Harte Zahlen mit weichen Zielen

Reportage
zuerst erschienen im Juli 2002 in brand eins
Bei Rheinmetall, Deutschlands größter Waffenschmiede, hatte man früher ein Imageproblem: Krieg galt als schmutziges Geschäft, sich daran zu bereichern als unsittlich. Doch seit deutsche Soldaten in ferne Länder ziehen, hat sich die Stimmung geändert - allerdings sind inzwischen die Wehr-Etats geschmolzen. Also muss man tun, was alle tun: Öffentlichkeitsarbeit. Konkret: Journalisten hereinlassen

Zuerst die Zahlen, die zeigen, dass es bei dem Folgenden, dem Menschlichen und Unmenschlichen, um ein ernsthaftes, sehr großes Geschäft geht: 2001 hat der Rheinmetall-Konzem 4,6 Milliarden Euro umgesetzt. Das Ergebnis vor Steuern lag bei 197 Millionen Euro, das sind 91 Prozent mehr als 2000. Im ersten Quartal dieses Jahres sind Umsatz, Auftragseingang und Auftragsbestand weiter gestiegen. Dem großen deutschen Rüstungskonzern geht es gut, er macht seinen Eigentümern Freude: Der Wert einer Vorzugsaktie ist zwischen Anfang 2001. und April 2002 um 81 Prozent gestiegen, der einer Stammaktie um 86 Prozent. Potenzial ist vorhanden: Für den 27. Juli meldeten Tageszeitungen einen Kurssprung von fünf Prozent. Außerdem hat der Haushaltsausschuss des Bundestages neue Rüstungsprojekte genehmigt. Und Rüstungsprojekte ohne Rheinmetall gibt es in Deutschland kaum.

Oliver Hoffmann, Pressesprecher des Rheinmetall-Bereiches DeTec, das steht für Defense Technologie, redet aber nicht so viel über Zahlen. Wir hatten mehrmals telefoniert, bevor ich ihn in Düsseldorf in der Konzernzentrale von Angesicht zu Angesicht sprechen konnte, in einem Saal groß und hoch wie eine Kathedrale, in dem es nur ein bisschen Oberlicht gibt. Der für Riesen gebaute Raum heißt Röchling-Auditorium. Alles hier drin erinnert an Schwerindustrie, an alten deutschen Stahl. Die Familie Röchling, rund 180 Leute, besitzt über die Röchling Industrie Verwaltung 72,7 Prozent der Rheinmetall-Stammaktien. Das sind die, die um 86 Prozent geklettert sind in den 15 Monaten, in denen so viele andere Aktienkurse purzelten. Die AG hat 4,63 Milliarden Euro Jahresumsatz, die zweite Röchling-Firma, die Gebrüder Röchling KG, 1,6 Milliarden Euro.

Der Reichtum begann mit Kohle und Stahl; im Ersten Weltkrieg trugen neun von zehn deutschen Soldaten einen Helm, den Röchling produziert hatte. Hermann Röchling, gestorben 1955, war Stahlpionier. Viele technische Neuerungen im Eisenhüttenwesen gingen von ihm aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er hatte sich bei der Deportation von Zwangsarbeitern hervorgetan und war von Adolf Hitler zum Chef verschiedener Organisationen ernannt worden. Im Röchling-Auditorium fühlt man sich klein, man wird wütend, das ist aber unwichtig. Oliver Hoffmann drückt mir ein Geschenk in die Hand, verpackt, mit Schleife. Zu Hause packe ich es aus: eine Brieftasche. Uff.

