Lady Shoe Shoe

Portrait
2008
Bata ist in manchen Sprachen ein Synonym für Schuh. Der Besuch bei Sonja Bata, 81 Jahre alt, der Herrin über das Schuhimperium des größten Herstellers der Welt, in ihrem Museum in Toronto wird zum irrealen Erlebnis, weil die Frau perfekt und jung ist. Und weil 14 Tage zuvor ihr Mann gestorben ist, sie den Termin aber nicht verschieben wollte

Sie betritt das „Bata Shoe Museum“ in Toronto, ihr Museum also, fünf Minuten vor der verabredeten Zeit. Grelle Sonne strahlt die Frau von mehreren Seiten durch hohe Glaswände an, ihr Gesicht scheint in diesem Licht papierweiß, unwirklich, ihr halblanges Haar tiefschwarz.

Sie ist 81 Jahre alt, wirkt auf zehn Meter Entfernung jung, weil sie groß ist und kein bisschen gebeugt. Ihr hellgrauer Hosenanzug, elegant, aber nicht auffällig, betont lange Beine. Blick, natürlich, zu den Schuhen, das ist die Frau, deren Firma mehr Schuhe hergestellt hat, als auf der Welt Menschen leben. Besser: mindestens vier Paar pro Erden-Bewohner, mehr als 40 Milliarden Schuhe. Ihre sind schwarz, flach, aus Leder, nicht Aufsehen erregend, enttäuschend also, denn dies ist Sonja Bata.

Sie ist tatsächlich gekommen. Ein paar Tage vor dem verabredeten Treffen ist ihr Mann gestorben, im Alter von 93 Jahren. Thomas Bata: mehr als ein halbes Jahrhundert größter Schuhhersteller der Welt. Der Bata-Konzern, auch weltgrößter Familienbetrieb, hat noch 5000 Läden in 50 Ländern, 40 Fabriken über die Welt verteilt, mehr als 40.000 Angestellte. Es waren mal fast 80.000, als noch alle Fabriken auf Hochtouren arbeiteten, als Bata nach dem Zweiten Weltkrieg die Globalisierung erfand. Jedes Land bekam eine Bata-Fabrik. Weil die Zölle hoch waren, wurde vor Ort für dort hergestellt.

Vorsicht: Es ist der Fehler, den alle machen, Sonja Bata nur als Gattin zu sehen, sie über die Firma erklären zu wollen, über ihren Mann. Dabei ist sie die junge Schweizer Architekturstudentin, die mit 19 Jahren Thomas Bata heiratete und anfing, mitzuarbeiten, den Weltkonzern zu gestalten. Auch die Frau, die fast 20 Jahre im Aufsichtsrat von Alcan saß und dabei war, als die kanadische Firma größter Aluminiumhersteller der Welt wurde. Sie war mittendrin, nicht die Gattin, die publicity-trächtig Charity oder Kulturzeug machte. Naja, das hat sie auch gemacht, aber nebenher.

Sonja Bata geht schnell durch den Raum und fragt aus drei Metern Entfernung: „Wir sind verabredet?“ Sie spricht deutsch. Nun, aus der Nähe, ist ihr Alter zu sehen. Ihre Schönheit auch. König Faruk von Ägypten, der legendäre Playboy, hatte sie vor 50 Jahren mit Einladungen für ein Wochenende überhäuft. Sie ignorierte ihn. Es ist, jetzt, in diesem Augenblick, von Angesicht zu Angesicht mit der 81 Jahre alten Frau, offensichtlich, warum der König ansprang.

Sie deutet zum Aufzug, geht voran, sagt, sie würde gerne englisch sprechen, ob das möglich sei: Bei der Fahrt nach oben fällt sie nach ein paar Sätzen wieder ins Hochdeutsche. Sonja Bata hat eine besondere Stimme und sie spricht auf eine eigene Art. Klingt etwas tief, ein bisschen rau, und da hört man einen Rhythmus, fast als würde sie singen. Sie spricht leise, ist gewohnt, dass man ihr zuhört, springt hin und her zwischen Deutsch und Englisch. Schwyzerdeutsch könne sie nicht mehr.

