Die Mascolos in „Toni & Guy machen haarige Geschäfte“

Schauspiel
zuerst erschienen im September 2000 in brand eins
Die Darsteller in der Reihenfolge ihres Auftritts: Peter Lehnert – Der Vertreter, Guiseppe Mascolo – Toni, der Chef, Mark Young – Marky, der Buchhalter. Diesmal leider nicht dabei: Anthony Mascolo – Hairdresser Of The Year.

I. Intro

Peter Lehnert ist Tigi-Vertreter im Ruhrgebiet. Seine Umsatzzahlen sind die besten im Land, wahrscheinlich sogar in Europa. Der Mann rast durch den Ruhrpott, von Kunde zu Kunde. Glüht und leuchtet bei der Arbeit. Davor war es anders: Peter Lehnert machte eine Maurerlehre, dann … Lassen wir das, es folgt eine Liste aller Jobs, die der Stressjunkie mal versucht hat, meist mit halber Kraft: Lehre als Koch, nach zwei Anläufen abgebrochen, DJ, Türsteher in Disco, Lkw-Fahrer, Leiter dreier Videotheken, Barkeeper, Wächter für ein Security-Unternehmen, Betreiber einer Disco, eines Bistros, Teilhaber eines Friseurladens. Seine Bundeswehrzeit faulte er als Ordonanz ab, das war der laueste Job. Er war Vertreter für Industriebedarf, „also Seifen, Handschuhe, Arbeitsklamotten“. Und: Versicherungsvertreter, „da habe ich immer gearbeitet, bis ich 3000 Mark zusammenhatte, dann habe ich für den Rest des Monats Schluss gemacht. Manchmal habe ich drei Tage im Monat gearbeitet, manchmal 14 Tage.“ Er hatte keinerlei Ehrgeiz, er war zufrieden. „Das mag unorthodox klingen, aber ich kenne das Leben.“ Jetzt grinst er und wirkt wie ein Junge.