Es hatte gedauert, bis ich ins Röchling-Auditorium kam. Mein behutsames Ranpirschen war begründet: Deutsche Waffenproduzenten sind supervorsichtig, was die Öffentlichkeit angeht. Heckler & Koch beispielsweise, Tochter eines britischen Konzerns: Der Handfeuerwaffen-Hersteller im Schwarzwald hat eine nette Pressesprecherin namens Andrea Franke. Wir haben fünfmal telefoniert, ich habe ihr weitere fünfmal auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Sie arbeitet nämlich halbtags und hat niemanden, der sie vertritt. Ich durfte ihr mein Anliegen faxen. Ja, das stimme, sie habe auch das Gefühl, dass sich die Stimmung Waffenherstellern gegenüber verbessert habe. Die Leute würden wegen der Bundeswehr in Bosnien, im Kosovo, wegen Afghanistan erkennen, dass Waffen nicht per se böse sind. Sie schützen unsere Jungs. Jugoslawien habe außerdem gezeigt, dass Krieg in Europa möglich ist. Vor allem aber habe sich seit dem Fall der Mauer etwas im kollektiven Bewusstsein verändert. Und der 11. September habe etwas bewirkt. Sie ließ sich Artikel von mir schicken, sagte, sie könne sich eine Geschichte vorstellen, müsse sich umhören, werde zurückrufen. Das sagte sie dreimal. Sie hat es nie gemacht, in dem halben Jahr, in dem ich immer wieder anrief.

Auch Oliver Hoffmann von Rheinmetall sagte: „Es gibt einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung. Die Akzeptanz ist jetzt größer als je zuvor.“ Das haben Meinungsforscher von Emnid belegt. „Der Umschwung trägt aber nicht dahin, dass die Politik sagt, wir folgen den Notwendigkeiten und rühren der Bundeswehr die Mittel zu, die sie braucht.“ So spricht Oliver Hoffmann, immer auf der Hut, bloß keinen Fehler machen. Er ist Oberprofi, konversationsstark, oberflächenversiegelt. Ein paar Tage, nachdem das Bundesministerium für Verteidigung überraschend zögert, die Entwicklung des Panther in Auftrag zu geben, der dem mehr als 30 Jahre alten Schützenpanzer Marder nachfolgen soll, war Hoffmann geknickt, weil eventuell ein Großauftrag verloren geht. Doch selbst in solch einem Zustand ist er cool. Dabei ist er so, dass man ihm seine Glätte nicht wirklich übel nehmen kann. Er ist nett und macht seinen Job. Er schickt mir zum Beispiel eine Videokassette, „Der Eisvogel“, gedreht in einem Naturschutzgebiet, in dem Rheinmetall ein 50 Quadratkilometer großes Schießgelände betreibt, nahe dem Kompetenzzentrum für Waffen und Munition in Unterlüß. Dort stellt die Firma Waffenanlagen und Munition her und feuert sie zur Probe ab. In dem Gebiet gibt es Seeadler, den Großen Raubwürger, Uhu, Schwarzstorch, den Roten Milan, Otter, Biber, sogar zwei Libellenarten, die offiziell ausgestorben sind in Deutschland.

Wo früher Arbeiter Warfen schmiedeten, denken heute Akademiker über Qualitätsmanagement nach

Also, der Staat spart. Das habe Tragik: früher Aufträge, aber kein Ansehen, jetzt Meinungsumschwung, aber gekürzte Budgets. Bei Rheinmetall, erklärt Hoffmann, haben nach dem Verschwinden des Kommunismus die Entscheidungsträger, wie überall, über Konversion nachgedacht. „Sollen wir raus aus der Rüstung, ein anderes Geschäftsfeld suchen? Wo liegt unsere Kernkompetenz?“ Die Rheinmetaller, also die Röchlings, die Erben, entschieden sich für die Waffenproduktion. „Das ist unser Geschäft, davon verstehen wir etwas, da haben wir einen Ruf, ein Image. Wir kommen von Waffen und Munition, dann Fahrzeuge, dann Elektronik. Schwerpunkt ist noch immer die Heerestechnik, da haben wir ein Standing. Keiner in Europa bringt da so viel Gewicht auf die Waage“, sagt Hoffmann. Die Offenheit, mit der er das sagt, beeindruckt mich. „Wir haben Verantwortung getragen seit Bestehen der Bundeswehr. Von einer solchen Verantwortung löst man sich nicht. Die Entscheidung war in der Nachbetrachtung richtig.“ Sein Kollege, Peter Rücker, Hauptabteilungsleiter Marketing und Kommunikation der Rheinmetall DeTec, ergänzt: „Andere haben sich für Konversion entschieden. Wir sind heute sechsmal größer als 1990.“ Hoffmann: „Der Aktienkurs spiegelt die Stimmung wider.“ Rücker: „Da ist Vertrauen auf die Zukunft in Defense.“ Er sagt auch: „Rheinmetall hat die Wurzeln in der Wehrtechnik“ Die beiden stehen dazu: Die Kernkompetenz der Firma ist Rüstung.

