Der Anachronist

Portrait
zuerst erschienen im Juni 2002 in brand eins
Trigema. Ja, das sind die mit dem Affen in der Werbung. Die ihre Trikotagen ausschließlich in Deutschland fertigen lassen. Bei denen noch nie jemand betriebsbedingt gekündigt wurde. Daraus zu schließen, der Chef des Unternehmens sei von allen guten Geistern verlassen, ist falsch. Er ist nur anders.

Wenn Interviews eigentlich zu Ende sind, kommt oft die Situation, in der sich noch mal alles dreht. Der Fotograf hat schon aufgehört zu fotografieren. Der Schreiber klappt den Block zu. Der Interviewte ändert sich. Oft zum Besseren. Die Atmosphäre ist entspannt. Er taut doch noch auf, erzählt Privates und auch etwas Wichtiges für die Geschichte. Entscheidende Sätze. Plötzlich kein Schutzschild mehr. Viele reden sich dabei ins Elend, und Journalisten können nun zuschlagen, solche mit einem guten Gedächtnis oder solche, die glaubhaft machen können, dass sie alle fünf Minuten aufs Klo müssen und dort schnell die Blocks voll schreiben. Es waren wohl solche Situationen, in denen Rudolf Scharping oder Stefan Effenberg verloren. Wolfgang Grupp, alleiniger Herrscher von Trigema, sitzt an seinem großen Schreibtisch und lächelt. Er, Symbol für einen Wirtschaftspatriarchen alten Stils, der Mann, dessen Bekleidungsfirma gegen den Trend funktioniert, der nur in Deutschland produziert und daran nichts ändern wird, lächelt entspannt nach drei Stunden Interview. Und lädt zum Essen in sein Privathaus. Ein Mann, der als seltsam gilt, als nicht ernst zu nehmen. Doch der Erfolg gibt ihm Recht.

Er ist seit kurzem 60 Jahre alt, wirkt aber viel jünger. Sein Gesicht, wird von einer breiten Nase dominiert. Die Stirn hat viele Falten, manchmal, wenn er tobt, scheint sie nur aus Falten zu bestehen. Die Augen werden ab und zu ganz schmal, sein Blick ist dann hart. Manchmal, vor allem, wenn er lacht, sind sie groß. Die ganze Zeit ist sein Gesicht in Bewegung. Er hat ein paar Mal laut getobt, als das Gespräch auf Manager allgemein und auf Thomas Haffa, Jürgen Schneider im Speziellen kam. Leute, die nicht mit eigenem Geld haften für das, was sie tun. Die Werte vernichten. Die, nachdem sie Mist gebaut haben, sogar noch abgefunden werden. Er hält das für ein Hauptproblem der Wirtschaft. Den ehemaligen Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter hat er gefressen, den nennt er mehrmals „Rasche“ und erklärt, dass der sein Ding nur gemacht hat, weil er dem berühmten Vater (Ernst Reuter war Bürgermeister von Berlin) und sich irgendetwas beweisen wollte. „Den Fehler, den ich mache, bezahle ich. Kein Steuerzahler oder Lieferant übernimmt die Zeche.“

Gebrüllt hat er auch beim Thema: im Ausland produzieren. Das ist seines, dazu wird er dauerinterviewt. Mit gutem Grund. Er hat viel dazu zu sagen. Und wie er das sagt: Wolfgang Grupp ist, und das weiß man, sehr emotional, mit Herz dabei, im besten Sinne des Wortes. Selbst wenn es nur eine professionelle Veranstaltung für ihn ist, die x-te, wie ein Blick ins Archiv zeigt, tobt er manchmal ungespielt. Was er sagt, hat er schon oft gesagt, ab und zu formuliert er es um. Für mich sagt er: “ 100000 T-Shirts mit einem Jahr Wartezeit, das kann ein Entwicklungsland auch.“ Trigema ist für sein Riesenlager bekannt und dafür, innerhalb von ein paar Tagen zu liefern. Das sagt er oft und jedem.

Es gebe, gibt er lächelnd zu, so etwas wie Moden. Früher wurde er immer zum Thema Lohnkosten und in Billiglohnländer gehen zu Wort gebeten, hundertmal. Dann hatte sein Werbespot mit dem Affen und ihm, der vor der Tagesschau lief, journalistische Konjunktur. Schreckliche Werbung. Als ich ihm das sage, lächelt er säuerlich und sagt: „Aber erfolgreich.“ Und billig. Den Spot hat keine Agentur gemacht, sondern ein Mann, den er kennt. Ihm ist wichtig, dass er darin nicht behauptet, die besten T-Shirts zu machen, sondern: dass er nur in Deutschland produziert.