Drei Themen seien ihr wichtig. Das Museum. Ihr Mann. Wenn noch Zeit bleibe, Batawa. Auf: Ich würde gerne was über Sie erfahren, Ihr Leben, wie Sie aus Zürich hierherkamen, lacht sie, sagt „Nein“. Passt. Sie ist freundlich, nett, gleichzeitig aber bestimmt und gewohnt zu bestimmen.

In dem Konferenzraum mit dem großen Tisch und der Glaswand ins Foyer kommt es zu einer heiklen Situation: Es wäre Zeit, Beileid auszudrücken, irgendwas zu sagen. Es muss sein. Sie würdigt den Versuch, lächelt, sagt „Danke“. Es folgt eine Pause und: „Sie haben Pech gehabt, ihn nicht mehr kennenlernen zu können.“ Ein genauerer Blick auf ihre Schuhe. Sie weiß sofort, warum. „Die müssen nur bequem sein, sonst nichts“, sagt sie, lacht laut, zieht die Füße unter den Stuhl und sagt kokett: „Ja nicht hinschauen.“

Ihre Rolle als Aufsichtsrätin bei Alcan, bei der sie, so hat ein Teilnehmer von damals vorab erzählt, legendäre Momente verursachte, beschreibt sie oben im Konferenzsaal so: „Ich war die einzige Frau, ich konnte die Fragen stellen, die sonst keiner zu stellen wagte. Es waren wohl die richtigen Fragen.“ Sie zieht ihre Schultern hoch, als sie das sagt, lächelt. „Ich habe das pragmatisch gesehen: Es war ein Vorteil, Frau zu sein. Die Männer wussten genauso wenig, konnten aber nicht fragen.“ In den Aufsichtsrat sei sie, um zu lernen, für den Bata-Konzern.

Sonja Bata diente als Türöffner: Stundenlang spricht Thomas Bata mit Indira Gandhi über die Probleme mit den indischen Steuern und den Gewerkschaften und was noch alles dem Konzern das Leben in Indien schwer macht. Er dringt nicht durch zum Staatsoberhaupt, Gandhi hört zu und floskelt ein bisschen. Am Ende der Audienz sagt er noch, dass seine Frau, Botschafterin des „World Wildlife Fonds“, in Sorge sei um den indischen Tiger. Gandhi taut auf, gibt am nächsten Tag die Zusatz-Audienz, bekommt stundenlang Information über die gefährdeten Großkatzen von Sonja Bata. Tage später, ohne dass nochmal darüber gesprochen wurde: alles Entgegenkommen, das der beim Tigergespräch daneben sitzende Gatte von der indischen Regierung nur erträumt hatte. Steht so in seiner Autobiografie „Shoemaker to the world“.

Sie hat der Firma gutgetan: Obwohl die inzwischen einige Fabriken dichtgemacht hat, stellt Bata noch eine Million Schuhe pro Arbeitstag her, meist werden die unter dem eigenen Namen verkauft, manche aber für andere Marken produziert. Es gibt Länder in Afrika, in denen Menschen „Bata“ sagen, wenn sie „Schuh“ meinen. Der Familienname wurde Synonym in Stammesdialekten an der Elfenbeinküste, in Kamerun, im Senegal. Bata ist Marktführer in Indien, Indonesien, Malaysia, Brasilien, Chile, Mexiko, fast überall im Westen Afrikas. Städte, die nach der Marke oder der Familie benannt sind, heißen: in Kanada Batawa nahe Toronto. In West-Bengalen, Indien, Batanagar. In Kashmir, Indien, Batagunji. In Pakistan Batapur. In Bangladesh Batapura. In Brasilien Bataguassu und Batatuba. In den Niederlanden gibt es Batadorp.

Der Termin heute mit Sonja Bata war Wochen vorher abgemacht, nach langem Hin und Her. Nach dem Tod ihres Mannes kam keine Nachricht von Rosmarie, Sonja Batas Sekretärin. Leute, die Sonja Bata kennen, sagten: Sie wird kommen. „She is strict, very strict“, beschreibt sie einer, der in mehreren Gremien mit ihr saß. Sonja Bata ist der Mittelpunkt des Netzes, der Punkt, an dem alles zusammenläuft in Toronto. Business, Kunst, Gesellschaftliches, jeder hat mir ihr zu tun. „Sie wird da sein, das Museum vorstellen und kein Wort über den Tod ihres Mannes verlieren, so eine Frau ist sie“, sagt wer anders.