Nach 1990 sank die Zahl der Beschäftigten im Waffensektor auf ein Fünftel. Eine Folge der Verkleinerung der Armeen und der damit verbundenen Überkapazitäten. „Eine Konsolidierung war nötig und kam.“ Rheinmetall kaufte fast alles, was auf dem Markt war: zum Beispiel MaK in Kiel, Henschel in Kassel, Kuka in Augsburg, Oerlikon in der Schweiz. „Die Rüstungsindustrie hat zehn Milliarden Euro eingesetzt für die Konsolidierung, Abfindungen und so weiter. Sie ist ausgeblutet.“ Aber die Reste sind fit. „In Hallen, die für 200 000 Leute gebaut wurden, arbeiten noch 80 000.“

Die Idee für diese Geschichte war ursprünglich: ein Besuch im Tal des Todes, ein Gebiet im Schwarzwald, in dem die Stadt Oberndorf liegt. In dem schnuckelig schönen Tal produzieren Heckler & Koch und Mauser Handfeuerwaffen, das Bundeswehr-Gewehr, die Pistolen der Polizei und Größeres, alles kommt aus dem Schwarzwald. Aber mit der Zeit wurden dort viele Stellen abgebaut. Die Bundeswehr ist weitgehend ausgerüstet mit dem G 36, das hält ein paar Jahre. Und Heckler & Koch kriselt. Später haben mir Zeitungsmeldungen klar gemacht, warum sich die Pressesprecherin so komisch verhielt und warum auch Rheinmetall nicht wollte, dass ich „die Geschichte auf Oberndorf fokussiere“:

Mauser gehört Rheinmetall in Düsseldorf. Als ich telefonierte, wurde verhandelt, ob Rheinmetall Heckler & Koch dazukauft. Daraus wurde nichts, aber die Möglichkeit hat vermutlich dafür gesorgt, dass ich bei Heckler & Koch nicht landen konnte und mir bei Rheinmetall Oliver Hoffmann mehrfach sagte, die Oberndorf-Geschichte sei so nicht zu machen. Eher ginge Kassel, da stelle Rheinmetall den ABC-Spürpanzer Fuchs („Spürfuchs“) her, dieses populäre Fahrzeug, das sogar die Amis für Afghanistan von Deutschland erbeten haben. So etwas habe sonst niemand. Wir einigten uns auf den Rheinmetall-Standort Unterlüß, wie Oberndorf ein Rüstungs-Mikrokosmos. Ein kleiner Ort, in dem alle von einem Unternehmen leben.

1100 Menschen arbeiten bei Rheinmetall in Unterlüß, 60 Leute werden ausgebildet. Früher gab es hier vor allem Arbeiter, Dreher, Fräser. Heute sind mehr als 60 Prozent Akademiker, die in Entwicklung, Erprobung, Versuch und Qualitätsmanagement beschäftigt sind. Der Ort hat rund 4400 Einwohner. Ohne das Unternehmen gäbe es ihn nicht. Früher standen hier eine Poststation und ein Forsthaus, im 19. Jahrhundert kam Rheinmetall, so entstand Unterlüß.