Das nächste Thema war der Vertrieb über die „Testgeschäfte“, das sind seine Läden, die zurzeit für den Trigema-Erfolg sorgen, seine Version des Fabrikverkaufs. Also dutzende von Interviews zum Thema Eigenverkauf. Seine Firma sei inzwischen nicht mehr vier-, sondern fünfstufig. Das heißt: vom Stoffherstellen, Färben, Bleichen, Bedrucken, Zuschneiden, Nähen und so weiter bis zum fertigen Produkt. Und nun bis zum Verkauf an den Endkunden, alles Trigema, da ist er in Deutschland der Einzige, der das macht. Auf den Verkauf war er nicht scharf, aber weil alle die Preise drücken wollten, haben sie ihn gezwungen, das auch noch zu machen. Das gerade hippe Thema, zu dem jeder ein Zitat von ihm will, ist: Manager haften nicht, spielen mit fremdem Geld, tragen keine wirkliche Verantwortung. Wer jemanden braucht, der gegen pures Shareholder-Value-Denken wettert, besucht Grupp. Klar, er mache Interviews, weil sie Werbung für seine Firma sind, sagt er. Sie brächten mehr als teure Anzeigenseiten.

Wolfgang Grupp trägt Maßanzüge, Weste, Krawattennadel. Alles sehr korrekt. Er will Vorbild sein

Er hat ein paar gute Zitate geliefert, wissend, dass sie knallen. Zum Beispiel: „Wenn der Papst die Osterpredigt in Trigema hielte, würde ich ihn natürlich bezahlen.“ Stolz holt er eine Liste aus dem Schrank, richtig stolz: 13 Vereine der ersten Fußballbundesliga hatten schon die Trigema-Werbung auf der Brust stehen. Fast wäre Bayern München dazugekommen, für drei Jahre, aber Adidas hatte damals ein Veto eingelegt. Hätte 1,2 Millionen Mark pro Saison gekostet. „Das war damals viel.“ Das Trigema-Emblem prangt auf einigen Charterflugzeugen. Auf so etwas ist er stolz, auch wenn er betont, dass es nur ums Geschäft geht. So, er hat alles untergebracht, was er unterbringen wollte, sitzt nun da in dem durch die vielen Berichte über ihn bekannten Großraumbüro mit der niedrigen Decke und diesem schrillen Blauton. Die Wände sind mit Samt bezogen. Die Firmenzentrale in Burladingen ist arg Seventies. Große gerahmte Ölporträts an der Wand fallen auf. Sie zeigen Grupps hübsche junge Frau, seine Großmutter und seinen Großvater. Und ihn selbst. Er ist eitel. Doch. Oder wie ein Freund von mir, der mal vor Jahren mit ihm zu tun hatte, sagt: „Grupp? Ich kenne keinen, der mehr geliebt werden will. Von allen, von seiner Familie und seinen Mitarbeitern.“ Stimmt.

Grupp trägt wie immer einen Maßanzug, der seine Figur betont. Er ist nicht groß, was gern als Antrieb interpretiert wird, als Erfolgsgrund. Aber so klein wie er ehrgeizig und erfolgreich ist, ist Wolfgang Grupp nun auch wieder nicht. Seine Weste sitzt eng, die Krawatte ist durch eine goldene Nadel fixiert, der Knoten für meinen Geschmack viel zu klein. Der Kragen des weißen Hemdes wirkt gefährlich eng. Der Mann scheint eingezwängt, gefesselt. Seine Aufmachung wirkt altmodisch. Gerade hat er gesagt, dass er zwar eine Sonnenbank besitze, aber noch nie darauf gelegen habe. Wahrscheinlich kommt der starke Braunton seines Gesichts von Karotin. Ich traue mich nicht, nachzufragen. Er könnte jedenfalls etwas lässiger aussehen. Danach frage ich, und er antwortet, er habe eine Vorbildfunktion im Betrieb und im Ort. „Das ist ein Problem heute, keine Vorbilder mehr.“ Zu Hause habe er deshalb nur drei TV-Programme. Er will nicht, dass seine Kinder den ganzen Mist sehen. Deshalb läuft er herum wie früher, weil er etwas vorleben will. Er fragt: „Haben Sie Hunger? Wollen Sie ein paar Brote?“ Ja.

