Neue Heimat – Frauen im Knast

Protokolle
1999
Die Zelle ist ihr Nest: Frauen in der Justizvollzugsanstalt Aichtal erzählen von ihrer Heimat, ihrer Arbeit, ihrem Leben, vor allem aber von ihren Hoffnungen. Dabei lügen sie sich ihr Leben hinter Gitter etwas schöner.

Aichach, Jugendvollzugsanstalt

Zelle 211. Die Insassin ist 23 Jahre alt, sitzt wegen Drogenhandels 3 Jahre 4 Monate im Jugendvollzug ab

„Ich habe drei Jahren und ein bisschen was bekommen. Die könnten auf zwei verkürzt werden. Hoffe ich mal. Seit acht Monaten bin ich hier und arbeite, mache für Opel Autospiegel. Wichtig in meiner Zelle sind die Plüschtiere, das Krokodil und der Pinguin. Das sind Sachen, die die Zelle zu so was wie Heimat machen. So was wie. Für die nächsten Jahre ist das nun mal meine Heimat. Ob ich will oder nicht. Die Plüschtiere habe ich von anderen bekommen. Man darf ja nichts mitbringen. Deshalb lassen die Mädchen, die rauskommen, Plüschtiere da. Das Foto von Richard Gere hat mir eine Wächterin geschenkt. Hing im Büro. Als sie es abhängten, bekam ich es. Doch, der gefällt mir. Aber es war auch einfach schön, dass sie mir das gegeben hat. Das gab mir auch Würde. Naja, die hätte das Poster ja auch wem anders geben können. Aber sie hat es mir gegeben. Das hat mich gefreut, wirklich. Das andere Foto hinten ist härter. Klar, das da ist hart, aber warum nicht, ist meine Zelle. Wenn ich das hier hängen haben will, dann hängt es hier. Das Foto hat mir auch jemand vor der Entlassung gegeben, den Schwanz, sorry, den Penis, hab ich draufgemalt. Bissel groß? Naja, sowieso nur zum Spaß. Das ist ja sexfreie Zone. Ganz wichtig ist das Foto meiner Tochter, die ist bei meinen Eltern, ich sehe sie zweimal oder einmal im Monat während der Besuchszeiten sonntags für eine Stunde oder zwei. Sie ist fünf. Hab das Gefühl, dass sie gut klar kommt. Sie ist fast jedes Wochenende bei ihrem Vater. Er besucht mich nicht, muss er nicht, ist in Ordnung. Mein Freund besucht mich auch nicht, aber er schreibt. Ich auch. Das ist unsere Bestandsprobe. Jeden Morgen trinke ich hier Kaffee, das macht die Zelle gemütlich. Komisch, aber das gibt mir auch Würde, Kaffee trinken. Hier verbringe ich ja viel Zeit, die schönste ist die mit der dampfenden Kaffeetasse. Manchmal trinke ich ihn kalt, warte wie er kalt wird, das ist meine beste Zeit hier in meiner neuen Heimat. Doch, wegen der Plüschdinger ist es so was wie meine Heimat. Um 19.30 Uhr ist Einschluss, am Wochenende um 15.45 Uhr. Das war anfangs die härteste Zeit, da war die Sehnsucht am größten. Ich habe mich nach und nach dran gewöhnt. Sehnsucht habe ich immer noch, aber ich bin nicht mehr verzweifelt. Man hat Ruhe, kann viel nachdenken, planen: ich will den Quali nachmachen und lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Als Immobilienmaklerin, das wär es. Ist ein Traum, klar, nur ein Traum. Wenn es nicht klappt, kann ich wieder bedienen. Wird schon. Ich versuche hier drin nicht, Freundinnen zu finden. Ist besser so. Ich lese viel, meine Ausleihkarte ist voll. Grisham, andere Krimis und alles über Australien, da will ich nämlich mal hin. Aber ich kann nicht, wie ein paar andere hier, so richtig eintauchen in die Bücher, ich weiß immer, wo ich bin. Sex fehlt mir nicht wirklich, ist kein Problem oder besser, ist ein Problem, das an zehnter Stelle kommt. Es ist ok hier, aber nur ein Muss-Ort.“

Zelle 218. Die Insassin ist 19 Jahre alt. Hat für Körperverletzung und Raub 2 Jahre 3 Monate Jugendvollzug bekommen. Sie hat keine Zwillingsschwester

