Wie der Staat das Bier rettete

Reportage
zuerst erschienen am 13. Juli 2009 in impulse online
Die Marke Astra war fast untergegangen – und wurde von einer ganz großen Koalition gerettet

Vor zehn Jahren drohte auch der Biermarke Astra das Aus. Doch dann kam der Stadtstaat Hamburg - und die Knollenflasche wurde Kult. Ein Beispiel, von dem Politiker hätten lernen können.

Astra, das Bier gibt es seit 100 Jahren. Vor zehn Jahren wäre es fast vom Markt verschwunden. Dann gab es Demos, Streiks und Aktionen. Der Stadtstaat Hamburg übernahm die Brauerei, startete eine Werbekampagne der besonderen Art und verkaufte nach einem Jahr die Problemmarke, die plötzlich das meistgetrunkene Bier Hamburgs war, mit Gewinn an die Holsten Brauerei.

Ein Beispiel, von dem Politiker hätten lernen können, jetzt, da es um Karstadt, Quelle, Opel, Karmann geht.

Die Astra-Akteure von damals erzählen.

Das Bier war tot. Es war Wahlkampf und 400 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Eigentlich keine Chance für Astra. Aber die Stadt Hamburg nutzte sie, machte Astra zum Staatsbier und konnte es vor zehn Jahren, nach nur einem Jahr, mit Gewinn an die Holsten Brauerei verkaufen. Es half wer von der Treuhandanstalt und eine Werbekampagne, die alles anders machte. Astra, die Rettung einer Biermarke die dieses Jahr einhundert Jahre alt wird, ein Beispiel für die Krise?

Ortwin Runde, damals Regierender Bürgermeister, erinnert sich: „Die Bavaria-St. Pauli Brauerei gehörte Brau und Brunnen. Wie alle damals wollten die so einen internationalen Big Player schaffen, kauften auch Jever und viele kleine auf. Das Geschäftsmodell scheiterte.

Ich trink als Friese lieber Jever, aber als Hamburger Bürgermeister ging es nur um Astra. Nein, das war keine systemische Brauerei, aber es ging darum, 400 Arbeitsplätze zu erhalten. Astra war eine prollige Marke, damals schon, das Bier der Bauarbeiter, Hafenarbeiter. Die Schließung der Brauerei hätte bedeutet: Sozialplan, Brachgelände in der Stadt, Abwicklungskosten. Es wär teuer geworden. Es gab Demos und starken Druck auf die Kredit gebende Bank, das war die Vereinsbank.

Eine Delegation der Brauereimitarbeiter kam ins Rathaus und konnte plausibel machen, dass die Bavaria-Brauerei, also Astra, Gewinn machen würde, wenn man den Laden vernünftig führt. Ich hab Peter Ohlmann, den HGV-Chef, dazu geholt. HGV steht für Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsverwaltung. Und Otto Gellert, einen Hamburger, der war Vize-Präsident der Treuhandanstalt. Den hab ich gefragt, weil es ja, wie heute bei Opel, ums Zerlegen ging – darum, Astra aus diesem Konglomerat rauszulösen.

Meine Ansage war: Wenn wir Steuermittel reintun, muss die Marke wettbewerbsfähig werden. Wir haben die erfolgreichen Konkurrenten genau angeschaut. Es war klar, alle müssen Einbußen hinnehmen, Schicht- und Erschwerniszulagen fielen weg. Haustrunk nicht, das kann man bei einer Brauerei einfach nicht machen. Der Geschäftsführung hab ich gesagt, ihr seid drei Leute und kostet ein Drittel zu viel. Entweder einer geht, oder aber ihr teilt euch die zwei Drittel. Der Betriebsratsvorsitzende rief mich an. ‚Was hast Du denn gemacht, Ortwin, hast Du es da nicht übertrieben?‘ Der hatte Mitleid, aber ich blieb hart. Schließlich haben die drei sich zwei Gehälter geteilt.