Doch vor Unterlüß: Düsseldorf. Oliver Hoffmann und ich hatten die rüstungsbranchentypische vorsichtige Annäherung am Telefon hinter uns gebracht. Ich schickte wieder Arbeitsproben, erzählte sicherheitshalber, dass ich nicht bei der Bundeswehr gewesen bin und 1982 gegen die Nachrüstung demonstriert hatte. Ich wollte offen sein und versprach Fairness. Was seltsam klingt, auch seltsam ist, ihm aber gut tat, hatte ich das Gefühl. Wenn eine Industrie jahrzehntelang bäh war, ist man einfach vorsichtig. Wir kamen ein wenig ins Plaudern. Ja, ja, wenn man älter wird, verschieben sich Wertigkeiten, man demonstriert nicht mehr so leicht, man sieht nicht mehr alles schwarz-weiß. Ist das Altersweisheit? Oder Midlife-Crisis? Hahaha. Er selbst beispielsweise war früher Assistent eines SPD-Bundestagsabgeordneten. Der saß im Verteidigungsausschuss. „Sie wissen ja, wie die SPD ihre Sicht in diesen Dingen in den vergangenen Jahren gewandelt hat.“ Er kenne also andere Sichtweisen. Ich ahnte am Telefon, wie er mit dem Auge zwinkerte. So schaffte ich es bis in die Rheinmetall-Konzernzentrale in Düsseldorf in der Rheinmetall Allee 1, ein Gebäude mit der Ausstrahlung der Pyramiden von Gizeh. Ein Ort der Macht.

Am Eingang gibt es eine Art Museum, da wird jedem klar gemacht: Rheinmetall ist kein Rüstungskonzern, sondern ein Mischkonzern. Zum Unternehmen gehören Kolbenschmidt Pierburg, ein großer Zulieferer der Autoindustrie, und Hirschmann Electronics. Aber eben auch Mauser oder Firmen in Kiel und Bremen, die Teile für Kriegsschiffe produzieren und so fort. Ich schaute mir die ausgestellten Produkte an, als Oliver Hoffmann dazukam. Er beschrieb mir eine Munition aus Wolfram, „Schwermetallpenetratoren“. Das sind sehr schnelle Pfeilgeschosse, die, wenn sie auf einen Panzer treffen, sich in Millisekunden durch die Panzerung bohren und dabei ihre ganze Energie, eine große Menge, abgeben. Danach glüht der Panzer. Alle, die drinsitzen, werden gegrillt, bevor sie auch nur zucken können. Null Chance. Dabei gibt es einen fortwährenden Wettlauf mit den Panzerungsspezialisten. Diese Schutzleute arbeiten meist in Einmannbetrieben und schichten ständig Neues aufeinander, Keramik, Gummi, Metalle. Mal hat der Panzerschutz die Nase vom, mal Rheinmetall mit seiner Munition.

Rheinmetall verdient auch Geld, weil der Konzern in Düsseldorf nichts mehr produziert. Wir gingen in den dritten Stock des Bürohauses und schauten auf ein Riesengelände. Hier wurden früher Patronen und Geschosse hergestellt, jetzt vermarktet Rheinmetall den Grund als Gewerbefläche - der Rüstungskonzem ist zum Immobilienmakler geworden. Angesiedelt wurden Daimler-Chrysier, ein Autositzbauer, ein Fitness-Studio, Maler-Ateliers, Modefirmen, Lofts, Gastronomie-Dienstleister, alles Mögliche. Davor waren wir in der Kantine. Es gab zwei Essen, Hackfleisch und Hühnchenbein. Die Pressesprecher, Hoffmann hatte noch zwei dazugebeten, nahmen das sichere Essen. Nur ich aß Hühnchen. Eine komische Situation. Ich gab mir einen Ruck und nahm die Hände. Nach und nach erzählten mir die Rheinmetaller beim Essen, dass sie eigentlich auch lieber Hähnchen genommen hätten. Sie haben es nicht gemacht, weil sie sich die Hände nicht schmutzig machen wollten. Hoffmann erzählte, dass nur noch hundert Leute hier arbeiten. In Düsseldorf sitzt nur noch die Holding und ein paar kleine Dienstleister der Holding.

