Die Ware Glauben

Reportage
zuerst erschienen im April 2003 in brand eins
Der Amerikaner Craig Owensby verkauft Koran-Interpretationen per Handy. Das ist nach seinem Glauben in Ordnung. Ein guter Muslim darf ein ebenso guter Geschäftsmann sein. Und auch sonst hat der Islam wenig zu tun mit den Ansichten engstirniger Fundamentalisten. Zumindest in Indonesien.

Jakarta, ein Moloch, 20 Millionen Menschen in heißer Luft, ein Megacity-Chaos am frühen Morgen. Und mittendrin Craig Owensby, zufrieden in seinem hellbraunen Jeep. Er dreht sich auf dem Beifahrersitz nach hinten, redet schnell und pausenlos. Untung, sein Fahrer konzentriert sich auf den Verkehr. Alles ist wie immer: Craig mit seinem runden Glatzkopf und den freundlichen Augen ist ein Turbokommunikator, will pausenlos erklären, Details klar machen, Wissen geben, vieles gleichzeitig mitteilen. Schnell das nächste Thema und gleich noch eins.

Craig ist immer so. Er ähnelt einem Feuerwerk. 41 Jahre alt, mit elektrischer Ausstrahlung, gesprächig, intellektuell, belesen. Weißhäutig, weil er sich kaum im Freien aufhält, immer nur in Zonen mit Klimaanlage. Klimaanlagen sind ein wichtiges Symbol in armen Ländern. Wichtiger als grellfarbige Ralph-Lauren-Polo-Hemden, wie Craig sie trägt. Denn die Dinger gibt es als Fälschung überall. Doch wer eine Air Condition hat, ist reich. Und wer ein Auto besitzt, hat noch eine Air Con und es damit wirklich gut. Nur: Craig aus Madison, Wisconsin, USA, seit zweieinhalb Jahren Bewohner Jakartas, zerstört in den folgenden Tagen wieder mal seine Klimaanlage im Auto.

Er klopft dem kleinen Untung auf die Schulter und deutet auf einen mageren, halb nackten Mann, der mit einer Korbplatte am Straßenrand steht. Vollbremsung. Frühstückszeit. Craig kauft einen Plastikbeutel mit Sojabällchen in bestialisch scharfer Soße. Und gibt dem Mann den doppelten Preis. Jeden Tag, bei vielen Halts im Stau, öffnet Craig das Fenster - die Klimaanlage kollabiert drei Tage später - und reicht Bettlern 500-Rupien-Scheine. Das genügt für eine Mahlzeit. „Als Muslim musst du Armen helfen, das steht im Koran. Man soll 2,5 Prozent seines Geldes geben.“ Craig gibt 30 bis 40 Prozent. Aus Überzeugung.

Craig, der Muslim, ist ein typisch amerikanischer Geschäftsmann, angetrieben von der Existenzangst, „die wir Amerikaner von klein auf eingeimpft bekommen. Ihr Europäer mit euren Sozialversicherungen seid uns verdächtig.“ Er strahlt Zufriedenheit aus, als er gegen den Lärm der Klimaanlage das Verhältnis Mohammeds zu den Christen erklärt. Kurz zusammengefasst: Es war gut. „Mohammed sagt im Prinzip: Die Christen sind nette Leute, eigentlich in Ordnung. Nur: Sie liegen falsch mit Jesus. Gott hat nun mal keinen Sohn.“ Craig ist Fachmann für den Koran, die Bibel und Vergleiche, ein echter Experte, belesen in Sekundärliteratur.

Früher war er Prediger in Houston, Texas, ein fundamentalistischer Presbyterianer, der Star der First Presbyterian Church, damals 6000 Mitglieder stark, reich. Er bekam „ein obszön hohes Gehalt“, weil er gut war, auch als TV-Prediger. Kirchen hätten heutzutage, in dieser komplizierten Welt, vor allem die Aufgabe, bitter benötigte Gemeinschaften für verunsicherte Menschen zu schaffen.