Sabine, seine Frau, ist hübsch, dunkelhaarig, lustig, lebhaft, lacht immer, tanzt gern. In der Wohnung hat sie aus einem Raum ein kleines Schönheitsstudio gemacht. Macht den Haushalt perfekt, bietet ein schon kitschiges Bild der glücklichen Hausfrau, die ihm den Rücken freihält. Kein Kummer, keine Sorgen. Das mit seiner Arbeitssucht soll sie nicht hindern. Er sagt ihr oft: „Mit 50 will ich aufhören, ich mache ein Restaurant auf, ein gutes, ich als Conferencier oder Koch. Bei Bankrott eben ‚ne Currybude.“ Sie hört das gern. Es heißt, sie muss ihn nur bis dahin bringen. Ihn, den sie so beschreibt: „Er hat ein Tigi- und ein Peter-Gesicht. Anfangs hat er zu Hause nicht richtig umgeschaltet, und ich habe dann gerufen: Hallo, ich bin’s! Draußen ist er zäh wie ein Terrier, so käme ich nicht mit ihm klar.“ Man müsse gut auf ihn aufpassen, ihn zum Abschalten zwingen. „Früher hat er zu Hause immer nachgegeben, ist nie ausgeflippt, hat immer zu allem ja gesagt, und ehrlich, ich kann anstrengend sein, ich bin temperamentvoll. Muss für ihn eine Qual gewesen sein. Er hatte keine Streitkultur, kannte er nicht, ist allem aus dem Weg gegangen.“ Es folgte die Psychoanalyse. „Plötzlich ist er ausgeflippt, das hat mir Spaß gemacht, heute sagt er, wenn ich ihm zu jeck bin: Cut!“ Anfangs war Peter Lehnert angestellt „Weil ich keinen Chef mehr haben wollte“, wurde er Freiberufler. Er hält das Sozialversicherungssystem in Deutschland für überflüssig, faulheitsfördernd. Jeder soll sich um sich selbst kümmern, irgendeine Arbeit, das weiß er genau, gibt es immer. Nach 14 Tagen ohne Chef der Burn-out. Eines Morgens kein Gleichgewichtssinn mehr, Depressionen in höchster Potenz, er hörte so gut wie nichts, kotzte, aß tagelang nicht, vegetierte dahin, landete gelähmt im Krankenhaus. Niemand wusste, was los ist. Sabine, seine Freundin, schob ihn nach ein paar Tagen ins Auto und fuhr ihn zu ihrem Hausarzt. Sabine, der Sonnenschein, ist wichtig. Sie ist die notwendige Bremse, die verhindert, dass er explodiert, vor kurzem hat sie ihn zu einem Urlaub, dem ersten nach sieben Jahren, überredet. Ihr Hausarzt sagte damals: Burn-out und ließ ihn in die Röher Parkklinik transportieren. Da röchelte Peter den starken Satz: „Dr. Hagemann, ich bin selbstständig, ich muss nach 14 Tagen hier raus.“ Der Psychoanalytiker gab die starke Antwort: „Gut, fangen wir an.“ Nach Musiktherapie, Sprechtherapie, Durchkauen der Kindheit und allem, was dazu gehört, klappte es wieder. Am 15. Tag war er morgens wieder unterwegs. Am 16. Tag legte er sich eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu. Und fast ein Jahr ging er jede Woche zu Gesprächskreisen und Einzelsitzungen. Das Faszinierende daran ist: Der Mann hat in zehn Jahren 15 Jobs gemacht, ohne zu leiden, neu anzufangen war nie ein Problem für ihn. Sich nach dem Burn-out was Neues, was Gemütlicheres zu suchen, läge da doch nah. Oder? „Ich wollte bei Tigi weitermachen.“ Warum? Er kann es nicht erklären. Dass japanische und amerikanische Firmen ihn per Headhunter jagten, egal. Er hätte viel mehr verdienen können, er wollte nicht. „Gut verkaufen geht nur mit Image.“ Im Auto, während einer Vertretertour durchs Ruhrgebiet, erzählt er bemüht emotionslos von Vater, Mutter, Kindheit, streift, was in der Psychoanalyse aufgearbeitet wurde: sehr erfolgreiche Eltern, seit elf Jahren geschieden, haben lange gekriselt, hoher Erwartungsdruck, war immer der Klassenbeste, wog mit elf Jahren 86 Kilo - heute ist er schlank - plötzlich schlug es um, schlechte Leistungen überall, alles egal, „ich bin dann 18-mal in meinem Leben umgezogen, sagt doch alles über mich damals“. Sein Vater sei überdurchschnittlich intelligent, ein erfolgreicher Geschäftsmann, „mit 30 schon drei Häuser schuldenfrei“. Er sieht ihn nur noch selten bis nie. Von Mutter komme der Antrieb, der so lange verschüttet war: „Sie ist sehr pragmatisch, absolut ein Genie, alles, was ich kann, kann ich von ihr.“ Sabine sagt später: „Deine Mutter ist wie du, genauso, das gleiche Ungetüm.“ Im Auto telefoniert er ständig, oft mit Sabine. Viel mit Kunden, mit Tigi-Mitarbeiterinnen, die er tröstet, aufmuntert, denen er telefonisch Schokolade schickt, die er zu einem Urlaub drängt, „mach mal Party!“. Später sagt er: „Ich lebe heute bewusster, nehme Auszeiten, Sabine zwingt mich dazu.“ Doch kurz darauf bekennt er genussvoll: „Mein Krankheitsbild ist Workaholic. Warum soll ich gegen was kämpfen, das in mir ist?“ Sabine hofft dennoch, dass es bald besser wird, noch ein bisschen näher zu ihrer heilen Welt: Peter will bis Jahresende acht Leute einstellen, um geschäftlich schneller voranzustürmen. Dabei wird er, wenn sie ihn richtig bremst, vielleicht weniger arbeiten.

II. Die Mascolos

Tonis Büro in London, in der ganz teuren Gegend, nahe Oxford Street, ein großer heller Edelholzschreibtisch, die Ecken abgerundet, lackiert, dass er glänzt wie eine Sternschnuppe in der Nacht. Toni, klein, im bieder wirkenden hellen Anzug mit Weste, steht auf und lacht. Er lacht oft, versprüht Charme und Selbstbewusstsein, macht gem Witze. Seine Stirn voller Falten, seine Augen immer in Bewegung, Mimik und Gestik sehr schnell, sehr italienisch. Jeder Satz hat Vehemenz. Aber ihm scheint es, ganz mediterran, mehr auf den Klang als auf den Inhalt anzukommen. Kommunikation macht ihm Spaß. Im Juni ist er zu Londons Entrepreneur of the Year gewählt worden, die Preisverleihung war im Royal Lancaster Hotel, ähnelte ein bisschen der Oscar-Verleihung, sagt Toni. War also genau das Richtige für ihn. Er lacht: stolz, aber nie arrogant, ironisch, lebenslustig, alles gleichzeitig. Ach ja, Anthony habe keine Zeit. Anthony, dreimal Englands Hairdresser of the Year, und Toni sind zwei Personen. Damit da keine Verwechslungen vorkommen.

