Minenträumer

Reportage
zuerst erschienen im Mai 2003 in brand eins
Landminen töten 800 Menschen im Monat. 120 Millionen Minen liegen weltweit im Boden. Sie zu räumen dauert ungefähr 70 Jahre. Wenn keine neuen hinzukommen. Doch es gibt eine Maschine, die es schneller könnte. Nur will die keiner. Weil es gut ist, wie es ist. Oder?

Werner Maar, einst Oberstleutnant der Bundeswehr, jetzt, mit 64, seit zehn Jahren Rentner, sitzt im Wohnzimmer in Hambach an der Bergstraße südlich von Darmstadt. Grüne Gegend. Sein Haus liegt an der Wendeplattform einer Straße auf einem Berg. Vom Wohnzimmer aus sieht man Laubwald. Vogelgezwitscher. Maar spricht ruhig, mit bayerischem Akzent. Sein runder Kopf, die wenigen Haare, die Gemütlichkeit - er wirkt friedlich. Ruhig, damit es faktisch klingt, wiederholt er: „Das war unbestritten die beste Maschine zum Minenräumen. Das ideale Gerät. Aber es wurde nie eingesetzt. Wurde einfach nicht zur Kenntnis genommen.“ Warum? „Da war Geld zu machen. Anfang der Neunziger lagen auf Banken der Welt 220 Millionen Dollar nur fürs Minenräumen bereit. An diesen Kuchen wollte die Industrie ran. Das war und ist eine Riesenlobby. Die haben das massiv hintertrieben, Krohn hatte keine Chance.“

Er redet, erfreut, endlich gefragt zu werden. Wobei er vorsichtig Fakten und Deutungen unterscheidet, wie ein solider Zeuge des Ungeheuerlichen. Es geht um einen missglückten Marktzutritt. Das Produkt war prima, mit Abstand das beste. Der Markt war und ist da. Zahlen des Intel-nationalen Roten Kreuzes in Genf: 120 Millionen Minen liegen in 64 Ländern. Jährlich kommen zwei bis fünf Millionen dazu. Pro Monat 2000 Minenopfer, 800 davon tot. Von den 2000 Opfern sind 800 Kinder, 90 Prozent Zivilisten.

1989 - die Mauer fällt. Oberstleutnant Maar, ein Bundeswehr-Pionier, wird entsandt, sie zu schleifen. Er setzt schweres Gerät ein, um möglichst schnell zu arbeiten. Nur: Die Bundeswehr darf keine Jobs machen, die private Unternehmen erledigen könnten. Also wird die Firma AVA gegründet, die dem Bund gehört. Maar wird ihr zugeteilt. Er und seine Leute bekommen Sold, arbeiten aber für eine GmbH. Die AVA ist Chaos, die Geschäftsführer, einer von der Armee und einer aus der Politik, bekämpfen sich. Viele Millionen Mark aus der Staatskasse landen angeblich in der Schweiz, illegal zinsbringend. Verantwortliche müssen gehen. Die AVA wird Ende 1992 aufgelöst. Die GRV, die Gesellschaft zur Rekultivierung und Verwertung von Grundstücken, auch hundertprozentige Staatstochter, übernimmt die Geschäfte.

„Beides waren“, sagt Maar, „mysteriöse Firmen. Wir mussten nicht kostengünstig arbeiten. Sparmaßnahmen sind kontraproduktiv, hieß es oft von oben. Was wir brauchten, bekamen wir vom Staat. Alles.“ Im Etat waren 500 Millionen Mark, die man ausgeben oder zurückgeben musste. Die GRV – an der Spitze Wessis, im Mittel- und Unterbau Ossis – war eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Ex-DDR-Soldaten. 1800 Grenzer mutierten zu Minenräumern. „Die Jungs hatten Zeit. Die wussten, wenn wir hier fertig sind, nimmt uns keiner mehr.“

Der ehemalige Offizier sagt: „Es gab nichts Besseres.“ Aber: „Krohn hatte keine Chance.“

Maar:“Das Minenräumen lief vorsintflutlich, aber es gab nichts anderes. Es war schlimm, aber bestmöglich. „Also, Pflügen und Eggen und Hinschauen und Handräumen. Niemand kommt zu Schaden, außer der Staatskasse. Die Ex-NVAler tragen Schutzanzüge und Helme, hören Piepser, wenn eine Sonde auf Metall reagiert. Viel stammt von Drahtzäunen, die bereits zerschweißt sind. Im Sommer machen die Räumer alle 20 Minuten Pause, nass geschwitzt in Schutzanzügen. Da viele Minen aus Plastik sind, also nicht piepen, stochern die Männer mit Nadeln. Alle zwei Zentimeter ein Stich.

Viele Flächen, so Maar, werden zu oft geräumt. „Ich unterschrieb, wenn der Boden nach menschlichem Ermessen leer war. Oft lag am nächsten Tag mitten darauf eine Mine. Die Vorschrift verlangt, wieder zu räumen.“ Die Arbeit war schwer: Es gab Minenverlegepläne, aber die waren nichts wert. „Im hügeligen Gelände, vor allem in Thüringen, wurden Minen vom Regen weggeschwemmt, es gab in Tälern Nester, da lagen 50, 60 Minen.“ Füchse, Rehe und im Winter Eisschichten lösten Minen aus.