Das ist auch seine Idee als Muslim. Er kennt den Koran besser als 99,9 Prozent der 190 Millionen Muslime Indonesiens - in keinem Land der Erde leben mehr - und verdient Geld als Verbreiter des wahren Glaubens. Mit modernen Kommunikationsmitteln verbreitet seine Firma El Quran Seluler Koranwissen. „Das Wort seluler, also mobil, ist sehr sexy hier. Das Wort allein reicht aus, es macht unseren Erfolg aus.“ Das ist Bescheidenheit, Craig arbeitet hart, hat Organisationstalent, technisches Know-how und weiß zu verkaufen. Er scheut hohe Kosten. Und hatte einen guten Riecher. Bei El Quran Seluler abonniert der gläubige, reiche, handysüchtige Indonesier für rund 3,60 Euro im Monat seinen Dienst. Dafür bekommt er täglich eine SMS mit der Erinnerung, anzurufen. Wer es macht, hört eine Koransure vom Band und die Interpretation, gesprochen von einem der populären Prediger des Landes. Die Firma ist ein Jahr alt und kurz vor dem Sprung in die Gewinnzone. Allerdings: Er macht es aus Überzeugung, mehr Geld bringen ihm seine anderen Firmen, Internet-Dienstleister, Software-Lieferanten.

Mit dem Glauben ist aber etwas schief gelaufen, sonst wäre die Welt nicht so, wie sie ist, das sieht auch Craig so. Eine Reform ist nötig. Wenn die Muslime ihren Koran nur wirklich kennen und danach leben würden, wäre die Welt besser, gerechter, friedlicher vor allem. Alles, was er zum Koran, zu Mohammed und zur Geschichte des Glaubens sagt, kann man prüfen, im Koran oder, das ist leichter und geht schneller, in dem Klassiker „Islam, A Short History“, den die ehemalige Nonne Karen Armstrong geschrieben hat. Aber bei allem theologischen und historischen Wissen, das Gefühl kommt bei Craig nie zu kurz. Er sagt: „Ich lese jeden Tag im Koran und finde immer etwas Schönes.“

Warum wurde der Christ zum Muslim? Weil der Koran besser ist

Die wichtige Frage, die man ihm stellen muss, lautet natürlich: Warum hast du den Glauben gewechselt? Sieben Tage lang hört er die Frage täglich ein-, zweimal. Seine Antworten variieren im Detail, aber eigentlich sagt er: Er, der Experte, hat verglichen und sich für das Bessere entschieden. „Der Koran ist besser als die Bibel, schlicht, eine klare Ansage.“ Oder: “ Früher als Christ war fast jeder Gedanke eine Sünde. Man wird als Sünder geboren. Alles ist Sünde. Als Muslim kann ich tagelang ohne Sünde leben.“ Und: „Der Koran entstand nicht nach und nach, er hat einen Autor, Mohammed. Ich liebe den Islam, er ist so rational und extrem direkt.“ Rational? Doch eher emotional? “ Nein. Das Problem ist, dass der Islam immer mit der arabischen Welt in Verbindung gebracht wird. Das ist absolut falsch. Ich bin nicht willens, die Idee Islam samt der arabischen Kultur zu kaufen. Der Islam sollte frei sein von kulturellen Einflüssen. Deshalb mag ich dieses Arabische nicht. Ich fahre auch nicht auf ,Der Islam muss stark sein‘ ab.“

„Der Islam war stets am besten, wenn er am Verlieren war. Die Mongolen kamen und schlugen die Muslime. Hundert Jahre später waren die Mongolen Muslime.“

Der Islam habe ein Imageproblem wegen Arabien. “ Allah suchte sich den miesesten Ort der Welt aus, um den Propheten hinzuschicken. Arabien, Wüste, Clans, da ging es nur um Raubüberfälle, Kamele klauen, dieses Beduinenzeug. Heute auch noch. Aber das ist nicht der Islam.“ Es folgt eine Abhandlung über Osama bin Laden inklusive Schimpfworten. Kurz zusammengefasst: Bin Laden interpretiert den Koran eins zu eins, was in der heutigen Zeit einfach nicht geht. „Der sieht einen Panzer und sagt, das ist ein Kamel, weil ein Kamel im Koran auftaucht, ein Panzer aber nicht. Das ist nicht gerade geistig flexibel.“