„Ich koche und backe viel. Wenn Aufschluss ist, bin ich in der Gemeinschaftsküche. Draußen hat mich das Kochen null interessiert, aber hier ist es gut. Einmal im Monat kommen meine Eltern. Inzwischen habe ich Ausgang, ich kann mit ihnen draußen essen gehen. Meine zwei kleinen Brüder sind auch dabei. Leider kommt die Tanzlehrerin nicht mehr, die war die ersten Monate einmal die Woche hier. Hat Spaß gemacht. Ich bin insgesamt 19 Monate hier, bis Juni. Das Foto in der Zelle mit dem Baby, das bin nicht ich, das ist meine Zwillingsschwester. Die wohnt weit weg, kommt nur ab und zu. Ich glaube, sie war dreimal hier. Nein, zweimal. Was ich brauche, ist Musik. Fernsehen interessiert mich nicht. Wir dürfen ja keinen Fernseher auf Zelle haben, nur im Gemeinschaftsraum. Ich höre viel Radio, leider kommt meine Musik kaum. DMX, der ist krass, echt gute Musik. Ich seh gern Filme, wo Bullen kaltgemacht werden. Mein Freund kommt nicht mehr. Als ich in U-Haft war, kam er ab und zu, aber das hat es nicht gebracht, ich habe mich nie drauf gefreut. Also hab ich das einschlafen lassen. Gut hier ist das Gespräch mit der Therapeutin, einmal die Woche. Hilft mir. Der Hofgang, eine Stunde am Tag, den mag ich wegen der frischen Luft. Hier drin habe ich Ruhe gefunden, früher waren viel mehr Emotionen in mir, das war nicht gut. Zu viel Emotion. Ich plane auf dem Bett die Zukunft. Wenn ich rauskomme, mache ich den Schulabschluss, werde zuerst bei den Eltern wohnen, dann eine Wohnung suchen. Man, ich bin 19, hab noch ein Leben, wenn ich rauskomme. Rein kam ich wegen Dummheit, meine Straftaten waren mit 15, 16, ich kam in ein Projekt, nach Frankreich in eine Gastfamilie. Da hat es mir nicht gefallen, nach zwei Monaten bin ich ab, es hat mir einfach keinen Spaß gemacht. Ich wusste, was kommt. Das hier. Klingt blöd, draußen hatte ich keine Freiheiten, hier drin bin ich nicht eingezwängt, kann selbstständig denken und handeln. Was ich wirklich vermisse? Eigentlich nichts, doch, eigentlich alles, aber nichts wirklich.“

Zelle 107. 19 Jahre alt. Falschaussage vor Gericht, Betrug, Einbruch, Verstoß gegen Auflagen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, 2 Jahre, Jugendhaft.

„Nächsten Mai hätte ich Halbstrafe, im August Zweidrittel, wenn ich bis zum Ende drin bin, komme ich März raus, also übernächsten März. Am 19. Juni kam ich rein. Mir geht es gut. Komisch, man gewöhnt sich dran, nur die erste Zeit war schlimm. Ab und zu gibt es noch Tage, an denen ich denke: Scheiße! Aber ich weiß, ich muss mich wohlfühlen, also fühle ich mich wohl. Ja, die Zelle ist meine Heimat inzwischen. Irgendwie. Wichtig sind für mich die Leute, die zu mir stehen, es ist wichtig, dass der Kontakt bleibt. In so einer Situation zeigt sich, wer zu Dir hält. Ein paar Kontakte sind abgebrochen. Dass auf dem Regal Männerdeo, Rasierwasser, Rasierbalsam steht, ist kein Zufall, ich wäre gerne ein Mann, ich werde auch mal einer werden. Ich rasiere mich, weil das den Bartwuchs anregt. Ich fühle mich als Mann. In der Zelle ist der Wandbehang wichtig, den hänge ich vor das Gitterfenster, damit es dunkel wird, dann geht es besser. Nach Einschluss habe ich nur ein ganz kleines Licht, es darf einfach nicht so hell sein. Ich lese Krimis, obwohl, eigentlich gar nicht soviel. Fernsehen auch nur wenig. Aber ab und zu muss man was tun. Du kannst ja nicht nur denken. Dann würdest du verrückt werden. Den Aufschluss verbringe ich mit meiner Freundin. Klar, ich spiele den männlichen Teil. Es gibt ein paar Stellen, an denen ich mich nicht anfassen lasse. Na welche wohl. Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, wir sind verliebt. Wir haben uns hier drin kennengelernt, es hat also, ja, was von einer Zweckgemeinschaft. Aber es ist liebhaben, doch, jetzt ist es verliebt sein. An unsere Zukunft denke ich nicht. Ich war im Heim und ich war in Therapie. Die hab ich abgebrochen. Ich weiß, ich werde eine Geschlechtsumwandlung machen lassen. Schulabschluss hab ich nicht, nur einen Lehrgang im Metallbereich abgebrochen. Und ein Praktikum. Wenn ich raus komme, kann ich nicht bei meiner Mutter wohnen. Würde nicht funktionieren. Vom Rasierwasser gefällt mir Hugo Boss und Axe. Gibt es hier nicht, deshalb nehm ich Nivea After Shave.“