Astra war wichtig für Hamburg, psychologisch gesehen. Es gibt manchmal Projekte, da geht man als Bürgermeister tiefer rein. Nach zwölf Monaten haben wir die Bavaria-Brauerei dann an Holsten verkauft: Wir haben das Geld bekommen, das wir reingesteckt hatten samt Zinsen dafür und zwei Bürgermeister-Jahresgehälter. Das war die Idee von Gellert. Was Symbolhaftes.“

Rudolf Toboll war einer der drei Vorstände der Bavaria-St. Pauli-Brauerei, die Astra braute. Der Name Bavaria ist eine Lüge. Die Brauerei war durch Zusammenschluss mehrerer kleiner entstanden und die Brauer hatten die Idee: Bier, da denken die Leute an Bayern, also Bavaria. Dann mussten sie allerdings juristische Schritte aus Bayern verhindern, so kam das St. Pauli an den Namen dran. Das war um 1920. Toboll, heute Rentner, erinnert sich:

„Ich war schon 30 Jahre bei der Brauerei, die letzten zehn als Vorstand. Ich bin 2001 in den Ruhestand, als alles klar war. Ein Jahr war ich davor noch für den neuen Besitzer, Holsten, in Halstenbek, bei der Alkoholfrei-Tochter. Die Rettung von Astra war aber eindeutig der Höhepunkt. Wir standen mit dem Rücken an der Wand. Es war wirklich knapp. Vor allem, weil wir in diesem Konzern immer nur das Anhängsel zu Jever waren. Wir haben mal Reemtsma gehört, dann Tchibo, schließlich wurden wir an Brau und Brunnen verkauft, und wir waren nur noch eine Cash Cow, die die Expansion füttern musste.

Brau und Brunnen, der Mutterkonzern, gehörte der Bayerischen Hypo Vereinsbank, die hatten keine Ahnung von Bier. Die hatten auch die Dortmunder Unionsbrauerei gekauft und träumten von einer Weltbiermarke. Astra ging da unter, obwohl wir eine gesunde Marke waren. Aber die Besitzer wollten unsere Immobilie vermarkten, die, mitten in der Stadt, hätte Geld gebracht für die Expansion. Die dachten nur an Jever und an ihre Dortmunder Brauereien. Astra war eine Marke mit Heimat, wirklich verwurzelt hier, mit einem guten Gastro-Geschäft. Aber die wollten unbedingt das Gelände zu Geld machen. An was anderes haben die nicht gedacht.

Zum Glück war gerade Wahlkampf und der Betriebsrat und die Gewerkschaften haben Demos gemacht und die Hamburger sind drauf angesprungen. Die fühlten, dass es um ihr Bier ging. Jedenfalls hat Voscherau das als Wahlkampfthema aufgegriffen. Als er dann keine rotgrüne Koalition mitmachen wollte, übernahm Ortwin Runde. Wegen der Voscherau-Wahlkampfversprechen war der natürlich unter Druck. Im Rückblick würde ich sagen es war irgendwie immer klar, dass wir am Ende von Holsten gekauft werden.

Aber wir brauchten Luft, einen langen Atem, um denen klar zu machen, dass Astra eine gute Investition sein würde. Die Werbekampagne hat sehr geholfen. Oetker kaufte 2004 von der HypoVereinsbank Brau und Brunnen samt Jever. Carlsberg kaufte Holsten, da gehörte Astra schon zu Holsten. Ja, auf dem Biermarkt geht es seltsam zu. Astra ist inzwischen so was wie ein ruhender Pol, macht Gewinn, ist eine starke Marke. Das ist ein richtiges Happy End. Wie, der Runde erzählt, mein Gehalt sei gekürzt worden? Ne, ne, ne, ich hatte andere Angebote, ich konnte verhandeln, ich hatte keine Einbußen.“

Werner Henne hat in der Elbschlossbrauerei an der Elbchaussee gelernt, war kurz in Dortmund und in Frankfurt Brauer, kam 1967 in der Bavaria-St. Pauli-Brauerei. Ab 1978 war er Betriebsratsvorsitzender. Bei den Auseinandersetzungen um Astra 1999 organisierte er 130 Aktionen in einem halben Jahr, zum Beispiel den Ausschank des Haustrunks der Brauer auf dem Fischmarkt.

„Ich finde es richtig seltsam, dass das, was damals mit der Bavaria-Brauerei gemacht wurde, nicht als Modell genommen wird, heute, wo Firmen Hilfe brauchen. Bei der Bavaria war es doch so, dass der Staat, also die Stadt Hamburg, eingestiegen ist, nach einem Jahr wieder draußen war, dabei noch Gewinn machte und 400 Arbeitsplätze rettete.

Es ging schon 1996 los mit den Auseinandersetzungen. Die ersten Infos erhielt ich telefonisch auf einer Gewerkschafts-Tagung, da rief mich der Bavaria-Vorstand an und sagte, dass die Brauerei zur Disposition stehen würde. Das war der Startschuss. Wir verdienten immer unser Geld, waren eine moderne Brauerei, bereits voll durchrationalisiert mit knapp 400 Mitarbeitern. In den 70ern waren es noch knapp unter 1000 gewesen.

