tor. Da: der Excalibur, mächtig, ohne Nummernschild. Abgemeldet.