Wir sitzen im Röchling-Auditorium. Hauptabteilungsleiter Rücker hält einen Vortrag: „Bestimmungsfaktoren der Verteidigungsindustrie“. Er hat die ganze Zeit eine Zigarette im Mund, raucht ununterbrochen, wirkt gehetzt und doch entspannt. Sein Vortrag ist cool, er hat ihn schon oft gehalten und kann alle Zahlen auswendig. Er rattert aber nichts runter, sondern erklärt. Er sagt, Bündnisländer müssen sich technisch verstehen. Es ginge um Solidarität. Man könne einer Weltmacht nicht alles überlassen. Wenn es losgeht, hat man schon gern eine gute Armee. Was würde passieren, wenn wir im Ausland kauften? Wir würden immer eine Klasse schlechter bekommen als zum Beispiel die Franzosen, wenn wir bei den Franzosen kaufen würden. Die Folge: abnehmender Einsatzwert der Streitkräfte. Das heißt: Kanonenfutter oder Sanitätsdienst hinten in der Etappe. Wir würden nicht mehr vollwertig beitragen zum „Burden Sharing“, würden nicht mehr auf Augenhöhe diskutieren mit den Amis, den Briten, den Franzosen. Wenn wir kein Burden Sharing mehr leisten, kommen wir an den Punkt, wo bei internationalen Konferenzen gesagt wird, ach die Deutschen.

Sozialismus 2002 - das Waffengeschäft ist Planwirtschaft pur. Marktwirtschaft gibt es nicht

Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten wir eine Trainingsarmee und viel Geld für Ausrüstung. Jetzt sind Soldaten im Einsatz, noch nie war so viel Einsatz, aber das Budget ist kleiner. Das ist der Widerspruch, in dem wir gerade leben. Er sagt: „Eine Waffe ist nichts Sympathisches.“ Aber notwendig. Dann muss er los. Jemand fliegt nach Amerika, der muss gebrieft werden. Da derjenige aber gleich eine Zahnbehandlung hat, ist das Briefing überraschend vorgezogen worden. Die beiden werden im Wartezimmer eines Zahnarztes über, Waffen sprechen. „Sie entschuldigen mich“, sagt der Mann mit der Zigarette im Mund und eilt davon. Das war ein beeindruckender Auftritt. Oliver Hoffmann übernimmt.

Das Waffengeschäft leidet unter seltsamen Zuständen: Der Hauptkunde ist gleichzeitig derjenige, der bestimmt, wohin und ob überhaupt Waffen exponiert werden dürfen - Käufer und Kontrollinstanz ist der deutsche Staat. In der Branche geht es, das lernte ich in den folgenden Monaten von verschiedenen Pressesprechern bei Rheinmetall, sowieso bizarr zu. Im Prinzip ist es eine Planwirtschaft, Sozialismus 2002. Marktwirtschaft? Kein bisschen. Ein völlig geregelter Markt. Zum Beispiel die Kompensationsgeschäfte: Wenn Rheinmetall Panzer an die Niederlande verkauft, erzählt Hoffmann, verlangen die Holländer Kompensation. Rheinmetall muss genauso viel Geld in den Niederlanden ausgeben, wie es von den Holländern für die Panzer bekommt. Also hat Rheinmetall zwei Firmen dort, die Teile produzieren für die deutsche Produktion. Dieser Wertausgleich macht die Kompensation leichter. Aber das reicht nicht, und so kommt Rheinmetall ab und zu an Tonnen von Käse. „Wirklich, Käse“ , sagt Hoffmann. Die Rechte am Gouda tritt der Konzern an eine Handelsfirma namens Ferrostaal in Essen ab. Die verkauft den Käse weiter an Supermärkte. Wenn nun ein Pazifist in irgendeinem Supermarkt Gouda kauft, könnte er an Panzer-Deals beteiligt sein. Dasselbe gilt für italienische Pasta oder griechische Oliven. Oder, erklärt jemand von Ferrostaal in Essen: Südafrika kauft nur bei Kompensation deutsche U-Boote. Also gründet Ferrostaal als Dienstleister für das Deutsche U-Boot-Konsortium mit dem Kölner Unternehmen Condomi ein Joint-Venture und produziert Kondome in Südafrika: nicht Kondome statt Warfen, sondern Kondome für U-Boote. Ohne Kompensation kein Waffengeschäft, Sogar 110-Prozent-Kompensationsgeschäfte gebe es. Das heißt. man gibt mehr, als man bekommt. Es gehe darum, so Hoffmann, Arbeitsplätze zu erhalten, Produktionskapazitäten.