Die Räumung läuft im Schneckentempo. Maar hat neun Trupps, für die er „nach menschlichem Ermessen minenfrei“ garantieren muss. Irgendwann weigert er sich. Um die Zeit ist Walter Krohn aufgetaucht. „Es hieß, da kommt wieder ein Verrückter.“ Skepsis bei allen. Aber er darf vorführen. „Anordnung vom Heeresamt.“ Dummies sind versteckt. Krohns umgebaute Waldfräse mit der Walze, die sich gegen die Fahrtrichtung dreht, fährt los. Er findet alles, trennt jeden Zünder von der Sprengladung.

Darum geht es: Minen, erklärt Maar, bestehen meist aus TNT, das für sich völlig ungefährlich ist. Könne man anzünden ohne Risiko. Erst der Druck des Zünders sorgt für die Explosion, die Splitter schleudert. „TNT ist gefahrlos. Mäuse fressen es gern, weil es süß schmeckt.“ Er sei zu Krohn hin und habe ihm gesagt: „Sie haben mich überzeugt. Aber die Pionierschule ist entscheidend.“ Nächster Test. Das Ergebnis: Es gibt eine Maschine, die schnell, sicher und extrem billig räumen kann. Ein Quantensprung. Bericht ans Heeresamt. Dort bleibt alles stecken. Krohn, der Erfinder drängelt. Generäle, die die Tests gesehen haben, auch. Es gibt ein Gutachten vom Bundesrechnungshof: Krohns Maschine ist gut. Es wird noch mal getestet, ob sie große Panzerminen räumen kann. Er räumt problemlos.

Maar wiederholt überzeugt: „Es gab nichts Besseres. Aber Krohn hat den Auftrag nie gekriegt, die Regierung ist nicht eingestiegen.“ Die Grenze entminen andere. Krohn klagt. Endlich bekommt er eine Chance. Jedenfalls denkt er das. In Mosambik. Das ist eine andere Geschichte.

Alles, was Maar erzählt, bestätigt Wolfgang “ Wolf“ Kappen, Oberst der Bundeswehr, von Anfang 1992 bis Ende 1993 für Räumsicherheit an der Grenze zuständig. „Wir haben gepflügt und geeggt, manchmal wurden nach 13 Durchgängen noch Minen gefunden.“ Die von Krohn entwickelte Maschine war „voll funktionsfähig, schnell und sehr sicher. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hat das bestätigt.“ Und wesentlich günstiger. Kappen macht eine lange Pause, bevor er es rauslässt: „Die GRV war nicht interessiert. Die sagten zum Bund, ihr habt uns den Auftrag gegeben, also machen wir es. Die haben Vorwände gesucht. Einige Bundeswehrleute haben mit der GRV zusammengearbeitet. Die GRV hat es hintertrieben. Krohns System ist genial. Die haben behauptet, es sei unsicher. Dabei wäre es ein Segen für die Menschheit. Jedes Jahr werden tausenden von Kindern Beine abgerissen, hunderte von Menschen sterben beim Handminenräumen, weil wir uns nicht auf Krohn eingelassen haben.“ Wulst für ihn Deutschland.

„Deutschland könnte der Welt wirklich was bringen.“ Kappens Rechnung: „Nach Uno-Standard wird Gelände mit 99,6-prozentiger Sicherheit von Hand minenfrei gemacht. Wenn ab jetzt keine Minen mehr verlegt würden, dauerte es 70 Jahre bis die Welt minenfrei wäre beim gegenwärtigen Räumtempo. Hunderte Minenräumer würden sterben. Dazu die Opfer. Krohns Maschinen würde es in zehn, ach was, in fünf Jahren erledigen, ohne tote Räumer mit 100-prozentiger Sicherheit.“ Kappen holt tief Luft. „Es ist schrecklich.“

Knud Vielhaben war Krohns Konkurrent. Seine Firma, Gebrüder Vielhaben Maschinen- und Apparatebau GmbH in Norderstedt bei Hamburg, hatte ebenfalls Maschinen entwickelt, die Tests bestanden. Im Gegensatz zu Krohn durfte er ein paar Hektar deutsche Grenze räumen. Die Firma ist trotzdem zusammengebrochen.