Ein Wort fällt nicht, das ist vielleicht auch besser so Toni heißt eigentlich Giuseppe Mascolo und ist der älteste von fünf Brüdern. Der jüngste ist Anthony, beim Familienunternehmen für die kreative Seite, die Haare und die Fotos, zuständig. Giuseppe, Toni also, ist der Businessman, da passt der Anzug, die Kurzhaarfrisur, die seine Stirnglatze betont. Toni wirkt nicht wirklich elegant, eher wie einer, der es gern wäre, es aber nicht hinbekommt. Doch sein massiver Italo-Charme überspielt alles. Anthony, der Jüngere, sieht wilder aus, der ist Künstler. Toni hat die andere Rolle, er sagt über sich: „Einer muss das Geschaft machen, einer muss aufpassen: Wenn 1000 Pfund reinkommen, müssen 900 wieder raus, wenn eine Million reinkommt, müssen 900 000 wieder investiert werden.“ Das ist auf den ersten Blick der langweiligere Part, wohl deshalb bewundert Toni das künstlerische Talent des kleinen Bruders und hält dem und dessen Kreativität den Rücken frei. Sehr erfolgreich: Vergangenes Jahr kamen bei Toni and Guy allein in England 82 Millionen Pfund rein, etwa 267 Millionen Mark. Toni und Anthony sind nur ein Teil des Clans und ein Teil des Konzerns. Dabei sind noch zwei weitere Brüder, Bruno und Guy, die das Geschäft in Amerika kontrollieren. Nie fällt das Wort Mafia bei dem Gespräch, aber es schwingt mit. Toni kokettiert immer wieder mit Worten wie „große Familie“ oder „wir passen aufeinander auf“. Toni zeigt deutlich, er liebt die Familie, kann aber auch ihr strenger, harter Patriarch sein.

Alle sind dabei: Tonis Frau Pauline, die für die Kosmetik zuständig ist, hat ihm den Schreibtisch in Italien gekauft hat, „teures Ding“ Die Tochter der beiden Sacha hat schon Jerry Hall, George Michael und Tom Hanks für große Auftritte frisiert. Sie ist jung, schön und jetzt für die kreative Seite der großen neuen Tochterfirma, Essensuals, zuständig. Als sie hereinkommt, leuchten Tonis Augen, er schaut sich um: Hat jeder meine Tochter richtig wahrgenommen? Christian, ihr Bruder, ist auch bei Essensuals, als Ausbildungsdirektor. Klingt popelig, Ausbildungsdirektor, ist es aber nicht, im Mascolo-Imperium ist Ausbildung ein wichtiger Baustein, ein Erfolgsgeheimnis. Über Christian sagt Toni, berstend vor Vaterstolz: „Christian ist wie sein Großvater, pures Kopfweh, aber alle lieben ihn.“ Fünf Söhne hatte Paps: Toni, Guy, Bruno, Anthony, fehlt noch einer. „Er hat bei der Geburt zu wenig Luft bekommen, ist gelähmt. Wir kümmern uns um ihn.“ Sagt Toni von Toni & Guy, dem Friseurmulti. Mehr als 300 Salons weltweit, Rio, Sydney, Reykjavik, Madrid, Dubai, Kairo, Bukarest, Paris, Berlin, Genf, Casablanca, Auckland, Wellington, Wien, Tokio, überall halt.