Die Welt der Rüstungsindustrie als absurdes Theater: über verschenkte Panzer und dumme Munition

Die einzige Regierung, die keine Kompensationsgeschäfte verlangt, wenn sie Waffen woanders einkauft, sei die Bundesrepublik Deutschland, sagen die Rheinmetall-Leute. Warum? Schulterzucken im - Ortswechsel - edlen Casino Waldfrieden in Unterlüß, dem Naturschutzgebiet in der Lüneburger Heide. Waldfrieden ist ein Luxushotel, 29 Zimmer höchster Güte, alles umgeben von großen Bäumen. Waldfrieden gehört dem Waffenhersteller. Was für eine Atmosphäre in diesem Haus, so groß, so viel schwarzes Leder, so edel, so Kaiser Wilhelm, so alte deutsche Industrie. Als Aperitif wird der Cocktail „Liquid Propellent“, Flüssigtreibstoff, gereicht. Luxusatmosphäre in einem Luxusraum mit hohen Decken und großen Fenstern. Am Tisch nebenan sitzen sechs polnische Offiziere in Kampfuniformen. Der Chic macht sie unsicher, sie haben Angst, etwas falsch zu machen. Sie sind gar nicht entspannt, sie fühlen sich fehl am Platz.

Die Polen seien hier, weil Deutschland dem Nachbarstaat die Ausrüstung einer Brigade schenkt; 154 Leopard Panzer, 100 Marder Panzer, 18 bis 20 Haubitzen, viele Lastwagen und so weiter. Rheinmetall richtet das Zeug her, „wir sind auch Dienstleister“, denn es ist Ausschussmaterial der Bundeswehr. Mit dabei auf der Tour durch den Rheinmetall-Standort Unterlüß am Rand der Lüneburger Heide, zu dem Waldfrieden gehört, ist auch die Volontärin von „Das Profil“, „Die Zeitung des Rheinmetall-Konzerns“. Sie hat in Bochum Publizistik mit Schwerpunkt Public Relations studiert und hängt jetzt eine Ausbildung bei Rheinmetall dran. Em liebes Mädchen. Sie lächelt immer. Vegetarierin. Anti-Alkoholikerin. Nichtraucherin. Nicht-Kaffeetrinkerin. So friedlich, ungefährlich. In Ausbildung bei einer Firma, die Panzer und Haubitzen herstellt. Auf eine Frage in diese Richtung reagiert sie nicht.