Zelle 217. 19 Jahre alt. Drogendelikte und Beihilfe zur Körperverletzung, 3 Jahre Jugendvollzug

„Das Beste in der Zelle sind die Kissen. Ich habe sieben. Die brauche ich zum Kuscheln. Die Plüschtiere mag ich nicht. Sind nicht meine. Das 2 Pac Poster ist entscheidend. Der ist korrekt, eigentlich höre ich House, aber eben auch 2 Pac, den finde ich korrekt. Ich bin seit November hier, zu zwei Jahren und drei Monaten verknackt, hoffe, dass ich nicht alles absitzen muss. Obwohl, ich habe keinen Ausgang, weil ich hier drin mit Hasch erwischt wurde. War Dummheit, absolute Dummheit. Deshalb habe ich jetzt auch eine Glaswand zwischen mir und dem Besuch. Besuch ist wichtig, manchmal ist er richtig gut, manchmal aber macht er alles nur schlimmer. Die gleiche Person, die beim letzten Mal toll war kommt wieder und plötzlich hast Du den Hals voll. Das mit dem Hasch gilt als Rückfall, deshalb habe ich keinen Ausgang. Wir spielen viel Karten, ich habe Durak gelernt, ein russisches Spiel, meistens spielen wir Rommee. Mit meinen Freundinnen. Freundinnen in Anführungszeichen. Ich meine damit, die, die ich leiden kann. Richtige Freundschaft ist schwierig, weil ja ständig jemand geht und jemand kommt. Manchmal lasse ich den Hofgang ausfallen, um allein zu sein. Wichtig für die stille Atmosphäre sind die Vorhänge. Die braucht man, die gehören dazu. Schaut optisch einfach besser aus. Ich habe keinen Suchtdruck, man kann natürlich niemals nie sagen, aber ich habe vor, nicht wieder anzufangen. Ich bin in einer Gruppe mit Therapeutin und mit der Haustherapeutin rede ich viel. Das hilft mir. Einen Freund habe ich nicht. Der wäre nicht wichtig hier drin. Sex fehlt mir nicht. Was mir fehlt ist: Einkaufen gehen, Kleidung, so Zeug, ja doch, Klamotten überhaupt fehlen mir und Kaffee trinken gehen und Kino, aber Sex nicht. Zum Glück habe ich meine Shampoos und Cremes. Ja, da habe ich ziemlich viel von, ich kaufe die auf Vorrat, immer wenn ich Geld übrig habe. Die Kosmetik ist das Wichtigste. Ich bin von Kleinkind auf gewöhnt, Cremes zu haben. Klar, ich habe ein paar mehr davon als die anderen. Ist mir einfach wichtig. Wenn ich rauskomme, fange ich bei 0 an. Ich habe nichts, keine Ausbildung, keinen Schulabschluss, nicht mal Suchtdruck. Ich will den Hauptschulabschluss nachmachen. Mal sehen. Mal ganz ehrlich, wenn ich überlege, so viel Kontakt zu den anderen habe ich gar nicht. Ich hab kein Lust auf reden, hier gibt es Leute, mit denen hast Du lieber keinen Kontakt, dann geht es Dir besser.“

Zelle 111. 21 Jahre. Drogendelikte, Körperverletzung, Beschaffungskriminalität, 2 Jahre 5 Monate Jugendvollzug. Sitzt nicht, wie sie erzählt, wegen Schwarzfahren und hat keinen Freund