Der Koran sagt: Wer hat, soll helfen. Craig tut das ausgiebig

Craigs Bibel- und Koran-Exegesen finden immer im Auto statt, so wie ein großer Teil seines Lebens. Auf dem Weg zu der Stelle am Fluss, an der Craig Kontakt zu seinen Fußballfreunden bekam, unterbricht er seine Geschichte, um seine Frau Lilis anzurufen. Er sagt zärtlich: „I love you, darling.“ Es ist der dritte Anruf dieser Art an diesem Tag, er führt jeden Tag fünf, sechs solcher Telefonate. Danach sagt er: „Mein Gott, ich liebe diese Frau.“ Craig hat Lilis auf die lokale Art und Weise kennen gelernt. Freunde haben gekuppelt, weil er keine Familie hat, die das traditionell erledigt. Ihre Cousins und Onkel haben ihn abgecheckt und für gut befunden. „Aber wir sind auch zweimal ausgegangen, um uns zu beschnuppern.“ So läuft das hier nun mal. Er weiß, dass das Menschen aus dem Westen seltsam scheint und erklärt: „Es beginnt mit einer Verpflichtung und wird zu Liebe. Das ist nicht unser westliches Konzept, aber es funktioniert.“

Weiter mit seiner Geschichte. „Ich war neu in der Stadt und einsam. Gut, ich war auch einsam in New York.“ Da hatte er nach seiner Predigerzeit als Manager einer Telekommunikationsfirma gearbeitet. Die schickte ihn nach Asien, Märkte suchen. „Ich war ein Außenseiter hier. Um mich zu beschäftigen, bin ich mit der Kamera los und habe am Fluss die Holzboote fotografiert. Ich traf Leute, meist junge Holzdiebe, sie brechen durch die Zäune und stehlen das Tropenholz, eine leichte Art, Geld zu machen. Ich spielte mit ihnen Fußball. Beim ersten Mal schoss ich zwei Tore und gehörte dazu. Ich fragte: Wer geht zur Schule? Keiner hob die Hand. Saka, damals zwölf, sagte, er würde gern zur Schule gehen. Da dachte ich: okay!“

Heute leben zehn Jungs in Craigs Haus, er füttert sie durch und bezahlt ihr Schulgeld. Außerdem gibt er ihren Familien je 30 Dollar, damit sie ihre Söhne auf der Schule lassen und nicht als Arbeitskräfte nutzen. Weiteren 14 Jungs, die nicht bei ihm wohnen, finanziert er ebenfalls die Schule und die Abfindung der Eltern. Einigen Familien hat er Häuser bauen lassen. Und er übernimmt ständig Krankenhausrechnungen. „Der Koran sagt, wer hat, soll denen helfen, die nichts haben.“ Es fing damals beim Fußball an, wobei er zu Beginn nur das Schulgeld zahlte und Geld zum Leben. Nach einem Jahr zog Craig weiter: Hongkong, Manila, Phnom Penh, Bangkok, Singapur, Beirut, Amman und immer wieder New York. Als er zweieinhalb Jahre später wieder nach Jakarta kam, ging keiner der Jungs mehr zur Schule. Craig mietete ein Haus, stellte drei Hausmädchen an und startete seine Firmen. Zuvor wurde er Muslim. Auf die direkte Frage: aus Geschäftsgründen? sagt er: nein! Und: „Inzwischen glaubt auch niemand mehr, dass ich von der CIA bin.“ Die Heirat habe geholfen, er gehört zur Gemeinschaft. Seine Motivation als Geschäftsmann: „Ich muss Menschen versorgen.“

Mit dem Zug nach Bandung, das wie Jakarta auf der Insel Java liegt. Dort lebt Aa Gym. Die Fahrt ist idyllisch. Reisterrassen, Palmen, Wasserbüffel. Bandung, knapp zwei Millionen Einwohner, liegt höher als Jakarta. Es ist dort nicht so schwül, nicht so heiß, ruhiger. Aa Gym stammt von hier und lebt hier. Er ist der Prediger-Star von Craigs El Quran Seluler. Wer dort anruft, kann zwischen vier populären Predigern wählen, die Suren kommentieren. 80 Prozent der Kunden haben Aa abonniert. Er ist ein Popstar, wenn er spricht, kreischen die Mädchen. Er gilt als Hoffnungsträger Indonesiens, er wäre der nächste Präsident, wenn er zur Wahl anträte. Was er nicht machen werde, wie er später sagt.

