Der Dschingis Khan aus Schwaben

Portrait
zuerst erschienen am 16. August 2007 in Capital Nr. 18, S. 156 ff
Klaus Bader zog vor elf Jahren von Böblingen nach Ulan-Bator. Als Bierbrauer brachte er es in der Mongolei zu Wohlstand. Den will er jetzt ausbauen - als Hotelier und Nussexporteur

Sommer in Ulan-Bator, Hauptstadt der Mongolei: Die Sonne strahlt, das Thermometer hat gerade die 30-Grad-Marke übersprungen. Klaus Bader sitzt auf einer Holzbank in seinem Biergarten, der wieder mal bis auf wenige  Plätze gefüllt ist. Einen Kilometer entfernt liegt die Zentrale seiner Brauerei - Khan Bräu. Das Bier ist beliebt, die Gartenwirtschaft auch.

Eigentlich hatte der 43jährige Schwabe allen Grund, stolz zu sein. In dem Land, das vielen nur als Reich des Dschingis Khan bekannt ist, hat er sich ein kleines Imperium geschaffen. Doch so richtig kann er den Erfolg nicht genießen. Seine Hände umklammern einen steinernen Bierkrug. Ganz so, als wolle er festhalten, was er sich hier aufgebaut hat. Sein Blick schweift hinüber zum Platz vor dem Nationaltheater. Sechs Biergärten sind dort, in nächster Nähe, innerhalb kürzester Zeit entstanden. In Baders Stirn graben sich tiefe Falten. Er war der erste, der die Idee mit der Gartenwirtschaft hatte.  Seine Geschäftsidee wurde kopiert. Das ärgert ihn.

Vor allem deshalb, weil er viel riskierte. Vor elf Jahren tauschte der studierte Informatiker aus Weil im Schönbuch, einer kleinen Gemeinde bei Böblingen, seine sichere Existenz gegen den Unternehmerjob in der Mongolei. Das ferne Land zwischen Russland und China hatte ihn neugierig gemacht.

An der Export-Akademie in Reutlingen, wo er ein Aufbaustudium absolvierte, kreuzt Otgonbaatar Sanjmayataar seinen Weg.  Der Mongole, er nennt ihn Ogo, soll sein späterer Geschäftspartner werden. Als er ihn zu Hause besucht,  merkt er, dass es in der Mongolei kein gutes Bier gibt. Bader hat eine Marktlücke entdeckt. Für 400 000 Dollar kauft er in München eine ausrangierte Hausbrauerei und lässt sie in Ulan-Bator wieder montieren. Gemeinsam mit Ogo gründet er Khan Bräu.

Er lässt nach dem deutschen Reinheitsgebot brauen und legt einen Biergarten an - ein Novum in der Mongolei. „Früher war hier alles schöner. Die Stadt war kleiner, die Luft besser“ Immer wieder denkt er zurück an die guten alten Zeiten: Die Hauptstadt der Mongolei war damals ein Eldorado für Unternehmer.

In Deutschland war ihm vieles zu starr und zu bürokratisch. Bader wollte etwas bewegen. In Ulan-Bator, einer Stadt so groß wie Düsseldorf, konnte er das. Vor allem die Gastronomie versprach Erfolg. Damals gab es hier gerade mal zwei trostlose Gaststätten und ein paar noch trostlosere Hotelbars.

Heute ist das anders: Hunderte Wohnblocks und jede Menge Geschäftshäuser entstanden. Die Aufbruchstimmung von damals wurde von der scheinbar heillosen Hektik der Millionenstadt platt gemacht. „Früher war hier alles schöner“, sagt Bader mit reichlich Wehmut in der Stimme. „Die Stadt war kleiner, die Luft besser.“ Inzwischen wird der Himmel über Ulan-Bator immer häufiger von einer Glocke aus Staub und Abgasen verhüllt.

Wenn die Rede auf seine Familie kommt, vertreibt ein Lächeln seine nachdenkliche Miene. Seine Frau Tul ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen des Landes. Die 39jährige Mongolin gehört zum Ensemble des Staatstheaters und arbeitet fürs Fernsehen. Im vergangenen Jahr war sie in vier Dschingis- Khan-Filmen zu sehen. Die Baders sind so etwas wie der Jetset von Ulan-Bator.

Mit Tul hat Bader zwei Kinder, jeder noch eine Tochter aus den Ehen davor. „Hier ist meine Heimat“, sagt der Deutsche mit dem auffallend runden Kopf, der kleinen Brille vor den wachen Augen und den hellen Haaren, mit denen er aus der Masse in Ulan-Bator heraussticht.