„Dealen kann man so nicht sagen, find ich. Ich war von 17 bis 19 voll süchtig. Einmal wurde ich mit Tütchen erwischt und bekam Bewährung, weil ich in Therapie ging und den Quali nachmachte. Aber ich sitze wegen schwarzfahren. Während der Therapie bin ich schwarz mit der Straßenbahn gefahren. Erschleichung von Leistungen. Weil ich auf Bewährung war, bin ich eingefahren. Ich wusste das nicht. Mir hat das keiner gesagt, insgesamt bin dreimal beim Schwarzfahren erwischt worden. Jetzt komme ich mir voll blöd vor. Hier einrichten will ich mich nicht, ich will mich hier nicht wohl fühlen. Sechs Monate sind mir sicher. Noch ein paar Monate mehr, wenn sie meine Therapie nicht anrechnen. Für die Zeit will ich mich nicht einrichten. Deshalb ist meine Zelle so unpersönlich. Ich seh das als Hotel mit Gitterblick. Da sind Fotos von meinen Eltern, einem guten Freund und von meinem Freund, sonst nichts persönliches. Meine Wohnung draußen habe ich natürlich auflösen müssen. Jetzt hoffe ich, dass ich, wenn ich rauskomme, gleich wieder eine habe. Ein katholisches Frauenhilfswerk hat so eine WG für straffällig gewordene. Da will ich rein, ein bisschen Kontrolle schadet mir nicht. Ich freue mich immer wochenlang auf Besuch. Zweimal im Monat je eine Stunde. Meine Eltern kommen selten. Von denen habe ich mich distanziert. Mein Freund kommt immer. Obwohl seine Eltern mich nicht mögen, ist ja klar. Ich vermisse ihn total, er ist das genaue Gegenteil von mir. Ich denke, Gegensätze ziehen sich an. Bei den Besuchen können wir uns küssen und berühren. Es hört niemand zu. Und es stört mich nicht, dass jemand dabei ist und nach dem Rechten sieht. Macht nichts. Wenn Du einen BTMG-Eintrag hast, kriegst Du leider keinen Freigang. Schade. Ich lerne hier drin Gitarre, eine Mitinsassin bringt es mir bei, ich habe ein Buch dazu. Ich lese viele Fantasy-Romane und Psychobücher, da steh ich drauf. Was richtig fehlt, ist das frei entscheiden können, sich das holen, was man will. Das Radio macht mich fertig, da kommt zehnmal am Tag Shakira, ich dreh noch durch. Gitarre lerne ich, damit ich weiß, ich hab nicht ein halbes Jahr meines Lebens sinnlos vergeudet.“

Zelle 118, 22 Jahre alt, schwere Körperverletzung, Bedrohung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, tätlicher Angriff auf Staatsbeamte, Trunkenheit am Steuer, 2 Jahre 8 Monate Jugendvollzug

„Ich stricke Socken, richtig viele Socken. Sitze in meiner Zelle und stricke Socken. Wenn ich nicht arbeite. Ich mache Modeschmuck in der Werkstatt. Außerdem male ich viel. Doch, das ist meine Zelle, meine, sie ist so hergerichtet, wie ich es wollte. Aber meine Heimat ist bei mir daheim, in dem Dorf, aus dem ich komm. Das ganze Dorf weiß, ich sitz im Knast, da wird nichts geheim gehalten. Warum auch? Ich habe 24 Monate bekommen. Weil ich mich mit Polizisten angelegt habe. Das mit Bedrohung heißt, dass ich geschrien hab: Ich bring Dich um. So Zeug halt. Angelegt? Also draufgeschlagen. Schon richtig. Ich war lange im Heim. Da habe ich den letzten Schliff bekommen. Hab alles gelernt dort. Hier, die Narben auf meinem Arm, die hab ich beim Taschengeldschneiden bekommen. Wer den tiefsten Schnitt macht, bekommt von den anderen das Taschengeld. Ich kam ins Heim, weil ich abgehauen bin. Ich hab zwei ältere Brüder, wenn die saufen sind, bin ich halt aus dem Fenster geklettert und hinterher. Alk ist sonst kein Thema für mich. Ich vermisse meine Familie und mein Dorf. Die Arbeit hier passt. Eine Freundin habe ich hier, der Rest ist mir Wurst. Ich höre gerne Schlager im Radio und Pink Floyd. Was die anderen hören, interessiert mich einfach nicht. Den Jürgen Drews finde ich klasse. Der ist hochintelligent, der macht nur einen auf blöd. Ich lese viel, meine Ausleihkarte ist voll. Grisham, andere Krimis und alles über Australien, da will ich nämlich mal hin. Wenn ich rauskomme, geht es erst mal ins Krankenhaus. Mein Ex-Freund hat mir Hepatitis C angehängt. Geschlechtskrankheit. Das heißt, wenn ich rauskomme, gibt es eine Interveron-Therapie. Dabei kann ich nicht arbeiten. Aber wenn das durch ist, mache ich den Quali nach. Ich habe eine Malerlehre fast fertig gemacht, habe die Kündigung bekommen, weil ich nicht zur Arbeit bin. Wenn ich rauskomme, mache ich die Lehre fertig. Dann den Quali, wie gesagt, dann das Abi. Ich hab mich lange genug ausgetobt. Wenn Einschluss ist, streiche ich jeden einzelnen Tag ab. Irgendwann müssen sie mich rauslassen.“