Vor dem Gespräch will Knud Vielhaben in seinem Wohlstandswohnzimmer in Bilsen bei Quickborn Personal- und Presseausweis sehen. Die legt er auf den Kopierer, beugt sich drüber, sagt: „Man weiß ja nie. Die Minenräumerei ist das finsterste Kapitel, das sich die Bundesrepublik seit ihrer Gründung aufgehalst hat.“ Er holt eine Mine, die er im Küchenwaschbecken einweicht. Seine Firma war 100 Jahre alt, „guter Ruf, unsere Maschinen finden Sie überall auf der Welt, selbst in Korea und Chile. Wir hatten einen Umsatz von 30 Millionen Mark im Jahr. Straßenfräsen.“

Aus der Küche hört man, wie Wasser in das Becken mit der Mine läuft. Sein CDU-Landtagsabgeordneter hätte ihn besucht, „ich bin auch in der CDU“. Minenräumen sei Helmut Kohls Prestigeprojekt, so der MdL. „Ich solle doch machen. Aber ich wollte nichts mit Politikern zu tun haben.“

Dann leiht seine Frau einer Freundin ihr Auto. Die hat einen Unfall, die Versicherung macht Hickhack. Vielhaben, Machertyp, nimmt das in die Hand, fährt los. Auf dem Weg sieht er Minenräumer. „Vorne Trecker mit Pflug, dahinter eine Raupe, auf der standen Leute und haben nach Minen geschaut. Ich hab‘ mir den Zirkus angeschaut, es war zum Schreien komisch. Jeder Meter wurde viermal überfahren. Danach galt er, weiß ich jetzt, als minenfrei. Ich sage heute, der war zu 50 bis 60 Prozent minenfrei.“

Der Konkurrent, mit einer Mine auf dem Wohnzimmertisch, sagt: „Die wollten Bürokratie.“

Vielhaben ruft den Abgeordneten an. Es geht los. “ Ich habe dem Bund getraut. Wir haben Maschinen gebaut, weil wir Vertrauen hatten. „Vielhaben steht auf, dreht das Wasser in der Küche ab, ruft: „Betrüger. Wir wurden nie bezahlt, die kamen und wollten mir ein Bundesverdienstkreuz geben, aber kein Geld.“ Gut, es gab was, aber 5,6 Millionen Mark weniger, als zugesichert. Die Zahlen sind nicht nachzuprüfen, aber wenig spricht dafür, dass Vielhaben spinnt. Er wirkt, trotz Mine, glaubwürdig. „Wir hatten Verträge. Es hieß am Ende: nichts mehr im Topf. Prozessieren Sie mal gegen den Staat.“

Vielhaben erzählt von einem Treffen mit Bundeswehr-Leuten in Salzwedel. „25 Mann an einem großen Tisch, der Ton sächsisch, alles sehr DDR-mäßig. Denke, 80 Prozent waren Ex-NVAler.“ Er habe gelernt, es gehe um ein Beschäftigungsprogramm. „Ich dachte, die wollten eine minenfreie Grenze, aber die wollten Bürokratie.“ Weitere Treffen, mehr Skepsis. Offiziere West waren dafür, Offiziere Ost dagegen. Die ganze Zeit wurde in Vielhabens Firma die Maschine entwickelt. „Das war unsere Vorleistung.“ Endlich, weil Generäle drängten, gab es einen Testlauf.

Vielhaben steht auf, eilt in die Küche. Er legt die Mine auf einen gelbgrünen Teller auf dem Wohnzimmertisch. Anti-Personen-Mine der DDR. Klein, rund, eine Dose mit Gummikappe. Sie tropft. „80 Gramm TNT, kann nichts passieren, hab‘ den Zünder nass gemacht, man weiß ja nie.“ Mit beiden Daumen drückt er das Gummi. “ Da ist er. Wollen Sie mal?“

Es folgen, wie er findet, schikanöse Nachbesserungsforderungen und ein weiterer Test. Jeder Tag kostete Geld, je länger es dauerte, desto weniger Fläche, also weniger Geld für uns. Die GRV hat die ganze Zeit geräumt und verdient. Die Zeit arbeitete für sie. Die wollten keine Maschine, die schneller ist. Wir hatten eine halbe Million Mark für die Entwicklung ausgegeben. Da hätten wir aufhören sollen.“ Irgendwann war klar, dass niemand die Maschinen kauft.

„Eines Tages sagt mein Betriebsleiter, er habe jemanden beim Schnüffeln auf dem Betriebsgelände erwischt und im Keller eingeschlossen. Raten Sie mal, wer das war.“ Markus Wolf? „Richtig, Krohn.“ Krohn wollte geistigen Diebstahl nachweisen. Ja, Krohn sei schwierig. Mit dem möchte er nicht zusammenarbeiten. Aber, das ist eine Vermutung, da trafen sich zwei Jungs und berauschten sich an Technik, am Entwickeln. Vielhaben beugt sich vor, drückt mit den Daumen auf das Gummi. „Wollen Sie mal drauf drücken? Nein? Ist sicher. Nass. Sonst macht es bumm, und wir sind tot.“ Er schaut auf. „Keine Angst, es ist nass. Riechen Sie das TNT? Süß.“ Er betont, seine Maschine funktionierte. Über Krohn sagt er, dessen sei perfekt gewesen. Vielhaben, Technikfreak, erklärt Details. Er kennt sich aus und hat Respekt vor Krohn.