Grupp führt den Fotografen und mich über Geheimwege aus der Firma, durch den Vertrieb, vorbei an 80 Meter langen Regalen mit T-Shirts und anderem, zwei Stockwerke nach unten, durch eine Metalltür über eine Metalltreppe auf einen Betonhof. Er geht schnell. Überall der Schriftzug, das Emblem, das an eine Schwalbe erinnert und die beiden Striche in Blau und Rot mit einem kleinen weißen Abstand dazwischen. Auf der Durchgangsstraße zähle ich 14-mal Trigema. Ich frage ihn, wie oft das Firmenzeichen im Ort zu sehen ist. Er lacht und erklärt: überall, auf jedem Gebäude, Er meint damit seine. Manchmal ist das Trigema-Zeichen in zwölf Metern Höhe, vier auf vier Meter, manchmal auf zwei mal zwei, aber man sieht es überall. Und es gibt Würfel, schräg gestellt, damit man jede Fläche sieht, auf jeder Fläche Trigema.

Er führt uns über die Straße. Grüßt fünf Frauen, die in seiner Firma arbeiten. Wie fast alle in Burladingen. Steinstufen hoch, ein Holztor in einer hohen weißen Mauer. Er schließt auf. Blick in seinen Park, 25 000 Quadratmeter, ein 45 Meter langer schmaler gewundener Pool. Jeden Morgen um sechs schwimmt er ein paar Bahnen, auch im Winter. Ich denke, der Mann quält sich wirklich. Zum Beispiel für seine Firma.

Sein Haus: riesig, Reetdach, was hier in der Gegend selten ist. Innen: groß, hoch, viel helles Holz, viele große Fenster, hohe Decken, deutscher Edelschick, spießig. Er zeigt auf einen großen Vogel, den er, der passionierte Jäger, an dem Tag geschossen hat, an dem er seine Frau kennen lernte. Erzählt er lächelnd. In einem Bücherregal viele Kunstbände, allein drei zu Chagall. Dazu einige Werke über Schwaben. Zum Mittagessen nimmt er Obstsalat mit Jogurt und sagt, dass er eigentlich nie warm isst. Morgens und abends Brot, mittags Jogurt mit Äpfeln, Orangen und Trauben. Wir sitzen und schauen in den großen grünen Garten, in dem gerade für den neuen Trigema-Katalog fotografiert wird. Das passiert immer in seinem Garten. Sein Sohn und seine Tochter, deren Freunde, Leute aus dem Dorf sind die Fotomodelle. Wir reden über Familie und noch mal über alles, was wir drei Stunden lang drüben im Büro durchgekaut haben. Denn was er da gesagt hat, klang so simpel, so logisch, so als wüsste er, wie man den Produktionsstandort Deutschland retten kann. Obwohl er dabei immer bescheiden war, sich nie als Problemloser präsentiert hat. Er sagt: „Ich bin nicht selbstherrlich, ich kann morgen auch Probleme haben. Probleme lösen, das gelingt mir. Aber ich kann auch die gleichen wie die anderen bekommen.“ Mehrmals betont er, dass er nur über die Vergangenheit sprechen kann, nicht über die Zukunft. Das sei so ein Fehler, den viele machen, Riesenprognosen, Versprechen. Und dann: plopp. Das wolle er nicht, „Sie können mich nur zur Vergangenheit fragen“.

Jetzt sitzen wir an dem großen runden Tisch, er und ich auf der gepolsterten Eckbank, der Fotograf auf dem Stuhl. Überall, wie auch drüben im Büro, Fotos von ihm und seiner Familie. Eine seiner Hausdamen bringt die aktuelle „Aktuelle“. Drin ist eine Fotogeschichte über Grupp, Familie, Heim. Er ist eindeutig stolz darauf, dass die Leute etwas über ihn wissen wollen, dass es sie zu interessieren scheint, wie sein Haus eingerichtet ist. Er nimmt den Jogurt mit goldenem Löffel aus einer flachen Schale zu sich. Vor ihm liegt ein goldener Serviettenring auf dem Tisch. Ab und zu drückt er auf einen Knopf und ruft die beiden Hausdamen. Können Sie noch ein bisschen Käse bringen? „Der Butler ist übrigens krank, weil Sie doch vorhin nach ihm gefragt haben.“ Grupp hat einen englischen Butler, der im Stresemann und mit weißen Handschuhen serviert. Hausdamen und Butler fahren mit der Familie Grupp jedes Wochenende in die Jagdhütte im Allgäu.