Aas Islam ist tolerant, er ähnelt stark Craigs Ansatz. Craig sagt über ihn: „Er ist der Islam in Indonesien.“ Aa lernt von Craig, zum Beispiel den Ausdruck der Toleranz, den er von ihm übernommen hat und den er oft seiner Millionengemeinde sagt: „Christen sind Menschen, die noch suchen.“ Craig sagt: „Ich nutze Aas Popularität für El Quran Seluler.“ Aa sagt: „Ich nutze Craig und El Quran Seluler.“ Wenn man über Aa liest oder von ihm erzählt bekommt, denkt man zuerst: ein Guru. Doch Craig betont Aas Bescheidenheit, seinen einfachen Lebensstil.

Das Management des Herzens: als guter Muslim Geld verdienen

Aa ist unter Druck, er hat zu viel um die Ohren. Hektik erfasst jeden, der ihm nur zuschaut. Ständig wollen Frauen mit ihm fotografiert werden, und Aa macht immer mit. Er, 41 Jahre alt, wirkt wie ein Bubi, verspielt, seinen Charme zu dick aufgetragen. Aa gilt als Frauentyp. In Indonesien sind Frauen mächtig auf dem Vormarsch, sie stellen die Mehrheit der ausgebildeten Arbeitskräfte. Und Aa sagt ihnen: Der Islam und das Geschäft passen zusammen. Man kann gemäß dem Koran leben und Geld verdienen. Aas Stiftung MQ Corporation gibt Kurse, die nichts anderes lehren. Ihr Motto: Management des Herzens. Das ganze Viertel gehört Aa, die Läden, die Bank, das Internetcafé, die Boarding Houses. Der Supermarkt gilt als Probebetrieb, hier üben seine Angestellten, wie man ein Geschäft führt. Aas Assistent Avianto sagt, die meisten Unternehmen bringen Verluste, müssten aber sein. In einem Haus wird die erfolgreichste Internetseite Indonesiens produziert. Auch in den Business-Kursen geht es immer um eines: Die Leute sollen lernen, mit Geld umzugehen.

Aa betreibt zwei Radiostationen, eine mit Bildungsprogramm, eine religiös. Geld verdient Aa vor allem damit, dass jede Predigt oder Rede aufgezeichnet und verkauft wird. Er hat mehrere hundert Bücher und Broschüren veröffentlicht, auf einem Tisch liegen rund 200 verschiedene. Wenn er in Jakarta einmal im Monat predigt, hören ihm 50 000 Menschen zu. Politiker schmieren sich zurzeit gern an ihn ran. Doch Aa lebt bescheiden, in seinem Haus mit Frau, sechs Kindern, Bruder mit Frau und Kindern, Cousin mit Frau und Kindern, und das Haus ist nicht besonders groß.

Aa heißt in Indonesien großer Bruder. Sein wirklicher Name ist Abdullah Gymnastair. Er sagt, dass es viel um Image geht. Sitzt am Schreibtisch, spielt am Computer, Flachbildschirm, drahtlose Maus. Dazu ein Palm und ein Nokia-Superhandy. Es geht darum, zu zeigen, dass Technik gut ist, man solle keine Angst davor haben. Im Prinzip sagt er: Die armen muslimischen Indonesier müssen härter gegen das Elend arbeiten. Er ist ein Vorbild, deshalb muss er ein Image transportieren. Also macht er den Flugschein oder lässt sich oft auf einer Vespa fotografieren, die er nie fährt. Islam und modern, das passt zusammen. Und warum sollen Muslime immer schlechtere Geschäftsleute als Christen sein?