Bader steigt in sein Auto und fährt hinauf zum Dschingis-Kahn-Denkmal, das über der Stadt thront. Im Fonds sitzen seine Kinder. Sie kennen es schon, sind nicht wirklich scharf darauf, es wieder anzuschauen. Aber er will, dass sie es sehen. Eine Art Heimatkunde für die Kleinen.

„In Deutschland hätte mir keine Bank einen Kredit gegeben“ Unten, im Zentrum, lebt er mit seiner Familie und vielen Nachbarn in einem typisch mongolischen Haus, einem schmucklosen, weiß verkleideten Plattenbau mit dreiEtagen. Am Eingang hängt eine blaue Holztür, die von Federn zum Zuknallen gezwungen wird. Das Treppenhaus ist mit Graffiti besprüht.

140 Quadratmeter, auf zwei Stockwerke verteilt - das ist das Reich der Baders. Gemessen an der mongolischen Durchschnittswohnung ist das Luxus. „Es ist gut hier, wegen des Innenhofes, man kann die Kinder einfach rauslassen, muss keine Angst haben“, sagt Bader. Er kennt die Nachbarn. Vor ein paar Tagen stürzte sein Sohn beim Spielen. „Ein Nachbar hat ihn zum Arzt gebracht.“ Stolz zeigt der Kleine seinen Arm mit dem blauen Jodfleck über der genähten Narbe. „Wir alle zusammen helfen uns“, sagt Bader. Den Zusammenhalt hatte er in Deutschland vermisst.

Längst hat er sich eingelebt. Wer ihn beobachtet, spürt das: Morgens geht er zu Fuß zur Arbeit, mitten durch die Stadt, vorbei am Kaufhaus Ischtlgur, durch die Korea-Straße zu Khan Bräu, seinem Unternehmen. Nachmittags geht er die Korea-Straße entlang, am Staatstheater vorbei in den Biergarten. Er setzt sich auf seinen Platz und hat nach zwei Minuten einen Krug Bier vor sich stehen. „Es war faszinierend, in Deutschland hätte mir keine Bank einen Kredit gegeben, da gab es nur Hindernisse. Hier bekamen wir jeden, den wir wollten, weil ich Deutscher bin“, lacht er.

Damals war es Pflicht, einen mongolischen Geschäftspartner zu haben. Er hatte Ogo. Heute brauchte er ihn nicht mehr. Trotzdem sind die beiden noch immer ein Herz und eine Seele: Wenn Bader bremst, schiebt Ogo an. Die deutschmongolische Mischung ist auch in anderer Hinsicht von Vorteil: „Ich würde hier keinen Behördengang überleben.“ Ogo hilft dann mit seinen Kontakten, Bader mit seiner Reputation. Doch das alleine reicht nicht mehr. „Die Mongolen klauen jede Idee. Die kopieren alles“, sagt Bader. Er zeigt auf eine Einladung, die ihn von der Konkurrenz erreichte. Tiger Beer aus Thailand will in Ulan-Bator investieren. Längst machen ihm nicht nur die Mongolen Sorgen, ausländische Wettbewerber auch.

Er denkt an früher, als er hier ankam. Gemeinsam mit Ogo hatte er eine Baufirma gegründet. Die zog das Khan-Bräu- Gebäude hoch - das erste erfolgreiche Immobiliengeschäft in der Mongolei. In den oberen Stockwerken lässt Bader 16 Luxusapartments einrichten und zwei weitere Geschosse als Büros. Einer der Mieter ist die mongolische Dependance der liechtensteinischen Baumaschinenfirma Hilti. Bader baute weiter, zum Beispiel für Coca-Cola. Doch mit der Zeit wurde er immer häufiger unterboten. Inzwischen zog er sich aus dem Baugeschäft zurück.