Sonja Bata saß und sitzt also in vielen Aufsichtsräten und Gremien. Lange beim „Canada Trust“, als die Bank die größte des Landes wurde. Bei anderen Banken. Ist in den Aufsichtsgremien von Krankenhäusern, Museen, Theatern. Bekam Orden von der Queen, Ehrendoktorwürden diverser Unis. Rettete Tiger für den „World Wildlife Fond“. Leitet die Bata-Stiftung, die weltweit Gutes tut. Ist Vorsitzende des Rates, der erfolgreiche kanadische Geschäftsleute in die „Business Hall of Fame“ aufnimmt. Um dafür vorgeschlagen zu werden, muss man richtig viel Geld gemacht oder ein Ding wie das Blackberry auf dem Markt gebracht haben. Dann nimm dich Sonja Bata vielleicht in die „Hall of Fame“ auf. Sie hat das Schuhmuseum gegründet, davon will sie erzählen.

Dem kanadischen Architektur-Star Raymond Marakuma gab sie den Auftrag für die gigantisch dimensionierte Schuhschachtel mit Glaswänden, deren Deckel verschoben ist. Ein Schuhmuseum müsse aussehen wie eine Schuhschachtel, sagt sie. Seit es 1995 an der Bloor Street eröffnet wurde, ist es die glänzende Perle der Prachtstraße. Prada, Louis Vuitton, Yamamoto, alle kamen, nach dem Schuhmuseum. Das war auch der Anfang des Architekturbooms in Toronto. Inzwischen hat der Norman Foster, Daniel Libeskind, Frank Gehry, Frank Alsop angelockt. Das „Bata Shoe Museum“ war der Anfang.

Von ihrem Mann spricht sie oft im Präsens, selten in der Vergangenheit. Er ist noch keine zwei Wochen tot, das könnte normal sein. Das Seltsame an diesem Gespräch ist: Sonja Bata erzählt von Thomas Bata senior, den sie nie gesehen hat und von Thomas Bata junior, und die beiden sind nicht zu unterscheiden. Bei der Lektüre der Bücher über Thomas Bata senior und der Autobiografie von Bata junior taucht dasselbe Phänomen auf. Der Vergleich zwischn Vater und Sohn macht die beiden beschriebenen Charaktere zu einem.

Vater baut den größten Schuhkonzern der Welt auf, ist ein Parade-Patriarch mit Mitarbeiterbeteiligungen schon in den 20er Jahren, eigenen Akademien, Sozialversorgung für die Mitarbeiter. Seine Mitarbeiter müssen sich bilden, bekommen Stipendien. Firmenwohnungen, für die Le Corbusier Entwürfe gemacht hatte.

Die Nazis und die Kommunisten zerstören das unternehmerische Werk. Bata junior wiederholt, was der Vater gemacht hat, baut aus dem Nichts den wieder größten Schuhhersteller der Welt auf, diesmal mit Sitz in Kanada. Beide waren leidenschaftliche Flieger, Skifahrer, Workoholics, Pedanten und ständig unterwegs. Familienmenschen ohne Zeit für die Familie. Immer wieder versucht Sonja Bata, das Gespräch auf die beiden Männer und ihre Visionen zu lenken. Sich will sie klein darstellen und wirkt dabei souverän. Sie weiß, was sie gemacht hat in ihrem Leben, muss davon nicht erzählen.

Dass sie neben Englisch und Deutsch auch perfekt Französisch und Spanisch spricht, tut sie mit: „Wenn man viel rumkommt“ ab. Sonja Bata flog seit ihrer Hochzeit durch die Welt, von einem Bata-Laden zum nächsten. Sie, ehemalige Architekturstudentin, bestimmte die Ausstattung der Läden, war diejenige, die über das Schuhdesign des Weltkonzern entschied, die Style-Polizei. Anfang der 50er verordnete sie den Bata-Schuhen eine Dior-Kur. „Es war Zeit für spitze Schuhe.“ Das war ein Kampf in der Firma, bis sie sich gegen das Management und ihren Mann durchgesetzt hatte. „Damals gab es kein Internet, kein Fax, klar, alles musste vor Ort im Gespräch geklärt werden. Kommunikation war ganz anders, wichtiger. Ich war immer mit Musterkoffern unterwegs, mit Mappen.“