Sein GRV-Fazit: „Die haben uns fertig gemacht. Wie Krohn.“ Die deutsch-deutsche Grenze wurde zum allergrößten Teil von der Firma geräumt. Es dauerte länger, war risikoreicher und kostete das Zehn- bis Zwanzigfache seiner Methode. Der Bundesrechnungshof, der Krohns Maschine forderte, die noch billiger gewesen wäre, wurde ignoriert. Es roch nach Stunk. Nach juristischen Explosionen. Da meldete sich das Auswärtige Amt: Geht nach Mosambik! Räumt da! Wir zahlen! Pilotprojekt für die Uno. Vielhaben zögerte, Krohn ging. Ach, eines noch: „Zu Beginn war ein Anruf, da hat einer gesagt, ich solle anonym kommen, wir schlachten Krohn. Wortwörtlich. Ziehen Sie einen Parka an, Sonnenbrille, Mütze, parken Sie Ihr Auto weiter weg. Krohn hatte eine Zulassung von 1993, die hatten sie zurückgezogen, weil er keinen zweiten Test machen wollte.“

Horst Jungmann saß 18 Jahre im Bundestag. SPD. 1994 kandidierte er nicht mehr. „Keine Lust.“ Am Telefon klingt er wie ein Alt-68er, Typ frustrierter Lehrer. Hat sich von allem verabschiedet. Lebt mit seiner Frau in Wittmoldt bei Plön. Desillusioniert. Krohn? „Ich war beeindruckt, nachdem ich seine Maschine im Einsatz gesehen habe, beim Test an der deutschdeutschen Grenze.“ Später, in Mosambik, sah er ein Problem: „Altersstarrsinn gepaart mit Uneinsichtigkeit. Herr Krohn ist ein schwieriger Mann.“ Eine perfekte Idee, aber die Persönlichkeit. „Krohn wollte das große Geld machen und hat sich von Leuten beeinflussen lassen, die ihm das versprochen haben. Das ist ja in Ordnung. Aber für mich war das eine rein humanitäre Sache. Ich bin dann ausgestiegen. Es ist ein widerliches Geschäft in Afrika. Was da für Leute rumlaufen, ehemalige NVAler haben überall die Finger drin und machen Geld. Es war eklig zuzuschauen.“

Was Jungmann erzählt, erinnert an das Ende des Gesprächs bei Oberstleutnant Maar in Hambach. Maars Frau kommt rein, setzt sich dazu und erzählt: „Einmal bringt mein Mann Krohn heim. Freunde sind da, Geschäftsleute. Er setzt sich dazu, isst Kuchen und redet. Als er geht, sagen alle am Tisch: Der Typ ist ein Verlierer. Er ist unmöglich. Mit dem kann man keine Geschäfte machen.“ Ihr Mann: „Er ist ein Chaot. Ich hatte viel Streit mit Krohn. Einmal waren wir in Mosambik beim deutschen Botschafter zum Essen. Krohn hat sich seine Mückenstiche am Tisch aufgekratzt. Ich habe ihm danach gesagt, er solle sich Gesprächspartnern besser anpassen. Da schrie er: ,Ich habe die Maschine erfunden. Wollen Sie mir sagen, wie ich mich zu verhalten habe?‘ Doch die Maschine war perfekt.“ Nur darum geht es Maar. Die Erfindung sei „bahnbrechend“ .

Jungmann in Wittmoldt ist niedergeschlagen. Er will damit nichts mehr zu tun haben, es zieht ihn runter. Holt aber Unterlagen aus dem Keller des Eigenheims in seinem ehemaligen Wahlkreis. Wühlt zufrieden darin. Plötzlich will er doch erzählen. Vor dem Bundestag war er Soldat, Minensucher bei der Marine, später bei den Pionieren. Jungmanns erste Sätze über Krohn waren: „Der mag keinen, nur sich selbst, das ist das Problem. Er hört auf keinen. Eine gewisse Zeit halten Sie es mit ihm aus, aber nicht länger.“

Jungmann war für den Einzelplan 14 des Verteidigungsministeriums im Haushaltsausschuss zuständig, als Berichterstatter der SPD. So kam er zu dem Problem: „Die Grenze wurde seit 1985 entmint, aber die Verlege- und Räumprotokolle hatten eine Differenz von 30000 oder 40000 Minen.“ Und: “ 500 Millionen Mark standen zur Verfügung. Die mussten weg.“ Krohn wurde hingehalten. „Da ist viel gelaufen, was undurchsichtig geblieben ist, aber beweisen kann man dem Verteidigungsministerium nichts.“

„Mein erster Eindruck von ihm war: Das ist einer, den bescheißen sie immer. Er hat mir Leid getan. Der ist nicht in der Lage, mit Behörden zu reden. Ich hab‘ für ihn gekämpft.“ So gab es im Haushalt 1995 Geld für Minenräumen in Mosambik, im Rahmen einer Uno-Maßnahme. „Da war ich nicht mehr im Bundestag. Das Außenministerium sagte zu mir, wenn Sie mit runtergehen, kriegt er den Auftrag.“ Krohn verschiffte zwei Maschinen.