Jeden Monat drei, vier neue Läden, ein Franchise-System, das dem von McDonald’s in nichts nachsteht. Dazu Tigi, eine Boom-Firma, die Shampoo und alles, was Haar brauchen kann, herstellt. Ursprünglich nur kleine Mengen, für das Artistic Team von Toni & Guy, das für Modeschauen frisierte, dann ging die Ware an alle Toni-&-Guy-Läden, dann an alle Essensuals. Die Mascolos witterten das dicke Zusatzgeschäft, also startete die Firma einen Vertrieb, der auch nicht zu den Ketten gehörende Salons mit den mehr als 40 Tigi-Produkten versorgt. Wobei das Prinzip regiert, nur edle Friseure oder hippe, nicht aber Dorfhaarschneider zu beliefern, damit das Gewinn bringende Image bestehen bleibt. Der absolute Renner von Tigi ist zurzeit der Bed Head Stick. Sieht aus wie ein Deostift, verteilt aber Haarwachs, sorgt für einen Look auf dem Kopf, den man sonst nur hat, wenn man verkatert aus dem Bett kriecht. Wichtig ist: Tigi stellt keine Farben her, weil man die großen Firmen L’Oreal und Wella, die sich den Markt teilen, nicht zu arg ärgern will. Toni & Guy arbeitet viel mit Wella und mit L’Oreal zusammen. Die dürfen werben: Toni & Guy benutzt unsere Farben. Veranstaltungen, bei denen Toni-&- Guy-Mitarbeiter um Preise frisieren, sind teuer, Toni & Guy wälzt die Kosten auf die beiden Großen ab.

Essensuals, die junge Tochterfirma, arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie Toni & Guy. „More funky“, nennt Toni Essensuals, was Stunden später im Rückblick sehr witzig ist. Da sind in Tonis Büro drei ältere Japaner, zwei knien auf dem Boden und schauen sich Fotos an, einer sitzt auf dem Sofa, Sacha, in Jeans und rosa Häkel-Top steht und lacht, Papa Toni sitzt glücklich in seinem dicken Sessel. Die Japaner wollen Essensual Franchises, wollen „more funky“ für Japan. Sie zeigen, dass man nicht funky sein muss, um funky Geschäfte zu machen. Sacha, die Einzige, die in dem Raum funky ist, dafür aber gleich richtig, wurde letztes Jahr zum Hairdresser of the Year in England gewählt, sagt ihr Papa. „Sie hat ihren Onkel geschlagen und Nikki Clarke.“ Sacha lacht ihr wunderschönes stolzes Lachen. Und Don Toni sitzt in dem großen hellen, glänzenden Ledersessel, klein und stolz.

Die Beteiligungen und Besitzverhältnisse im Imperium sind ein Kuddelmuddel, nachher soll das Marky erklären. Toni lacht und erzahlt, wie alles anfing, während Louise, seine Assistentin, eine Kaffeekanne reinbringt und weiße Tassen, auf denen schwarz und fett Toni & Guy steht. „Die vertreiben wir auch“, lacht Toni, er lacht immer und bittet, dass man doch die Firmenprospekte unter die Tassen legt, damit der flache Edelholztisch vor dem Edelledersofa geschont wird, “ meine Frau hat das eingerichtet, teuer“. Es fing an in Pompeji, Italien, im neuen Pompeji neben der von Lava seit 79 nach Christus konservierten römischen Stadt. Mama, er sagt Mama, wie nur Italiener Mama sagen können, Mama kam aus einer Kaufmannsfamilie in der Gegend. Von ihr habe er den Geschäftssinn, sagt er. Auf Mama sei er wirklich stolz gewesen. Papa, das sagt er auch auf eine besondere Art, Papa war Friseur. „Ein toller Typ, in den Fünfzigern trug er weiße Anzüge, als Einziger, fuhr Motorräder. Very stylish. Auch in London.“ Papa, der in Scafati, gleich neben Pompeji, in Friseursalons gearbeitet hatte, war nach England gegangen, der Zukunft entgegen. Ein Jahr später kam Mama nach, mit Toni, damals 14, dem ältesten und den anderen Kindern. Nur Anthony wurde in London geboren. „Papa war in London ein Exot, auffällig, wie man auffällig nur sein kann. Wenn er Geld hatte, lud er alle ein, dann ging es in die Restaurants, großes Essen. Ahhh, Grandezza.“ Papa gibt Toni einen sehr guten Rat Papa arbeitete in Londons Friseursalons, die beiden ältesten Jungs, Toni und Guy, eröffneten 1963 ihren Salon. Mama war da schon Jahre tot, sie lebten in einem Sechs-Mann-Haushalt und hatten Swinging London praktiziert, bevor es Swinging London gab. Ende der Fünfziger, „wir hatten pro Woche eine Party in unserem Haus. Ich fragte immer: Papa, Samstag Party, okay?, und er antwortete: Wenn eine hübsche Blonde dabei ist für mich, gern. Papa war ein Freund.“ Von Anfang an kümmerte sich Toni, der Friseur, um das Geschäftliche, Guy und Bruno schnitten mehr als er, „Einmal ging ich zu meinem Vater, er half damals ein bisschen im Laden mit.“ Toni lacht, diesmal, um es ironisch klingen zu lassen, Papa war keine große Hilfe, damals, als die neuen Frisuren aufkamen, die mit den langen Haaren. „Papa, ich brauche deinen Rat, er antwortete: Vergiss es. Junge, mach, was immer du machen willst, mach es genau so, wie du es machen willst. Die Antwort hat mich deprimiert, sie hat mich wirklich total hingeschmissen.“ Aber: „Vor acht, neun Jahren, die Firma war gerade an einem Wendepunkt, es ging darum, ob wir aus einer mittelgroßen Firma eine richtig große machen werden und vor allem wie, und ich saß rum mit Anwälten, Finanzberatern, Steuerberatern, sieben, acht Leute, und die sagten, du musst das so machen und dies so, das darfst du nicht machen. Und während die auf mich einredeten, erinnerte ich mich an meinen Vater, wie er gesagt hatte, mach Fehler, dann sind es deine. Also sagte ich ganz laut; Nein, wir machen das so und so, so, wie ich es will. Es war sehr witzig, die Leute merkten plötzlich, wo es langging, und sagten: Genau, tolle Idee, genial, so wird es ein Erfolg.“ Es wurde.