Aber es war leider immer so gewesen, dass die Brauerei von jedem neuen Besitzer nur ausgelutscht wurde. Brau und Brunnen, unser damaliger Besitzer, hatte Brauereien in Berlin, Frankfurt/Oder, Dortmund, die alle nicht ausgelastet waren. Und die hatten viele kleine dicht gemacht. Astra sollte, das war der Plan, in Berlin und Dortmund abgefüllt, und das Gelände in Hamburg, ein Filetstück, zu Geld gemacht werden. Ich habe sofort Vertrauensleute wählen lassen. Wir haben dann Programme gemacht für die Auseinandersetzung. Der Vorstand hat sich total zurückgezogen. Der hat nicht gemacht, was die Chefs in Dortmund ihm sagten, hat uns machen lassen.

Die Wahl hat uns geholfen, da ist die Politik ja dann immer geschmeidiger als sonst. Wir waren verwurzelt in Hamburg. Bei Demos hat uns die Polizei im Peterwagen Bier nachgefahren. Das war richtig nett. Die kannten uns, wir waren ja ständig auf der Straße. Kurz vor Schluss hab ich für 14.000 Mark Handschellen in ganz Deutschland bestellt. Das war das letzte Geld in der Kasse. Wir hätten uns in der Bavaria angekettet. Dann kam die Einigung. Die Belegschaft hat auf 10 Prozent Gehalt verzichtet. Aber schon ein Jahr später gab es das wieder, da war die Bavaria bei Holsten und es lief nicht. Die haben mich zurückgeholt aus der Rente und ich hab neu verhandelt, da gab es die 10 Prozent wieder. Auch der Vorstand hat wieder mehr gekriegt, die haben gequietscht vor Freude.“

Die Astra Werbung war anders. Bis dahin, 1999, hatte es so was nicht gegeben: Proll-Touch und viel Humor, ab und zu lässig über die Grenze des guten Geschmacks gesprungen. Aber immer auch niedlich nett, auf großen Plakaten, sonst nirgends. Die Hamburger Werbeagentur Philipp und Keuntje wurde von zwei Werbern gegründet, die bis dahin für Jung von Matt gearbeitet hatten und dort die Astra-Werbung machten. Die große Agentur hatte den Auftrag von Brau und Brunnen für Astra bekommen, gab ihn aber weiter an die Ausgründung.

Andreas Müller-Horn war von Anfang an dabei und ist heute noch der Unit-Leiter Astra:

„Es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Astra galt als billiges Hafenarbeiterbier, mit miesem Image, stand unter massivem Preisdruck, verkaufte immer weniger. Heute erzählen das alle anders aber es war klar, Astra würde Probleme kriegen. Die Kampagne war eine Fortsetzung des Arbeitskampfes mit anderen Mitteln. Es gab in der Stadt so was wie Solidarität mit diesem Bier. Und viel Aufmerksamkeit.

Wir haben die Regeln bewusst gebrochen, haben uns gegen Fernsehwerbung entschieden, haben plakatiert, es fehlt ja auch an Geld. Den Regelbruch haben wir zum Prinzip gemacht. Das wurde der Stil, der die Marke prägte. Jeder hat doch heute noch ein eigenes Highlight bei den Plakaten. Das erste war das mit dem Typen, der die Unterlippe runterzieht und da steht als Tattoo „Astra“. Die Marke wurde laut, modern, jung. Es gab einen ziemlichen Hype.

Für Werbung gilt, in schwierigen Phasen ist Humor ein wichtiges Stilmittel. Das vergisst heute auch jeder, aber es hat eine Weile gedauert, es ging nicht sofort aufwärts. Die Werbung sorgte zu erst mal dafür, dass der Abwärtstrend stoppte. Das ging schnell. Aber richtig angezogen hat es erst später. Der Auftrag von Bavaria, also Astra, war an Jung von Matt gegangen. Dort war Dominik Philipp der Berater, Hartwig Keuntje der Kreative. Die arbeiteten also schon für Astra. Die Ausgründung kam, weil Jung von Matt von BMW Aufträge bekam, also musste der kleinere Etat von Audi weg. So entstand Philipp und Keuntje und übernahm Audi und Astra. Die gingen quasi mit in die neue Firma.“