Mosambik. Maar kam später, sogar Vielhaben hat Krohn unten besucht. Maar und Vielhaben sagen: Krohn wurde in Mosambik reingelegt. Jungmann sagt: Krohn hat sich da unten kaputtgemacht. Es gab landestypische Schwierigkeiten. „Korruption, wir brauchten eine Woche, um die Maschinen aus dem Hafen zu kriegen. Uno-Leute, ein britischer Major und ein neuseeländischer Oberst halfen. Die haben bestimmt, wie wir zu räumen haben. Das hat Krohn nicht geschmeckt. Der wollte nur zweimal drüberfahren, fertig. Aber die Uno sagte, nee, ordnungsgemäß. Die wollten erst mal sehen.“ Jungmann sagt, Krohn sei geldgierig. Maar, Vielhaben und andere sagen, Krohn sei alles, nur nicht geldgierig. Jungmann; „Die Sicherheitsvorschriften der Uno haben ihn gestört. Er hat sich vorgestellt, pro Hektar gibt es 18 000 Dollar, im Monat schafft er 25 Hektar. Er wollte Tag und Nacht räumen. Die Uno sagte nein, im Dunkeln ist es zu gefährlich.“

Getestet wurde in Moamba, 80 Kilometer nördlich der Hautpstadt Maputo. Krohn habe behauptet, seine Maschine mache alles klein, auch Steine und Wurzeln. Aber, so Jungmann, da gab es Steine, größer als Minen, die übrigblieben. Krohn habe mit jedem Ärger gekriegt. Unerträglich. „Nicht in den Griff zu kriegen. Nach eineinhalb Monaten bin ich abgehauen. Ich war auch krank.“ Aber eigentlich sei er dem Chaos entflohen.

Wem nützen Minen? Der Offizier sagt: „Das Foto eines Kindes mit abgerissenem Bein bringt Spenden.“

Er schüttelt sich: „Da taucht ein Deutsch-Brasilianer auf, mit dem will er plötzlich eine Firma gründen und gibt ihm 10 000 Dollar. Die sind weg.“ Oder: „Die Walzen der Maschinen mussten gesäubert werden. Die durften nicht voll Dreck sein, sonst funktioniert es nicht. Den Schwarzen habe ich gesagt, sie sollen zum Reinigen Schutzanzüge und Gesichtsschutz tragen. Krohn schrie, Quatsch, das dauere zu lange.“ Alles sei Schrott gewesen. Die Buchführung: keine. Ständig Kriegsgewinnler in Krohns Nähe. Im alten kommunistischen System habe jedes Ostblock-Land einen Partner in Afrika betreut. Kuba - Angola, DDR - Mosambik. Deshalb wimmelte es von hängen gebliebenen Deutschen.

Jungmann nimmt einen Schluck Kaffee, beißt in Mürbekuchen, den seine Frau gebracht hat. Spannungssteigerndes Warten. Sagt: „Ich erzähle jetzt etwas, das habe ich noch nie erzählt. Kennen Sie Springminen?“ Metalltrommeln voll Sprengstoff, die in eingegrabenen Eimern stehen. Darüber ist ein wenig Erde und der Zünder. Wird die Mine ausgelöst, sorgt eine erste Sprengung dafür, dass die Trommel einen Meter in die Luft fliegt. Nun löst ein Draht, der mit dem Eimer verbunden ist, die zweite Ladung aus. Die Explosion verteilt das Metall. Eine üble Mine. Sie tötet alles in einem Umkreis von 30 Metern. „So ein Ding fanden wir in der Maschine, im Lüftungsschacht. Krohn hat einen windigen ExNVAler für 100 Dollar engagiert, der sie rausgeholt und gesprengt hat. Aber man hätte das der Uno sagen sollen. Dass man ein Gitter über den Lüftungsschacht macht. Mit den Uno-Leuten konnte man reden. Doch die fühlten sich von ihm ständig hintergangen. In dem Fall nicht, den haben sie nicht mitbekommen. Aber er hat sich aufgeführt, rumkommandiert. Mit Krohn will da keiner mehr zu tun haben.“ Er auch nicht. Er habe die Protokolle, die an die Uno gingen, geschrieben. Krohn habe darin herumgepfuscht.

Maar kam später auch nach Mosambik. Er erzählt, die Uno habe Tests gefordert, aber gesagt, sie habe keine Minen. Als er rumtobte, seien Minen da gewesen, aber keine Zünder. „Hinhaltetaktik.“ Nach Wochen ein Test. „Witzveranstaltung.“ Sie benutzten russische Minen, die stecken im Boden, ein 30 Zentimeter langer Draht ragt raus, der mit Schnüren verbunden wird. “ Stolperminen. Die Uno hat die Dinger in den Boden eingegraben, das war völlig sinnlos. Ich sagte zu Krohn, die Uno bescheißt Sie, der Test bringt nichts. Krohn hat ihn nicht gemacht. Die hatten schlicht und einfach kein Interesse.“

Warum?“Die tragen kein Risiko. Handräumung machen billige Einheimische. Von denen stirbt ab und zu einer oder wird verkrüppelt. Aber was so einer im Monat bekommt, bekommt ein Uno-Mann als Zulage am Tag. Die Uno-Leute und die von den Hilfsorganisationen führen ein Herrendasein mit fetter Auslandszulage, Casino, alles, was man will, inklusive junger Mädchen. Die wollen nicht, dass das zu Ende geht. Für alle ist Handräumen lukrativer.“ Ja, auch für die Organisationen. “ Das Foto eines Kindes mit abgerissenem Bein bringt Spenden. Das von vornherein zu verhindern? Nein, das lässt sich nicht verkaufen. Ganz schlimme, traurige Sache.“