Die Familie teilt sich die Welt auf- das ist gut für alle Es gab Ärger mit Guy, vor allem aber wohl mit Bruno. „Er wollte die Nummer eins sein, also musste er nach Amerika. Das war gut für die Familie und für die Firma.“ Eine perfekte Lösung: Die Familie bleibt intakt, die Firma expandiert, alle können stolz sein. Später deutet Toni an, dass die Londoner Zentrale erfolgreicher Geschäfte macht, mehr umsetzt. Aber auf die Brüder drüben lässt er nichts kommen. Die Mascolos haben die Welt halbiert. Nord-und Südamerika machen Bruno und Guy, der Rest gehört Toni und Anthony. Wobei die beiden auch in Vancouver einen Laden eröffnet haben, jetzt Essensuals nach Amerika bringen und bei Tigi mitverdienen, die Firma haben Bruno und Guy in den USA hochgezogen. Die Shampoo-Firma liefert zurzeit in 50 Länder, sie schaffte den an sich unmöglichen Markteintritt. Denn das Weltshampoogeschäft teilen sich eigentlich zwei Konzerne: Wella und L’Oreal, sonst gibt es da nichts, wenn in den Nischen andere Namen auftauchen, Redkin etwa, dann ist das meist auch einer der beiden Shampoo-Multis. Die erfolgreiche Ausnahme ist Tigi.