Sie wird ironisch: „Ich wollte mal die größte Architektin der Welt werden.“ Ihr Leben, das sie nicht erzählen will: Ihr Vater, George Wettstein, war Anwalt für internationales Recht in Zürich. Seine Kanzlei vertrat seit den frühen 20er Jahren den mährischen Schuhhersteller Bata. Der Produktionsstandort Zlin galt als „Detroit der Schuhindustrie“. Erwin Egon Kisch schrieb eine Reportage über Thomas Bata, den Schuhmacher der Welt, die Legende. Bata starb 1932 bei einem Flugzeugabsturz. Im Nebel hatte sein Pilot den Schornstein eines seiner Werke gerammt.

Thomas Bata junior, der einzige Sohn, war gerade 18 Jahre alt und Praktikant bei Bata Schweiz in Möhlin am Rhein. Er bekam die Nachricht von George Wettstein. Der wurde, schreibt Bata in seiner Autobiografie, Ersatzvater und Vorbild. „Der hasste Mittelmäßigkeit“, schreibt Thomas Bata, genauso wie sein Vater. Der junge Erbe war oft in Zürich bei Wettsteins, lernte auch die kleine Nervensäge Sonja, zwölf Jahre jünger als er, kennen.

Als die Deutschen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Tschechien besetzten, wanderte Thomas Bata nach Kanada aus, nahm 100 Familien aus Zlin mit, überließ den Nazis die Schuhfabriken in Deutschland, Holland, Tschechien, der Slowakei und startete in Batawa den Konzern von Neuem. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er zurück und besuchte die Witwe Georg Wettsteins. Die mit ihm und ein paar Freunden ins Ski-Chalet in Sankt Moritz fuhr. Schade, dass er Sonja nicht sehen werde, die sei jetzt erwachsen, studiere, habe keine Zeit.

In Sankt Moritz wachst er gerade Ski, als die Tür aufgeht und Sonja Bata, die sich für das Wochenende hatte davonmachen wollen, hereinkommt. Sie war überzeugt, das Chalet sei leer. Erwischt. Bling! Liebe auf den ersten Blick. Sagt sie später. Hat er geschrieben. Thomas Bata kam mit seinem Propellerflugzeug immer wieder in die Schweiz.

1946 fragte er, ob sie ihn heiraten wolle. Kann sein, dass sie wirklich ein beiges Kleid anhatte, sie könne sich da nicht daran erinnern. Warum denn die Frage? Er fragte sie nicht einfach so, sondern überredete sie zuerst einmal, endlich mal mit ihm zu fliegen. In der zweimotorigen Cessna, erzählt er in seiner Autobiografie, trug sie ein beiges Kostüm. Und der „Schuhmacher der Welt“ schrieb nicht, was für Schuhe sie anhatte. Sie: „Keine Ahnung, ich weiß doch nach mehr als 60 Jahren nicht mehr, was für Schuhe ich anhatte.“ Eine lange Pause, ihr Gesicht verändert sich, sie staunt. „Ja, es ist seltsam, dass er das nicht geschrieben hat.“

Sie erzählt nun vom Museum. Aber nicht, dass gerade der Millionste zahlende Besucher da war. Dass während des Internationalen Filmfests in Toronto diesen Sommer Schauspielerinnen wie Jennifer Aniston, Kate Hudson und Renee Zellweger kamen, um Schuhe, die sie in irgendwelchen Filmen getragen haben, als Spende zu bringen. Darauf angesprochen, sagt Sonja Bata: „Na ja, das ist halt eine Foto-Op. Da hat jeder was von.“ Sie wirkt wie eine Business-Frau und ja, sagt sie, ja, dieses Museum habe keinen Cent Steuergeld gebraucht.