Dazu Oberst a. D. Kappen, kroatien- und bosnienerfahren: „Das sind Posten auf Jahre, gutes Geld, leicht verdient. Die sind natürlich nicht daran interessiert, dass das wegbricht. Wie früher die GRV.“ Vielhaben war auch unten und berichtet: „Ich bekam einen Anruf von der Bundeswehr. Einladung nach Mosambik. Ich könnte zuschauen, wie Krohn arbeitet. Ich habe das als Warnung eines wohlmeinenden Mannes aufgefasst. Wie an der Grenze, ich soll sehen, wie sie Krohn fertig machen, damit mir das nicht passiert. Damals war für mich noch aktuell, auch runterzugehen. Ich habe abgesagt, nachdem ich unten bei einem Test zugeschaut und mitgezählt habe. Es waren 24 Minen, die explodieren mussten. Ich zählte jedes Mal 24. Der Mann von der Bundeswehr, der für die Uno zählte, kam immer auf 18 oder 19. Ich meine, ab und zu kann man sich vertun. Echo und so. Aber es war so offensichtlich. Ich hatte verstanden. Krohn hätte Mosambik in zwei Jahren minenfrei gemacht. Die Uno ist dort mit ihrem Riesenapparat noch 100 Jahre beschäftigt. Sie will Handräumung, das sei sicherer. Eine Lüge.“

Von der Pressestelle des Auswärtigen Amts (AA) gibt es Auskünfte „für den Hintergrund, nichts Offizielles“: Man habe vier Verträge mit Krohn gehabt, Volumen 2,86 Millionen Mark. Der letzte endete Januar 1997. Krohns Behauptung, man habe noch einen Vertrag, stimme nicht. Der Feldversuch habe gezeigt, dass die Maschine nicht die versprochene hundertprozentige Sicherheit liefert. Das steht im Widerspruch zu einer Presseerklärung des AA von 1995: Maschine erfolgreich in Mosambik eingesetzt. Nun heißt es, Krohn habe mit einmal drüberfahren 85 Prozent erreicht. Das sei nicht Uno-Standard, der 99,6 Prozent mit mehreren Räumgängen schafft. Ein gutes Produkt, aber nicht gut genug.

Krohn hat weitergeräumt für die Uno. Zwischengeschaltet war eine Firma aus Simbabwe. Mit der gab es Ärger, die Maschinen waren von Juli bis November 1997 beschlagnahmt. Dafür habe ein deutscher Ex-Geschäftspartner von Krohn gesorgt. Das AA habe sich dafür eingesetzt, die Maschinen freizubekommen. Und dass die Uno die Gerichtskosten in Mosambik übernahm. Großes Engagement vom AA. Eine tragische Situation. Krohn habe die Maschinen Ende 1998 an die deutsche Firma Montaneisen verkauft. Der Vertrag ist strittig, aber nach AA-Auffassung gültig. Der deutsche Rechtsweg wurde ausgeschöpft, die Maschinen nie mehr eingesetzt. Es sei unklar, wem sie gehören.

Die GRV gibt es noch irgendwie. Der Staat hat sie häppchenweise der Edelhoff AG in Iserlohn verkauft. Die gehörte den Vereinigten Elektrizitätswerken VEW und inzwischen der RWE-Gruppe. Die Frau in der Pressestelle des Konzerns kennt die Tochterfirma nicht und kann nichts über sie sagen. Der Geschäftsführer in Ludwigsfelde sagt nichts und verweist zurück an die Pressestelle. Heraus kommt nur: Die Firma heißt RWE Umwelt Flächenrecycling GmbH und saniert laut RWE-Homepage „militärische und zivile Altlasten einschließlich Kampfmittelräumung“. Zu Minen an der Grenze könne nur das Verteidigungsministerium etwas sagen.

Dort bemüht man sich. Aber es gibt viele dicke Akten, das dauert. Ein netter Pressesprecher teilt schließlich mit: „Es gab sehr intensive Kontakte mit Herrn Krohn.“ Und 1993 eine interne Bewertung: Grundsätzlich sei das Verfahren als geeignet bewertet worden. 1994 gab es „einen Modelleinsatz, und zwar vom 21. November bis 1. Dezember“. Dabei sei die Funktionsfähigkeit des Krohnschen Verfahrens überprüft worden. Ergebnis: „Das Verfahren und die dazugehörigen Dienstleistungen waren unter den gegebenen Umständen nicht geeignet, die Zielsetzung zu erfüllen. Alles, was in der Folge passierte, also eine Reihe von Prozessen…“