Das Licht ist hier im Speisezimmer anders als im Büro auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Jetzt sehe ich einzelne graue Haare in seinem dichten braunen Schöpf. Eines, ganz drahtig, glänzt auf der mir zugewandten rechten Seite der Stirn. Auch seine Frisur könnte lässiger sein. Wieder das Thema unternehmerische Verantwortung: Der Mann hat noch nie jemanden aus betriebswirtschaftlichen Gründen entlassen. Er garantiert jedem Firmenmitarbeiter einen Job bei Trigema für sämtliche Kinder. Er hat die Grupp-Stiftung mit zwei Millionen Euro Kapital ins Leben gerufen, sie unterstützt Firmenmitarbeiter, die aus welchen Gründen auch immer Hilfe brauchen. Er sagt Sachen wie; „Wenn ich mitten in der Nacht fünf Freunde bräuchte, könnte ich viele anrufen. Meine Mitarbeiter wären sofort da. Wahre Freunde zeigen sich, wenn du ein Problem hast. Ich habe immer mit Problemen gelebt, schon in den Siebzigern, das ist heute ein Vorteil.“ Immer hätten ihm die Mitarbeiter geholfen. „Diese Menschen kann ich nicht wegschicken, weil es mir zwei Pfennig pro Teil bringt.“ Er sagt das sehr vehement.

Kurze Pause. Ich frage nach. Plötzlich ändert sich seine Stimme. Er klingt ganz anders. Ich schaue ihn genau an und sehe: In seinen Augenwinkeln sind Tränen. Er sagt schniefend: „Sie müssen auch Schwächere akzeptieren. Sie müssen gerecht sein. Sie müssen Vorbild sein.“ Ich bin baff, der Fotograf beißt in sein Käsebrot, schaut auf die Tischdecke. Wahrscheinlich denkt er nur in Bildern, nicht in Worten. Ich sage hilflos zu Grupp: „Sie ‚sind ein sehr emotionaler Mensch.“ Er: ,Ja, Geschäfte muss man mit Herz machen, über Leichen gehen, das geht nicht.“ Ich habe das Gefühl, mir schießen auch gleich Tränen in die Augen. Was neu wäre, ich heule nie. Jetzt würde ich gern mit Wolfgang Grupp heulen, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Nur aus Sympathie. Er: „Sie müssen gebraucht werden. Es sind nicht nur die 1200 Arbeitsplätze, hier im Ort hängen 5000 Leute dran.“ Vorhin klangen Sie nur egoistisch, sage ich. „Das war Provokation. Aber klar, ich denke an mich.“

Wer 16 Stunden am Tag arbeitet, ist eine Flasche, glaubt Grupp. Die Familie ist wichtiger

20 Minuten später reden wir über die Bedeutung der Familie. Seine beiden Kinder sind seit kurzem in der Schweiz in einem englischen Internat. Er war auch in einem Internat, habe in den ersten Tagen nur geheult, das gehöre dazu. Er lobt die Kinder, erzählt, wie toll sie sich verhalten haben im Urlaub auf Barbados. Ich höre raus, dass er Werte vermittelt hat, dass er das Gefühl hat, die kamen an. Stolz ist spürbar, und die Stimme ändert sich. Er schluchzt. Wieder mit Tränen in den Augenwinkeln sagt er: „Natürlich ist die Familie wichtig.“ Ich würde ihn gern berühren, vielleicht auf die Schulter klopfen. Irgend so etwas. Aber er sitzt zu weit weg. Für mich ist klar, er schauspielert nicht. Warum sollte er? Es ist auch klar, dass er kein Problem damit hat.