Zu seinem Image gehört die Intellektuellenbrille und das Palästinensertuch. Die Kombination macht es. Außerdem hebt er immer den Daumen, das transportiert Optimismus. „Der beste Teil am Islam ist die Moral. Ehrlichkeit, Fairness und Arbeitsethos. Harte Arbeit ist nötig. Wir müssen besser werden, als wir es im Augenblick sind.“ Aa hat ein Waisenhaus eingerichtet. „Du musst Wohlstand teilen.“ Deshalb schafft er auch viele Jobs. Sicherheitskräfte braucht er eigentlich nicht, aber das sind wieder zehn, zwölf Jobs. 450 Menschen arbeiten für ihn, die Stiftung und die Firmen. Er will ein Beispiel geben.

Warum die Frauen so auf ihn stehen? Frauen seien sensibler, er sei ein untypischer Prediger. „Nur wenige sprechen die Herzen an, muslimische Prediger sprechen immer zum Verstand.“ Von hinten ruft Avianto: „Ist es nicht offensichtlich, dass Aa gut aussieht?“ Gelächter im Raum. Wie Craig legt Aa Wert darauf, „dass jedes Land schon früher eine Kultur hatte, der Islam in Indonesien ist nicht wie der Islam in Arabien.“ In der Welt gebe es genug Kampf, zwischen Religionen sollte Frieden herrschen. Die ganze Zeit klingt Aa ein bisschen abgehoben, nicht handfest wie Craig. Am Ende des Gesprächs sagt Aa: „Es gibt drei Grundsätze, wenn du die Welt ändern willst. Starte mit dir selbst, mit kleinen Dingen und sofort.“

Jetzt muss er sich beeilen, um in der Moschee die Freitagspredigt zu halten. Auf dem Weg dahin hebt er sieben- oder achtmal Abfall auf und steckt ihn in die Tasche. Das ist sein Ding, Vorbild sein, für Sauberkeit. Die Leute sollen das sehen. Vor der Moschee stehen tausende von Schuhen. Aa erzählt. „Ich verlange, dass sie mit den Spitzen weg vom Gebäude stehen, damit man danach schnell reinschlüpfen und losgehen kann. Effektivität. Ein Symbol.“

Die Predigt ist seltsam, wenn man kein Wort versteht. In der Halle sind 2000 Leute, 1500 stehen auf der Straße und hören über Lautsprecher, was Aa sagt. Einige sehen ihn auf der großen Leinwand vor seinem Supermarkt. Von einer islamischen Predigt in der Moschee erwartet man keine kreischenden und lachenden Frauen. Doch sie stellen 70 Prozent der Zuhörer. Einmal kreischen alle, es hört sich an wie bei einem Popkonzert. Das Besondere ist Aas Stimme, manchmal ist sie tief, dann wieder schrill hoch. Ein Junge, der gut Englisch kann, übersetzt: „Er sagt, wir müssen uns verbessern, um das Beste zu erreichen, nicht nur für uns, nicht nur für die Muslime, sondern für die ganze Welt.“

Nach der Predigt sagt Aa: „Schon als ich klein war, war ich der Boss, ich war nie der Größte oder der Stärkste, aber ich wurde als Boss akzeptiert. Es gibt vier Charakteristika für einen Führer: Visionen, Strategie, in allem und jedem das Potenzial sehen und Motivation verbreiten können. Ich denke, ich bin einer der wenigen, die alles haben.“ Bereits als Student der Elektrotechnik hat er die Studentenvereinigung geleitet, einfach so, ohne Anstrengung. Ja, selbstbewusst sei er, aber: „Dass die Leute mich mögen, ist ein Erfolg, aber nicht wichtig für mich. Ich bin davon nicht abhängig, ich nutze nur meine Fähigkeit, die Lage zu verbessern.“ In diesem Land sei das bitter nötig. Der Islam werde hier gebraucht. Dann verabschiedet er sich. Er ist müde, außerdem muss er sich noch um seine Familie kümmern. Auch da will er Vorbild sein, es gebe so viele kaputte Familien in Indonesien, das sei ein Grund für das Elend.