In Unterlüß werden 100 Rohre im Jahr gemacht. In Düsseldorf waren es noch 1000. Ein Rohr für einen Leopard-Panzer braucht ein Jahr, bis es richtig hart ist. Alte Leopard-Gefechtstürme werden von der Bundeswehr abgeschraubt, neu gestrichen und an Rheinmetall zur Wiederverwertung geliefen. Das nennt man „Kampfwertsteigerung“. Wenn der Bund 9000 Schuss Smart bestellt, das ist intelligente Munition, eine, die sich ihre Ziele selbst sucht, verteilt er die über mehrere Jahre. Doch am Ende wird der dafür nötige Chip vom Zulieferer nicht mehr hergestellt. „Dann hecheln wir den Chips hinterher“, erzählt Pressesprecher Fritz Contag. „Wenn ein System eingeführt ist, muss es bleiben, das schafft Probleme.“

Zwei Drittel der ausländischen Konkurrenten sind Staatsfirmen. was bedeutet, Rheinmetall konkurriert mit Firmen, deren Verluste der Staat übernimmt. Giat in Frankreich mache so viel Umsatz wie Verlust. Wichtig sei Qualität, vom dranbleiben bei der Entwicklung „dumme Munition machen wir nicht mehr, wir machen nur noch intelligente Munition, die dumme überlassen wir anderen“. Etwa den Südafrikanern, Denel. Die haben die Preise gedrückt.

Oliver Hoffmann unterbricht; „Man kann genug Rendite machen, wenn man den Auftrag hat, aber es ist ein harter Kampf, den zu bekommen.“ Da gebe es viele vom Staat erzwungene Kooperationen. Dann muss die Firma mit einer anderen deutschen Firma zusammenarbeiten, ob sie will oder nicht, der Staat schreibt es vor. Bei der Panzerhaubitze 2000 ist Rheinmetall zu 67 Prozent beteiligt, Krauss-Maffei Wegmann hat 33 Prozent. Noch etwas ist seltsam in der Rüstungsbranche: Was die Firma produziert, gehört ihr nicht. Die Entwicklungskosten bezahlt die Bundesrepublik, das geht nicht anders, man produziert keine großen Stückzahlen, die Entwicklungskosten kämen nie rein. Die Firma ist nur ausführendes Organ. Wenn sie aber Panzer gegen holländischen Käse tauscht, verlangt sie mehr als vom eigenen Staat. Einen Teil des Gewinns muss sie der Staatskasse geben, das nennt sich “ Entwicklungskostenrückerstattung“. Die Bundesrepublik verdient also am Waffenhandel.

Pressesprecher Fritz Contag war 30 Jahre bei der Bundeswehr, Oberst, Stabsoffizier in Brüssel, an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er, ganz alte Schule, mit lauter tiefer Stimme, ist erfrischend. Anders als Kollege Hoffmann ist ihm egal, was man über ihn denkt, er ist nicht misstrauisch, redet offen und schimpft. Der massige, aber kein bisschen dicke Rheinmetaller explodiert vor Selbstbewusstsein. Er sieht keinen Bedarf an Rechtfertigung, er ist ein Mann der Waffe. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. In einer Halle, in der acht Arbeiter gerade Stullen essen, grüßt er mit einem bundeswehrlauten „Mahlzeit“ und sagt Sachen wie: „Das ist nun mal kein freier Markt, das ist ein von Beamten geprägter Markt.“ Dabei verzieht er das Gesicht. Contag sagt, er sei nicht mehr bei der Bundeswehr, weil er sich nicht als „Rächer der Entrechteten dieser Welt“ eigne. „Kosovo, Afghanistan, was wollen wir da? Wir kennen die Länder gar nicht.“ Ihm sei seine Bundeswehr abhanden gekommen. Außerdem verdiene er hier mehr.