Der Exil-Schwabe suchte nach neuen Geschäftsmodellen: „Ich verfolge immer zehn Ideen. Aus mindestens einer davon wird was.“ So kaufte er mit einem Kredit der Staatsbank 51 Prozent der großen früheren Staatsbrauerei APU. „Das war keine Konkurrenz zu Khan Bräu, das war Massenmarkt“, erinnert er sich. Bader polierte die Großbrauerei. Er wollte den ganzen Markt kontrollieren. Nach ein paar Jahren kam das Einsehen. Ein Konkurrenzkampf tobte, die Bürokratie nahm überhand. Die russischen Partner, die bei dem Geschäft im Boot waren, entpuppten sich als zu schwierig. Er verkaufte, mit einem überschaubaren Gewinn. Inzwischen gibt es vier Großbrauereien, viele kleine, in der Größe von Khan Bräu. „Ich weiß nicht, wer das alles trinken soll.“ Dosenbier kommt immer stärker in Mode. Er lässt es in Österreich in Lizenz brauen. Über China holt er die Dosen in die Mongolei. Manche Ideen wurden zu einem Erfolg, andere Unternehmungen misslangen Auch sein Ausflug in die Hotellerie gelang ihm. Vor drei Jahren zog er das Mongolia-Hotel hoch, 20 Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, draußen in der Steppe.  Der Clou: Die Gäste übernachten in Gers - den nomadischen Rundzelten. Die Auslastungsraten explodierten. Dieses Frühjahr baute er an.

Die Finanzierung war nicht einfach. Er übernahm das Hotelprojekt von einem mongolischen Geschäftsmann. Das nötige Geld dafür besorgte er sich an der Börse. Das Hotel wurde zur ersten Volksaktie der Mongolei. Bei der Erstnotiz lag der Wert eines Anteilsscheins bei 60 Cent, inzwischen liegt er bei einem Dollar. Ein Teil des Gewinns fließt inzwischen nach Japan. Der Mitsu-Konzern kaufte sich mit mehr als zehn Prozent bei Mongolia ein. Bader könnte zufrieden sein, doch er grämt sich. Weil seine Idee aufs Neue kopiert wurde und auch andere Hotels eröffnet wurden.

Doch manche Pläne floppten: Er versuchte sich in der Schweinezucht, weil er den anfallenden Brauereitreber, ein Abfallprodukt, nicht einfach wegwerfen wollte. Das hätte sich rechnen können, nicht aber in der Mongolei. Er musste den Betrieb schließen, weil immer mehr Schweine verschwanden.

Auch andere Unternehmungen scheiterten: Bader zeigt auf ein Pappmodell, das in seinem Büro steht. „Ich wollte ein Einkaufszentrum bauen. Aber das wurde nichts.“ So war das auch mit dem geplanten Export seines Bieres nach Deutschland. Ursprünglich wollte er in seiner früheren Heimat Khan Bräu als hippen Corona-Nachfolger für Großstadtkneipen positionieren - vergeblich. Die Marke war zu unbekannt. In der Mongolei wollte er später Lizenzen an andere vergeben. Erfand keine Partner und ließ es sein. Statt Bier werden jetzt mongolische Nüsse nach Deutschland exportiert. Um sich zu entspannen, fliegt er weg. Einmal im Jahr mit der Familie zum Baden nach Mallorca. Oder nach Asien in einen Ferienclub. Wochenenden verbringt er beim Grillen draußen in der Steppe. Er ist nicht mehr so engagiert wie früher. „Früher habe ich jede Menge Überstunden geschoben, heute mache ich Mittagsschlaf.“ War es das? Er zeigt er auf eine Packung mit Nüssen auf seinem Schreibtisch. Das Geschäft laufe gut. Baders Augen leuchten. Morgen geht der erste Container mit Nüssen nach Deutschland. Damit will er wieder Geld machen. „Per Luftfracht, die sind zu wertvoll für die Eisenbahn.“ 22 Tonnen Nüsse der Sibirischen Kiefer hat er im Herbst von Sammlern im Norden gekauft. Er bezahlte mehr als andere, hat ein Fair-Trade-Siegel bekommen, ein Ökosiegel sowieso. „Die richtige Wertschöpfung aber, die liegt im Schälen.“ Seit zehn Jahren beschäftige er sich mit Nüssen. Seit fünf Jahren hat er einen chinesischen Partner im Boot. Der hat kürzlich sechs Maschinen geliefert, die Nüsse schälen können, ohne sie zu zerstören. „Dieses Häutchen zu entfernen, das war schwierig, jahrelange Forschung sozusagen“, erklärt Bader.

Er deutet auf die Sä Jetzt stehen sie in Läden in Südostasien und in der Schweiz, bald auch in deutschen Reformhäusern als „Flores Farm Premium Zedernüsse, Natur“.

Es ist ein neuer Anfang. Mit einer weiteren Geschäftsidee will er in ein paar Monaten starten. Was er vorhat, will er noch nicht sagen. Er hat Angst davor, dass man ihn schon wieder kopiert.