Die Mascolo-Firmen funktionieren. 56 neue Salons eröffnen dieses Jahr, allein elf Essensuals im August, 66 neue Lizenznehmer warten auf weitere Franchises. In England. Weltweit nochmal 80. Kürzlich sind in Südafrika 13 Salons dazugekommen. Eine Kette, deren Besitzer erkannt hat, dass er mehr verdient, wenn er fünf Prozent seines Umsatzes als Franchise-Gebühren nach London überweist, und noch mal fünf Prozent für Werbung und Schulung der Mitarbeiter. Dafür sind seine Salons nun Essensuals oder Toni & Guys und machen viel mehr Umsatz. Ein Erfolgsgeheimnis von Toni & Guy ist: Die Lizenznehmer sind meistens Firmen, an denen irgendeine Toni-&-Guy-Firma einen Anteil hat. Die Räume, in denen die Salons eröffnet werden, gehören oft auch einer Toni-&-Guy-Firma, die Produkte, die verwendet werden, liefert Tigi, die Einrichtung übernimmt eine Toni-&-Guy-Firma, die Werbung eine andere, die Buchhaltung wieder eine andere. In Bournemouth ist eine Computerzentrale, via Standleitungen kommen die Umsätze jede Nacht aus der ganzen Welt, werden von eigens entwickelten Programmen bearbeitet, damit die Statistik-Experten sie morgens analysieren können. Toni hat das Zeug noch am Vormittag auf dem Tisch. Was ist in Dubai gestern los gewesen? Warum macht Bill in Sydney zurzeit so wenig Umsatz? Das Ganze, sagt Marky, ist eine Gelddruckmaschine, die auf Hochtouren läuft, pausenlos. „Ohne Risiko, keinerlei Risiko.“ Marky wird gleich versuchen, die komplizierte Struktur, dieses gigantische Labyrinth mit knapp 400 Firmen zu erklären. Vorab ein Ausschnitt: Die Essensual-Salons, die gerade überall aus dem Boden sprießen, sind mehr für die Jungen, die schon Geld haben. Toni & Guy wollte einfach den Bereich abdecken. „Toni & Guy classic - Essensuals funky“. Damit es keinen Ärger gibt, werden Toni-& -Guy-Franchise-Nehmer in der Stadt, in der ein Essensuals aufmacht, an diesem beteiligt. An denen ist aber meist Toni & Guy auch beteiligt, an Essensuals ebenfalls, das heißt, die Mascolo-Firma beteiligt sich an sich selbst, bekommt Gebühren von sich selbst und mietet Räume von sich selbst. Doch nicht nur die Business-Seite, die Familienharmonie sowie Anthonys und Sachas Stilwille sind die Gründe für den Erfolg. Dazu gehört auch die perfekt eingespielte Motivationsmaschine. Die sorgt dafür, dass die Mitarbeiter gem mal etwas länger arbeiten, also statt sechsmal die Woche zehn, zwölf Stunden halt 13 oder mehr. Und das mit großer Freude und riesigem Stolz. Immer so gut es geht.

Markys Büro oben, nahe dem Dach, ist voll mit Ordnern, auf deren Rücken steht: Tel Aviv, Kairo, Istanbul, Reunion, St. Moritz, Rom, Mailand, Turin, Kuala Lumpur, Kashmir, Bombay, Goa, Lahore und so weiter. Mark Young ist 32, war Friseur bei Vidal Sassoon, er trägt einen hellen Anzug mit Weste, wirkt etwas bieder, fast wie Toni. Und wie der strahlt er Zufriedenheit aus: Ist die Welt nicht schön? Ist nicht überall auf der Welt ein Toni-&-Guy-Salon in der Nähe? Marky hat auch diesen Mascolo-Stolz. Wenn er von Toni spricht, ist da nur Bewunderung. Toni hat das hier aufgezogen, Toni ist sein Held. „Fragen Sie Toni nach irgendeinem der Salons, er weiß alles über ihn, wirklich alles, aus dem Kopf, ohne lange nachzudenken.“ Marky wird uns das Toni-&-Guy-Imperium erklären. Er zeichnet es als Baum auf, aber am Ende kann man es wahrscheinlich besser als gezeichnete Explosion beschreiben. An den Rand des Blattes malt er die beiden Rentenfonds. Der eine, Mascolo Investment Company Ltd., ist nur für die Mascolos. Er gehört den Brüdern, ihren Kindern. Basta. Der Fonds kauft Aktien aller Art, vor allem aber gut gelegenen Grundbesitz: Madison Avenue, Champs-Elysees, Carnaby Street, Oxford Street, nur diese Kategorie. In den zweiten, Mascolo Financial Services (Salon Pensions) können sich Friseure einkaufen, Franchise-Nehmer, ihre Angestellten. Mitarbeiter der Mascolo-Firmen. Kurz etwas zu den Angestellten: Dieses Jahr hatte das Imperium die Royal Albert Hall in London für die Betriebsmesse gemietet. 16000 Leute passen dort rein. Sie war voll.