Zwischen den ersten Tränen und diesen hier bin ich kurz aufgestanden und habe gesagt: Ich muss noch mal meinen Block holen. Er sieht, dass ich aufschreibe. Ich schaue ihn an, in seinen Augen glitzert es. Stört ihn nicht. Der Mann ist stark, souverän. Er gilt als hart, als knallhart. Viele mögen ihn nicht, aus verschiedenen Gründen, die vorher im Büro zur Sprache kamen. Obwohl, nicht mögen ist falsch. Er ist einfach suspekt, weil er anders ist, anders arbeitet, anders denkt und anders funktioniert. Ich könnte mir denken, dass viele deshalb ein bisschen Angst vor ihm haben, weil sein Erfolg ihre Methoden in Frage stellt. Dass sie Angst vor seiner Emotionalität haben, so wie ich vorhin im Büro, als er schrie, wirklich schrie: „Wer erzählt, dass er 16 Stunden am Tag arbeiten muss, ist eine Flasche. Eine Flasche.“ Er hat gleich darauf erklärt: „Es gibt bei mir eine feste Rangordnung, ich habe Zeit für die Familie.“ Jetzt sitzt er hier, schnieft, ich sage ihm hilflos, dass ich dieses Gespräch wirklich schätze, dass ich das Gefühl habe, die professionelle Ebene verlassen zu haben. Ich hample verbal rum, weil ich hilflos bin. Der Fotograf kaut, und Grupp fragt: “ Wollen Sie noch Brot?“

Im Büro hat er von früher erzählt und von seinen Vorfahren, eine verwirrende Geschichte. „Es war so, dass alle, die hier in Deutschland herstellten, Millionäre waren. Je mehr Arbeitsplätze, desto reicher. Ganz einfach. Auch hier in der Textilbranche, in Burladingen.“ Burladingen ist ein Ort in Schwaben. Die nächstgrößere Stadt heißt Albstadt. Hier in der Gegend ist Wolfgang Grupp der Fürst, der Held. Aus gutem Grund. Bei seiner Firma Trigema läuft es anders, erfolgreich. Einmal hat er - bescheiden - gesagt, “ ich werde nicht sagen, dass ich morgen keine Fehler mache, irgendwann könnte das passieren“. Aber bisher war jede seiner unorthodoxen, weit reichenden Entscheidungen genau die richtige. Was Trigema, im Gegensatz zum Rest der Branche, vor der Krise bewahrt hat. Der Rest der Branche? Meldungen aus den vergangenen zwei Jahren: Fruit of the Loom ist insolvent. Schiesser hat alle Produktionsarbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Steilmann baut 3000 Arbeitsplätze ab. Die Wünsche AG - insolvent. Jockey - Kündigungen. Escada - Probleme. Oder nehmen wir Burladingen: Hier gab es vor 25 Jahren 26 Textilbetriebe, heute nur noch Trigema. In der Firmenbroschüre steht: Kauf der Firma Hema, Burladingen, 1991. Kauf der Firma Marianne Pfister, Burladingen, 1990. Kauf der Firma Seemann, Burladingen, 1987. Kauf der Firma Eugen Mayer, Burladingen, 1982. Grupp kauft nur mit eigenem und investiert nur eigenes Geld. Keine Schulden, keine Kredite, 100 Prozent Eigenkapital. Alles, jeder Neubau, jeder Zukauf, jede Erweiterung wird selbst finanziert. Die Firma heißt offiziell: Trigema Inhaber Wolfgang Grupp e. K., e. K. heißt eingetragener Kaufmann, das heißt, er haftet voll. Gut 80 Millionen Euro Umsatz macht seine Firma. Und immer Gewinn. Wie viel, das sagt er nicht. „Eine Bilanz bekommt nur das Finanzamt.“

Trigema-Werke gibt es in Burladingen und in Altshausen, in Balingen-Engstlatt und in Rangendingen, alle in der Nähe. Immer mehr verkauft er in so genannten Testgeschäften. Die sind so etwas wie Outlets, die ihm gehören. Pro Jahr macht er zwei, drei auf, überall in Deutschland. Inzwischen hat Trigema 36 solcher Geschäfte. Alle, wie gesagt, selbst finanziert, für eineinhalb, zwei Millionen Euro das Stück. Die Hälfte seines Umsatzes macht Trigema in diesen eigenen Läden. Verkauft dort zu wirklichen Fabrikpreisen plus Mehrwertsteuer. Das heißt: Wenn Aldi bei Trigema ein T-Shirt bestellte, bezahlte Aldi genauso viel wie der Kunde im Trigema-Laden. Grupp hat sich nie auf einen Großabnehmer verlassen. Zwischen 1988 und 1993 habe er, sagt er, 95 Prozent seines Kundenstammes ausgewechselt. „Man muss Nein sagen können. Meine erste Prämisse ist die Unabhängigkeit von Kunden, Banken, Lieferanten, Mitarbeitern.“