Kürzer: „Die Wertung bezieht sich auf die damals anstehenden Probleme.“ Noch kürzer: „Es gab keine Auftragsvergabe. Es ist ein Missverständnis, dass Herr Krohn denkt, er habe einen Auftrag bekommen.“ Juristisch sei das geklärt worden, in einer Reihe von Prozessen, die das Ministerium gewann. Bis auf den letzten, der eingestellt wurde. Wichtig sei: “ Niemals ist dem Herrn Krohn die Zuverlässigkeit seines Verfahrens abgesprochen worden. Aber es gab handfeste sachliche Gründe, die Methode nicht einzusetzen.“ Und: „Es ist kein weiteres Verfahren gegen uns bekannt. Ich habe auch keine Hinweise darauf gefunden, dass wir in irgendeiner Weise noch an der GRV beteiligt sein könnten.“

So weit die Annäherung. Jetzt kommt Krohn in seinem Haus in Masburg, Vulkaneifel, nahe Daun, am Ortsrand, in den Resten seiner Baumschule. Ein Dreckloch. Dennis, der schwarze Riesenköter geht rein und raus, meist liegt er im Garten, schmust mit einer kindgroßen Plüschpuppe oder kaut auf einem Schafsgerippe. Vor dem Haus ein Ford Fiesta, rostig, ohne Nummernschild. Das Gartentor ist immer offen, die dicke Schnur verbindet es mit einem Kettcar. Überall Spielzeug im Gras, Abfall, Cola-Dosen, Plastiktüten. An der Tür zwei Klingeln ohne Schilder. Auf dunklen Klinker hat jemand mit Filzer “ defekt“ geschrieben. Die zweite funktioniert.

Wagner öffnet. Krohns Helfer. Krohn hat immer Helfer, Leute, die von seiner Erfindung begeistert sind. Jemand bringt einen Rechner vorbei, jemand anders einen Drucker, viele arbeiten mit. Engagement aus Überzeugung. Sagt Wagner. Die große Idee einer minenfreien Welt hat Jünger. Es wäre auch schlimm, wenn nicht. Ralph Wagner kam, weil er im Fernsehen Krohns Maschinen gesehen hatte. „Ich hab‘ angefangen, die Akten zu lesen, und konnte nicht aufhören. Eine wunderbare Beweiskette.“ Er kam mit Krohns Tochter Sigrid zusammen, die hier lebte. Sie trennten sich. Wagner blieb. Wegen der Sache.

Krohn, der Erfinder, sagt: „Ich bin der größte Minenräumer der Weltgeschichte.“

Krohn ist seit wenigen Jahren Witwer, seine vier Töchter sind ausgezogen. Sigrid, die lange für ihn arbeitete, erst vor ein paar Wochen. „Sie brauchte ein eigenes Leben“, sagt Wagner. Früher arbeitete er bei der Siemens-Betriebskrankenkasse, dann hatte er eine Firma mit fünf Mitarbeitern. Netzwerke, Software. Er, groß, hibbelig, immer mit ernstem Blick und Marlboro im Mund, immer, keine Sekunde ohne, lebt von Gespartem, hat mit Sigrid Weihnachtsbäume verkauft, arbeitet ab und zu als Programmierer. Die meiste Zeit investiert er in die Minenfräse. Er war in Berlin, um zu klagen. Erfolglos. Die Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zugelassen. Er organisiert die Website, die kommen soll. Ordnet Akten. Gestern hat er einen Brief an die Constantin Film geschrieben, Walter Krohns Leben sei Filmstoff. Wagner, aktensüchtig, sagt ständig: „Sie müssen das mal lesen. Das sagt alles.“

Er und Krohn siezen sich. Seit fast einem Jahr leben sie gemeinsam in dem Haus. Zwei Stockwerke, überall Abfall und Spinnennetze. Es muffelt. Ein ausgebauter Herd liegt umgekippt im Flur. Im Wohnzimmer Massen von Akten, auf Tisch und Boden, in den Regalen neben Simmel und Konsalik. Ein großer Kopierer. Bücher, Stapel loser Papiere, Diktiergerät, Lupe, einzelne Schuhe, Münzen. Hundehaarbüschel und Staubmäuse. Unter der Dachschräge, wo wir stundenlang sitzen, stehen halb volle und leere Cola-Flaschen auf dem Boden, ein offener Werkzeugkasten, ein Paar Gummistiefel. Überall Staub und Hundehaare. Computerteile, Scanner, Bildschirm, Modem, Drucker.

Das Haus gehört mittlerweile der Bank, aber die wird Krohn kaum rausbekommen, er lebt hier schon zu lange. Den Boden der Baumschule versteigert sie, um Krohns Außenstände reinzuholen. Er ist bitterarm. Rentner. „Ich bin kein Rentner. Ich bin Unternehmer, der Rente bezieht.“ Wagner wirft ein: „Herr Krohn vertelefoniert 600 Euro im Monat.“ Er hat Deutschland auf 19 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Am Telefon sagte er, das Geld stehe ihm zu.

Hinter Wagner steht er. Karajan-Haare, eine Mähne weiß wie Papier, in alle Richtungen fliehend. Der Pullover voller Haare und Schuppen, mit weißen Flecken. Krohn sieht aus wie ein Maler. Seine Ohren wirken, wie oft bei alten Männern, riesig. Seine rote Nase auch. Noch im Flur erzählt er von der Evolution. Referiert über “ systemische Steuerung“, zitiert Philosophen, die wussten, dass der deutsche Staat übel ist. Politiker und Beamte auch.