Contag führt in Anwesenheit der Volontärin die Panzerhaubitze 2000 vor, ein Berg auf Ketten mit einem Rohr, ein Monster

Die könnte der Marktknaller werden. Haubitzen brauchen alle, und bisher kauft die ganze Welt bei den Amis die M 109. Das ist Standardartillerie, davon gibt es tausende. Allerdings schon sehr lange. Der Markt schreit nach Neuem. In den USA wurden bisher elf Milliarden Dollar in die Entwicklung des Nachfolgemodells Crusader gesteckt, doch das Programm wurde eingestellt. „Elf Milliarden Dollar, einfach versenkt“, sagt Contag begeistert. Es gibt also keine Konkurrenz für das deutsche Produkt. Gut, die Japaner haben etwas Ahnliches, aber absolutes Exportverbot. Also lauert ein Geschäft. So ein Ding kostet 5,25 Millionen Euro. Contag sagt, die Idee sei, „unsere Anlage in die M 109 der USA zu integrieren, die Amis brauchen ja etwas“. 24 wurden bereits an Griechenland verkauft, 54 an die Niederlande, die Bundeswehr hat 185 bestellt, 170 davon wurden schon geliefert. Einsatzbereit sind rund 50, weil es an Personal fehlt. Die anderen? Contag zuckt die Schultern, dann deutet er auf einen offenen Panzerturm. Er erklärt, dass die inzwischen elektrisch gedreht werden, nicht mehr hydraulisch. Der Vorteil: Die Besatzung wird bei Treffern oder Brüchen nicht mit heißem Öl frittiert.

Oliver Hoffmann sagt kurz darauf, „die Zahlen von Rheinmetall stimmen, gemessen an dem schwierigen Umfeld“. Er rät mir, die aktuelle „Autobild“ zu kaufen, da werde nämlich der VW Sharan TDI mit dem Wiesel 2 verglichen, das sei sehr amüsant. Die haben den gleichen Motor. Und tatsächlich, am Abend, an der Autobahnraststätte, lese ich, dass beide mit einem 1,9-Liter-Dieselmotor ausgerüstet sind. Honmann gibt mir beim Nachtisch eine Einladung für einen Unternehmensbesuch: „Drohender Know-how-Verlust der Verteidigungsindustrie“ im Werk Kassel.

Dort wird der Spürfuchs hergestellt, das Ding, um das die Bundeswehr beneidet wird. Ich zitiere aus der Einladung: „Die deutsche Verteidigungsindustrie ist in vielen wichtigen Bereichen technologisch weltweit führend… Technologie „Made in Germany“ genießt international höchstes Ansehen… Hoch entwickeltes Know-how droht unwiederbringlich verloren zu gehen…“ Das Rheinmetall Landsystem-Werk in Kassel musste „angesichts ausbleibender Aufträge in den vergangenen Jahren einen schmerzharten Abbau erfahren… Falls gewünscht, können Reisekosten durch das Unternehmen übernommen werden.“ In Unterlüß hatte Hoffmann gesagt: „Das Thema hat Konjunktur, aber da muss man auch was für tun.“

Naturschutzgebiet Unterlüß. Der Rüstungskonzern lädt gern zur Jagd ein. Dann gehen die beiden Konzernförster mit Geschäftsfreunden auf Pirsch. Wir aber schauen nur die Natur an, in einem geländegängigen Kombi mit Vierradantrieb, ohne Waffen. Der Fotograf sitzt neben dem Fahrer, der Förster neben mir auf der Bank dahinter. Draußen ist alles grün und schön. Hinter uns Oliver Hoffmann mit der PR-Volontärin. Der Förster, der erzählt hat, welche seltenen Tiere hier einen Lebensraum haben, zeigt auf eine Wiese: „Hier werden Bomblets getestet.“ Bomblets? Er: „Das sind Geschosse, die nicht gegen harte Ziele verwendet werden.“ Er sieht aus, als wäre ihm etwas unangenehm. Oliver Hoffmann: “Also, gegen stark gepanzerte Ziele kann man Bomblets nicht einsetzen.“ Auf der Rückfahrt lese ich in einem Prospekt des Rüstungskonzerns Rheinmetall nach: Bomblets sind Artilleriegeschosse, mit denen man aufweiche Ziele schießen kann. „Weiche Ziele wie: Personal in freiem Gelände.“ Menschen.