Das Firmenimperium ist für Außenstehende kaum zu begreifen Jetzt der schwierige Teil, das ist kompliziert, verzwickt, verwinkelt, eigentlich unverständlich. Niemand kann das wirklich verstehen, der sich nicht täglich damit beschäftigt. Aber denken Sie daran: Toni Mascolo kann das auswendig und Marky auch. Da ist die Mascolo Brothers, so etwas wie die Mutterfirma. Allerdings gibt es, aus Steuergründen, noch eine Mutterfirma, Mascolo Overseas, „in Holland“, sagt Marky, „also nicht direkt in Holland, auf holländischen Inseln in der Karibik“. Die beiden Firmen teilen sich den Besitz der Toni-&-Guy-Salons, die nicht an Franchise-Partner vergeben sind. Es gibt Salons, die gehören den Mascolos ganz, es gibt welche, die gehören ihnen zum Teil, es gibt welche, da bekommen sie nur Prozente, es gibt ihre Firmen, welche die Salons betreuen, versorgen, beliefern. Da ist Mascolo in Nord-Amerika und Mascolo in England. Das sind die eigentlichen Firmen, also die Franchise-Geber, die dann die zehn Prozent oder die fünf Prozent Gebühr bekommen. Tigi, die Firma, die alles herstellt, was man für Haare braucht, gehört den vier Mascolo-Brüdern via zwischengeschalteten Firmen.

In dem Bild gibt es außerdem: Innovia Design, die Firma, die alle Toni-&-Guy-Salons gestaltet, aber auch für andere arbeitet. Eine Tochterfirma, die in Europa Tigi vertreibt und in jedem Land noch mal eine Tochterfirma hat. Straight Impact Design, die Firma, die Eröffnungen managt. Außerdem ist jeder Laden eine eigene Firma, egal, ob er zu Toni & Guy gehört oder einem Franchise-Nehmer oder, was meist der Fall ist, einem Franchise-Nehmer, an dem Toni & Guy zwischen fünf und 75 Prozent beteiligt ist. Die Franchise-Nehmer sind wichtig, denn die wollen Geld verdienen, strengen sich also an.

Marky hat eine 14-seitige Liste aller „Toni-& -Guy-Operations“. Unzählige Firmennamen, Beteiligungsverhältnisse, Prozente, Pfeile, Querverbindungen - eine Explosion. Es kommt noch eine, auf Papier nicht sichtbare Dimension dazu: Die Franchise-Nehmer sind oft Leute, die schon lange für Toni & Guy arbeiten und dafür belohnt werden, indem sie eine Franchise-Lizenz kaufen dürfen oder besser einen Teil davon, denn einen Teil, am besten 25 Prozent, sagt Marky, hält gern die Mutterfirma. Nur, die Leute haben oft das Geld nicht, um die Lizenz bezahlen zu können, also leiht ihnen Toni & Guy das oder zumindest Teile davon. Wichtig sei aber, dass die Leute auf jeden Fall eigenes Geld reinstecken, dann arbeiten sie nämlich besser. Auf der Liste ist auch eine Catering-Firma, die den Kaffee an die Salons liefert, „und das Klopapier, alles, wir können in Mengen einkaufen und bekommen Rabatt“. Dann ist da noch die Mascolo-Public-Relation, die die Fotos für die Salons macht. Meistens fotografiert Anthony Mascolo persönlich, während die Fotos für Essensuals von David Bailey sind. Früher hingen in den Friseursalons Kopfbilder. Anthony war in den Achtzigern der Erste, der mindestens die Oberkörper abbildete, „weil eine Frisur allein nicht reicht, wir verkaufen Stil, nicht einfach nur einen Haarschnitt“.

So macht man Millionen, bald Milliarden. Mit Frisuren!

Da ist noch eine Toni-&-Guy-Sache. Das Popstar-Ding. „Früher“, wird Toni im Türrahmen seines Büros zum Schluss noch sagen, „waren Friseure Haarschneider, heute sind sie Popstars. Sie können groß rauskommen. Wir verkaufen keine Frisuren, wir verkaufen Stil, deshalb sind Friseure heute in den Klatschspalten, schreiben Bücher, sind populär.“ Das Image der Londoner Zentrale ist gigantisch: Die Trends kommen aus London, die spüren den Zeitgeist auf und geben das direkt die Leiter runter weiter, in Rekordzeit. Oder sie machen selbst Trends bei Toni & Guy in London, Frauenfrisuren beispielsweise, die es möglich machen, die Haare ganz casual hinter die Ohren zu stecken. Es soll mal eine Zeit gegeben haben, da waren Friseure eigentlich unbekannt, bis Anthony Mascolo damit anfing.