Der Koran über Mobiltelefon: nicht billig, aber sehr beliebt

Wieder Jakarta. Stau, stop and go. Untung und die Klimaanlage kämpfen. Craig interpretiert derweil einige Koransuren. Gibt einen Restaurant-Tipp. Erklärt, dass er keine Bestechungsgelder zahlt und deshalb Probleme hat. Er erzählt von Aas Vorgänger Zainuddin, ein erfolgreicher Prediger „und ein besserer Redner. Aa ist gut, aber Zainuddin war besser.“ Doch er ging in die Politik und verlor so viel Glaubwürdigkeit, gerade als er einen Vertrag mit Craigs Firma abgeschlossen hatte. Aa hat gestern betont, dass er nicht in die Politik wolle, als Prediger könne er mehr für die Leute tun. Craig sagt: „Aa hat von ihm gelernt. Seine Popularität stieg in dem Augenblick, in dem Zainuddin in die Politik ging. Aa hat die Lücke geschlossen.“

Untung rast, denn Craig muss rechtzeitig zu Hause sein, wegen der Betzeit. El Quran Seluler meldet die Betzeiten per SMS, sie ändern sich täglich mit dem Sonnenstand. Deshalb ist das ein wichtiger Service. Anfangs hat Craig noch zweimal am Tag Werbung verbreiten wollen via SMS, „aber das wäre unpassend gewesen“. Die Firma spielt auch Hadiths ab, kurze Überlieferungen aus Mohammeds Leben. „Die sind extrem beliebt.“ Wer sie hört, zahlt die Telefongebühren, die SMS, die man empfangen muss, um anrufen zu können, kostet umgerechnet zehn Cent. „Es gibt eine Schicht, die sich das leisten kann. Das muss es einem Gläubigen auch wert sein.“ El Quran Seluler hat 30000 Abonnenten und bekommt monatlich 10000 dazu, die Hälfte bleibt. Die Mehrzahl der Kunden sind Frauen. Craig geht davon aus, dass der Markt klein ist, 100 000 Abos sind sein Fernziel. „Es geht auch nicht darum, Geld zu verdienen.“

Craig verdient Geld mit seinen anderen Firmen. Eine betreut Computer-Chatlines. „Das mag ich eigentlich nicht. Da suchen verheiratete Männer junge Mädchen, das ist eher schmuddelig.“ Allerdings ist es unter Koran-Gesichtspunkten durchaus in Ordnung, weil bis zu vier Ehefrauen erlaubt sind. Sein Antrieb ist amerikanisch: Geld verdienen. Seine Brüder und seine Schwester leben in den USA. Er hatte die Idee, El Quran Seluler nach Amerika zu exportieren. Holy Bible Mobile oder so. „Aber da bräuchte man wen, der an Jesus glaubt. Glaubwürdigkeit ist wichtig. Meine Verwandten sind keine wirklichen Christen. Und ich kann es nicht machen, das wäre geheuchelt.“

Craig behauptet, er spreche nur 200 indonesische Worte, aber mit den Einheimischen redet er nonstop und ohne Probleme. Bei Fernsehinterviews wirkt er souverän, Craig liebt die Kamera und sie ihn. Die Sender sind scharf auf den Ami, der konvertiert ist, um dem wahren Glauben zu dienen. Auch weil er so viel Geld verdient, denn da ist dieses kollektive Gefühl, dass Muslime keine guten Geschäftsleute sind. Ein extremer Minderwertigkeitskomplex. „Viele clevere Muslime sagen, Europäer und Amerikaner folgen den muslimischen Regeln im Geschäftsleben besser als wir und sind deshalb so erfolgreich. Sie sagen, die sind ehrlicher als wir, freier und haben keine Korruption. Ihr ökonomisches System ist so, wie der Prophet es wollte. Sie sind muslimischer als wir.“

Das ist ein Punkt des Islams, den Aa und Craig vertreten: Allah hat dich erschaffen, und du hast die Wahl, zu was du dich entwickelst. Das heißt: Es gibt nur einen Gott, alle werden als Muslime geboren, aber manche entscheiden sich für den falschen Weg. Craig wiederholt: „Der Islam ist eine tolerante Religion. Was im Koran steht, ist sehr frauenfreundlich. Frauen kommen im Koran besser weg als in der Bibel. Nur wird, vor allem in der arabischen Welt, vieles nicht gemäß dem Koran gemacht.“ Craig spricht mit Untung Indonesisch, er erklärt ihm eine Abkürzung. Wie immer verfahren wir uns. Craig erläutert: „Die indonesische Sprache ist zu simpel. Es gibt keine Zeiten, nur Präsens. Eigentlich gibt es nicht mal eine echte Grammatik. Missverständnisse gehören dazu. Interpretation ist alles. Klare Aussagen gibt es kaum. Eigentlich kann man nichts richtig erklären.“ Was auch Probleme im Geschäftsleben schafft.