In seinem Büro, dem Großraum, in dem seine gesamte Verwaltung untergebracht ist, 32 Leute, hat er zuvor erklärt, warum seine Firma durchkam und die anderen nicht: „In den Unternehmen machte sich in guten Zeiten, und die gab es früher etwas öfter, Größenwahn breit. Da wurden Kapazitäten aufgebaut, und in den schlechten Zeiten, wenn sich alles normalisiert hatte, gab es nicht genügend Aufträge. Man versuchte Aufträge ranzuholen, die Kunden drückten den Preis. Die ganz normale Spirale. In dem Moment, in dem ich dem Kunden nachrenne, habe ich verloren.“ Trigema machte nie mit. Grupp ließ sich bei seinem Großkunden Aldi aus dem Sortiment nehmen, weil er die Spirale nicht mitmachen wollte. Trigema produzierte immer auf Halde, es gab Witze über die großen, bis zur Decke vollen Lager. Früher. Heute macht darüber niemand mehr Witze. Als er die Firma 1969 von seinem Vater übernahm, hatte sie zehn Millionen Mark Schulden. Das war damals sehr viel Geld. Zuallererst baute er die Schulden ab. Seit 1975 ist Trigema schuldenfrei. Schuldenfrei heißt für ihn auch: keine Schulden bei Lieferanten. Er zahlt sofort.

Eine Frage, die ich ihm, mit verschiedenen Worten, etwa fünfmal stelle, ist: Warum hat denn keiner Ihr Erfolgsrezept kopiert? „Wenn er angefangen hat auszulagern, ist es vorbei. Zurückmachen geht nicht.“ Aus Kostengründen. Und, das ist ihm ganz wichtig, „derjenige ist natürlich unglaubwürdig bei den Arbeitnehmern, denn er hat vorher einen Sozialplan gehabt“. Grupp selbst hat in den siebziger Jahren auch mal im Ausland produzieren lassen. „Aber wenn ich da groß gebaut hätte, hätte ich die Kapazitäten nicht abbauen können. Es fing damals in Griechenland an. Das war nicht so schlecht.“ Aber er hörte damit auf. Ich verstehe ihn so, dass er aufhörte, weil er nachgedacht hatte. Er sagt über sich: „Ich passe mich konstant der Situation an.“ Und: “ Probleme erkenne ich wohl schneller als andere, ich erkenne sie im Auftragsstadium.“ Im Gegensatz zu anderen sitze er nämlich mittendrin, im Großraumbüro. Er ist jeden Tag ein Stockwerk weiter unten, in der Produktion. „Ich arbeite ganz filigran bis in die Tiefe hinein.“ Und: „Ich kann jedes Telefonat beantworten, jedes.“

Zu seiner Erfolgsgeschichte gehören noch andere Sachen: „Das Wichtigste war, dass ich aus der Anonymität kam, ich hatte keine Marke.“ Sein Vater hatte für Kaufhof und andere Unterwäsche produziert, ohne Markennamen. Der Sohn suchte andere Abnehmer: “ Früher hat Schiesser etwa die Metro nie beliefert. Die wollten Top-Marken, bekamen sie aber nicht, aber sie bekamen meine. Wir sind rausgeflogen, als die dann Eigenmarken machten. Also sind wir zu den Discountern, und irgendwann sind wir da auch rausgeflogen. Da haben wir auf unsere eigenen Geschäfte gesetzt. Wenn der Handel versucht, den gestandenen Produzenten an die Wand zu drücken, muss man weg. Wir verdienen an der Produktion, müssen im Verkauf nichts verdienen, das sorgt für unsere Anziehungskraft.“ Das könne keiner mehr nachmachen. „Alle anderen Firmen hatten Angst vor Fabrikverkauf, weil sie fürchteten, dass ihre Abnehmer beleidigt sind. Das ist kein Problem für uns, wir waren nie so stark als Marke.“

Eine andere Entscheidung war: auf den Tennis-Boom zu setzen, Ende der Sechziger. Anfang der Siebziger hatte Trigema angefangen und war gut im Geschäft, als Tennis populär wurde. Ein anderes Prinzip sei: „Nicht vorplanen, flexibel sein, reagieren.“ Man könne gar nicht alles planen. „Wir gelten heute als der , Flexibelste. Wir produzieren innerhalb von 48 Stunden jeden Artikel, wir liefern innerhalb von 24 Stunden. Beste deutsche Qualität, die zigmal gewaschen werden kann. Ohne Qualität kann ich heute nicht mehr existieren.“ Die vollen Lager, ein Widerspruch zur Just-in-time-Ideologie. Aber die vollen Lager sorgen dafür, dass Grupp angerufen wird, wenn man unter Druck steht und schnell Ware braucht. Grupp liefert sofort.