So, sagt Marky vor seiner gezeichneten Explosion, jetzt nehmen wir das Bild und stellen es uns doppelt vor, denn Essensuals arbeitet nach dem gleichen Schema. Nur dass wir Tigi und die Dienstleister und Zulieferer rausnehmen. Über Essensuals Group, quasi die Mutterfirma, ist aber noch eine Großmutterfirma, Cast Group, geschaltet. Das steht für Christian, Anthony, Sacha, Toni. Unter die gemalte Explosion schreibt Marky: Dies ist eine vereinfachte Darstellung. Da ist noch ein Blatt mit dem Standard-Plan für Neugründungen. Links steht Toni & Guy New Company, Mascolo Pic. 25 Prozent, Franchisee 75 Prozent. Daneben ist der Standardplan für Essensuals-New-Company-Gründungen, also für neue Essensuals-Gründungen: Essensuals Group 25 Prozent, Franchisee 50 Prozent, Local Toni & Guy 25 Prozent. „Schwierig wird es, weil die Local Toni & Guy oft auch der Essensuals Franchisee ist, na ja, und meist sind wir mit 25 Prozent bei dem Local Toni & Guy mit drin“, sagt Marky. Da ist noch ein Blatt, das Folgendes durchspielt: Wenn in einer Stadt vier Toni & Guys sind, dann gehören von der Lizenz des ersten 25 Prozent einer Toni-&-Guy-Firma, vom zweiten 30 Prozent, vom dritten 40 Prozent und vom vierten 50 Prozent. Dann ist da noch ein Blatt … Klar ist das verwirrend, aber so werden Millionen gemacht, bald wahrscheinlich Milliarden. Mit Frisuren.

Für eine praktische Erklärung benutzt Marky das Beispiel Frankreich. In Paris wurde der erste Toni & Guy eröffnet. „Ein Testlauf.“ Die Franchise gehölt teilweise einem verdienten Mitarbeiter, der lässt den Laden brummen. Dieses Jahr eröffnen Toni & Guys noch in Lyon, Monaco, Marseiile und Montpellier. Damit das klappt, wird der Mann, der Paris gerade macht, als „unser Polizist eingebaut“, als so genannter „Master Franchisee“. In jedem größeren Land gibt es so eine Firma, an der ein Polizist und Toni & Guy beteiligt sind. In Deutschland ist es die Toni & Guy Hairdressing GmbH, die auch in Österreich aktiv ist. Das heißt: Der verdiente Mitarbeiter, der sich auch als Franchisee bewährt hat, bekommt einen Teil der folgenden Lizenz, ist dann einen Tag pro Woche in einem der neuen Läden, um den dortigen Lizenznehmer zu kontrollieren. Bisher hat es immer funktioniert. „Noch nie hat irgendein Salon versagt.“ Und: „Das System macht es leicht, bei guter Leistung schnell aufzusteigen.“ Dann schaut Marky auf die Zahlen von gestern: „Zum Beispiel Barcelona, ganz neuer Salon, neun Stylisten, je elf Termine am Tag, hier Gilford, 50 Stylisten, je elf Termine am Tag, London, 13 eigene Läden, 270 Stylisten, je elf Termine am Tag, es läuft prächtig.“ Toni strahlt, das Leben ist schön Marky ist von seinem stundenlangen Wirbel mit den Prozentzahlen und Geschäftsschemata kein bisschen ermüdet, sondern mächtig euphorisiert: ,Jetzt gehen wir noch mal zu Toni runter, zur Verabschiedung.“ Er sagt es so, dass es klingt wie: zur Respektbekundung. Toni freut sich wieder, beschreibt noch schnell seinen Job: „Ich fliege erster Klasse um die Welt und eröffne überall, wo ich lande, einen Salon. Das macht Spaß.“ Er bittet auf die von seiner Frau für viel Geld in Italien gekaufte Ledercouch und holt ein Fotoalbum raus, voller Bilder, die bei der Pariser Eröffnung gemacht wurden. Diese Frau da, sieht die nicht toll aus? Hier, ist das nicht ein tolles Kleid? „Es ist völlig durchsichtig, ich war geschockt, absolut geschockt.“ Sein Lachen zeigt, er war begeistert. Toni, wo ist eigentlich Anthony? Toni, der vor sich die Umsätze von gestern und die Fotos aus Paris liegen hat, schaut hoch und sagt, lachend wie immer: „Na, der schult gerade.“ Ach so. Und läuft das mit den Japanern? „Klar. Die wollen auch nach China, bisher sind wir nur in Hongkong, nächstes Jahr geht Toni & Guy aufs Festland.“ Mamma mia! Das Leben ist schön.