Als wir nach einem Marsch durch die Slums wieder im Jeep sitzen, sagt Craig: „Die Kinder leben in Armut. Der Koran sagt: Wenn du nicht den Mumm hast, was gegen deine Armut zu tun, wird dir Allah nicht helfen, Die Gegend hier ist arm, aber sie ist nicht elend. Das liegt auch am Islam. Er gibt ein Gefühl der Gemeinschaft.“ Wie der Hass auf Amerika. Ein großes Thema, es reicht für die Fahrt durch Jakarta bis nach Kemang, die reiche Gegend. „Nimm meine Frau, sie ist gebildet, sie spricht perfekt Englisch. Aber als sie die Bilder am 11. September sah, hat sie gejubelt.“ Er kannte sie damals noch nicht, sie hat ihm das erzählt. „Das liegt daran, dass die Menschen hier die Welt nur noch als Gegensatz zwischen den mächtigen USA und dem armen Islam wahrnehmen. Samt des Minderwertigkeitskomplexes: Wir haben den wahren Glauben, aber kommen nicht hoch.“ Sie fühlen sich gedemütigt.

Die Idee hinter El Quran Seluler sei, sagt Craig, während er das Fenster runtersurren lässt und einen Schein von der Konsole nimmt: „Gemeinschaft schaffen. Hier leiden die Leute unter Armut, aber sie sind nicht einsam. Einsam sind hier die Reichen. Geld bedeutet, du ziehst in eine bessere Gegend mit einer Mauer um dein Haus. Da kommt nicht mehr jeder Nachbar rein. Deine Kinder spielen nicht mehr draußen mit den anderen. Die Mittelklasse in Indonesien hat ein Drogenproblem.“ Deshalb wolle er mit El Quran Seluler, „eine Art lebendige Nachbarschaft für die Mittelklasse bilden. Ich hoffe, wir werden bald Treffen haben, große Zusammenkünfte. Die Religion schafft eine Gemeinschaft, die die Armen noch haben.“

Zu Hause stellt Craig seine Frau Lilis vor, eine hübsche 26-jährige Indonesierin. „Wir sind im sechsten Monat schwanger, wir bekommen eine Tochter.“ Sie arbeitet gerade an ihrer Diplomarbeit in Buchführung. Dass sie hübsch ist, sieht man trotz des Schleiers. Klar trägt sie einen. Craig sieht Fernsehen, eine Soap, und eilt mittendrin los, sich waschen, weil das der Koran vor dem Beten fordert. Gebetet wird in einem großen Raum mit zwei Glaswänden, beide sind mit Vorhängen verdeckt. Die Jungs, heute sind es elf, sammeln sich, rollen ihre Gebetsteppiche aus. Craig stellt sich vor sie. Er wird wie immer vorbeten. Lilis eilt dazu. Los geht’s. “ Allah il akbar.“ Danach „Ally McBeal“ und Erklärungen zu Islam und Schleier. „Wir haben Freunde, die sich nicht verschleiern. Das ist eine persönliche Entscheidung. Man sieht daran nicht, ob jemand ein guter oder schlechter Muslim ist. Der Schleier drückt aus: Ich will nicht, dass du mich anschaust, respektiere mich als Person. Das finde ich gut“, sagt Craig. Lilis nickt: „Völlig korrekt.“ Ob sie schon mal unverschleiert auf der Straße war? “ Klar, ich trage den Schleier freiwillig. Wenn ich will, kann ich Röcke tragen, das ist nicht gegen den Koran.“ Die Knie müssen bedeckt sein. Aber es laufen hier auch Frauen in Miniröcken herum. Na und, ruft Craig vom Fernseher. „Der Islam ist tolerant.“ Frauen in Schleiern, welche in Kostümen und in Miniröcken. „Warum, verdammt, erstaunt euch das? Der Islam verbietet keine Röcke. Du hast Arabien im Kopf, nicht den Koran.“