Wenn sie vom Museum spricht, dann von der wissenschaftlichen Arbeit, den Expeditionen nach Sibirien, Indien, China, zu den Eskimos, die sie für Völkerkundler finanziert hat. Dass Schuhe von Elvis, Elton John, Michael Jordan oder Marilyn Monroe rumstehen, scheint ihr unwichtig. Promi-Schuhwerk muss sein, das lockt, aber: „Wir wollen mit unserem Museum alle ansprechen, aber vor allem geht es um Ausstellungen, die helfen sollen, andere Kulturen zu verstehen.“

Sie räumt mit diesem lästigen Mythos auf, dass sie 12.000 ihrer Schuhe dem Museum gegeben habe. Irgendwie schon, aber nicht im Imelda-Marcos-Stil. Nein, das waren Schuhe, die sie bei ihren Geschäftsreisen um die Welt gesammelt hat, wissenschaftlich gesammelt in Afrika, Asien, Südamerika. Fragender Blick, sie antwortet: „Schuhe sind Statussymbole. Sagen viel über den Alltag. Schuhe und Religion, das gehört zusammen, Schuhe und Arbeit auch. Anhand der Schuhe kann man Gesellschaften erklären.“ Sie beschreibt indische Badukas. Dann die Mokkasins der Indianer in Kanada, „die perfekt waren für die Kanus“. Sie verzieht das Gesicht. „Irgendwann kamen die billigen Schuhe, Sneakers, Sandalen und die Handwerkskunst starb aus“. Schlechtes Gewissen? „Ja, Bata hat das gestartet. Wir haben Schuld. Das meine ich ernst.“

Sie wechselt ins Englische, erzählt von chinesischen Schuhen für Frauen mit abgebundenen Füßen. „Dass der Kommunismus in China so stark von den Frauen unterstützt wurde, lag daran, dass die Kommunisten gegen das Abbinden von Füßen waren. Als ich 1949 nach Singapur kam, gab es selbst dort noch in den Geschäften Schuhe für abgebundene Füße.“

Sonja Bata springt auf, jugendlich schnell, eilt raus, bringt Bildbände, die das „Bata Shoe Museum“ finanziert hat, Riesenwerke voller Fotos und wissenschaftlicher Beschreibungen indischer Schuhe. Teilweise solche, die dort wieder so hergestellt werden, wie vor ein paar hundert Jahren, finanziert von Sonja Bata.

Ihr Leben erzählen? „Nein, warum?“ Sie erzählt von Toronto. „Nach dem Krieg war das eine Einwandererstadt. Alle waren neu und fremd. Als ich hier ankam, bedeutete Kultur, man trifft sich zuhause bei wem und nach dem Essen singt man laut. Heute gibt es tolle Orchester, ein fantastisches Ballett, die Architektur ist erstklassig. Es hat sich wirklich was getan hier.“ Der Großraum Toronto ist seit dem Zweiten Weltkrieg der am schnellsten wachsende Nordamerikas. Hat acht Millionen Einwohner, konkurriert mit New York. „Ich hab es noch als Dorf kennengelernt. Oh ja, ein Dorf.“

Im Aufzug: Batawa. Keine Fabrik mehr, ein geschrumpftes Dorf mit ein paar hundert Bewohnern, ohne weitere Funktion. Sonja Bata hat vier Kinder, drei Töchter, zwei leiten Bata-Firmen in Chile und Italien. Ihr Sohn, Thomas Bata, ist Vorstand der Firma und schiebt sie Richtung Immobilien. Er wollte Batawa verkaufen. Seine Mutter, seine Aufsichtsrätin, sah sich die Papiere an. „Er hatte Recht, betriebswirtschaftlich. Also sagte ich zu ihm, einverstanden, aber nur, wenn du an mich verkaufst.“ Sonja Bata tritt aus dem Aufzug ins Foyer, noch immer sorgt die Sonne hinter den Glasscheiben für Scheinwerferatmosphäre. Sie erzählt eifrig von Batawa. Gerade wird der Ort umgebaut, Lofts, Apartments, Ateliers, Läden, ein großer Skilift. Ein Wohn- und Touristentraum entsteht, Sonja Bata leitet die Stiftung.

Sie schreitet durch das Foyer. Museumsbesucher aus Japan, etwa zwanzig Personen, schauen verwundert, weil sie merken, hier passiert was. Nur was? Ihre Führerin, eine Kanadierin, auf Englisch: „Das ist die Frau, der wir dieses Museum verdanken, Mrs Sonja Bata.“ Sie sagt es etwas zu laut. Die Gruppe gibt ein Geräusch von sich, das gleichzeitig ein langgezogenes O und ein langgezogenes A ist. Sonja Bata verlässt das Bata Shoe Museum durch die Glastür, wirkt dabei souverän, groß, gerade und immer noch geheimnisvoll.