„Wenn Sie im Ausland produzieren, werden Sie zum Wanderer, der von Billiglohnland zu Billiglohnland zieht. Und Sie hinterlassen dabei in jedem Land einen Konkurrenten. Die Fabrik steht, die Leute sind ausgebildet, einer macht das immer weiter.“ Er erzählt wieder von früher, nimmt seine Familie als Beispiel: Der Großvater war einer von drei Brüdern mit zwei Schwestern. Alle blieben in der Branche. Es gab also die Firma Josef Mayer, und es gab die Firma Gebrüder Mayer. Nach 20 Jahren haben die sich getrennt. Der jüngere machte eine neue Firma auf. Da gab es also Josef Mayer, Gebrüder Mayer und Eugen Mayer. Eugen Mayer machte Anfang der Achtziger Konkurs. Grupps Vater, Schwiegersohn von Josef Mayer, übernahm nach dessen Tod dessen Firma. Sein Sohn Wolfgang - wir sind jetzt in der Gegenwart - kaufte Gebrüder Mayer. Seine Großtanten hatten auch in Textilgeschäfte eingeheiratet, in Gammertingen und Burladingen. Alle haben schließlich Konkurs gemacht. Nur er hat es geschafft.

Grupp sagt, er sei ein Egoist. Aber er ist der Einzige, der auf Tagungen dem Personal Trinkgeld gibt

Wir sitzen an seinem Esstisch, trinken Kaffee. Er wiederholt etwas, das er vorhin schon im Büro gesagt hat: „Wer sich aus Hamburg oder wer weiß woher bewirbt bei mir, hat keine Chance. Ich weiß doch, dass ich unten auf seiner Liste stand, ich bin seine letzte Wahl. Und wenn ich ihn nehme, kündigt das Arschloch, sobald er etwas anderes hat.“ Im Büro kam seine Sekretärin gerade mit Saft und Kaffee. Wie alt ist Ihr Vater?, fragte er sie. „52.“ Er kam mit 14 zu Trigema. Auf die Frage nach seinen Fehlern antwortet er: „Ich habe tausend Fehler, aber ich kann Ihnen natürlich keine echten Fehler nennen. Ich bin Egoist. Aber gut, ich bin zu offen, zu wenig diplomatisch.“ Dann er erzählt von diesen Managern: wie er ab und zu bei Einladungen mit denen isst, dass er der Einzige ist, der dem Personal, das kocht und aufträgt, Trinkgeld gibt. „Das können die nicht von der Steuer absetzen, deshalb bin ich der Einzige…“ Grupp, der Mann des Volkes.

Wir stehen am Tor seines großen Gartens. Er wiederholt noch mal, das Hauptproblem der Wutschaft sei, dass Manager nicht mit eigenem Geld für ihre Arbeit haften. Der Fotograf und ich gehen zum Auto, setzen uns rein. Ich schaue hinaus, sehe überall Trigema-Farben und Embleme, schreibe auf: 5x6 Meter in ca. 12 Metern Höhe, 3x3 Meter in ca. 7 Metern Höhe, 3,5 x 3,5 Meter in ca. 3 Metern Höhe, 2,5 x 2,5 Meter in ca. 3 Metern Höhe, dazu die kleinen Trigema-Zeichen über jeder Laderampe und der Würfel auf der anderen Straßenseite, 2,5 x 2,5 Meter, mit dem Emblem auf jeder Fläche. „Schrill“, schreibe ich dazu, „ein Rausch.“ Und: “ Unwichtig, es geht nur um den Mann.“ Der Fotograf dreht den Zündschlüssel und sagt: .“Meine Güte, er hat geweint.“ Schlimm? „Nein, faszinierend.“ Und die ganze Fahrt nach Stuttgart reden wir über Wolfgang Grupp, interpretieren ihn, denken über ihn nach.