Auf dem Weg, die Wendeltreppe hoch: „Ich bin der größte Minenräumer der Weltgeschichte. Niemand hat so viele Minen geräumt wie ich.“ Er schreibt an einem Buch, Titel: Evolution und Revolution. Es werde alles erklären. Wagner sieht unzufrieden aus, er hätte gern einen bescheidenen Krohn, der sich besser verkauft. “ Ich habe 500 Hektar geräumt, danach wurde keine funktionsfähige Mine gefunden.“

Warum hat niemand die Maschinen kopiert, die stehen doch seit acht Jahren in Mosambik herum und verrotten? “ Die sind zu blöd. Einer kann nicht so blöd sein. Es müssen hunderte sein. Die müssen sich zusammentun, um so blöd zu sein. Keine Unternehmer, nur Beamte. Risikoscheue Menschen.“ Alle sind dumm. Keine Ausnahme. Das Wort dumm kommt ständig. Häufig fragt er: „Haben Sie das kapiert?“

Krohn hört schlecht, hält sich oft eine Hand ans Ohr. Spricht viel zu laut, schreit. Manchmal, wenn ihm etwas wichtig ist, kommt er Zuhörern nahe, ist nur wenige Zentimeter vor dem Gesicht. Eine unangenehme Situation. Wenn er erzählt, wie er wen reingelegt hat oder verhinderte, dass er reingelegt wurde, macht er die Augen weit auf und streckt die Zunge raus. Wie ein kleiner Junge. Alter und Kindheit liegen nahe beinander, sie werden durch das Erwachsensein nur unterbrochen. Aber Krohn, der mit Hamburger Dialekt spricht, wirkt nicht kindlich zufrieden, sondern pubertätstrotzig. Er ist verbittert, ein böser, schimpfender Alter, kindlich irrational. Er wütet, als wäre er einem Thomas-Bernhard-Stück entsprungen. Dumpfes Toben. Nur noch Trotz. Das ist, wenn man seine Geschichte kennt, verständlich, aber trotzdem unangenehm. Sobald man Krohn erlebt hat, verschieben sich die Fragen. Aus: Warum kam er nicht zum Zuge? wird: Ist er so geworden, weil… ? Oder: War er immer so und wurde deshalb nichts?

Kappen, Maar, Vielhaben, Wagner und Gaertke sagen, er war immer schwierig, aber zu dem, was er heute ist, wurde er gemacht. Burghardt Gaertke war zweieinhalb Jahre lang Freiwilliger Krohns. „Ich bin Rentner und hatte Zeit. Die Angelegenheit liegt mir am Herzen.“ Sein Fazit: „Die Maschine kommt nicht, weil die Uno nicht wahrhaben will, dass ihr ganzer Apparat pure Verschwendung ist.“ Mafia und Lobby sind Worte, die er oft benutzt. Gaertke berichtet von einigen Intrigen, die liefen. Aktionen windiger Organisationen, auf die der naive Krohn hereinfiel. Deshalb rotten die Maschinen seit acht Jahren in Mosambik. Zwei sind in Kroatien im Einsatz, sie gehören vielleicht Krohn. Geld verdient er aber nicht. Für die Sache flog Gaertke nach Washington zu Anti-Minen-Kongressen, mehrmals. Er gab monatlich rund 2500 Mark aus.

Nun hat er aufgegeben, schimpft aber, wenn man Krohn seine Art vorwirft: „Aufgrund des Charakters eines Menschen eine Maschine zurückzuweisen, die lausenden das Leben retten und tausende von Krüppeln verhindern könnte - spinnen denn alle?“ Nur Jungmann sieht das anders. Er sagt, wenn Krohn ein richtiger Geschäftsmann gewesen wäre, ein Macher, nicht so ein genialer Tüftler, wäre die Welt bald minenfrei. Er sagt auch, Krohn ging es nur um Geld. Aber nichts in den zwei Tagen, die das Interview dauert, deutet daraufhin. Krohn hatte Angebote von Firmen, die Diehl oder Rheinmetall gehören oder gehörten. Er hätte fünf Millionen Mark gekriegt, sich aber raushalten müssen. Das wollte er nicht. Er wollte bestimmen.

Einmal sah es so aus, als wäre er mit einer Schweizer Firma, der Motorwagenfabrik AG (Mowag) in Kreuzungen am Bodensee, einig. Dann nahm Gaertke ihre Manager zu einer Konferenz nach Washington mit. Danach sagten sie nein, sie hätten zu starken Widerstand der Handräumerorganisationen gegen maschinelles Minenräumen erlebt. Bei der Mowag kann sich niemand an Krohn erinnern. Sie gehört inzwischen zum US-Panzerbauer General Dynamics. Konversion und Minenräumen, wie damals angedacht, ist für die Mowag nur eine historische Anekdote.

Krohn stammt aus Hamburg-Schenefeld, sein Vater hatte eine Baumschule. Er ging nach dem Krieg in die Vulkaneifel und hat dort ebenfalls eine Baumschule aufgebaut. Sein Bruder übernahm die des Vaters. Zwischen den beiden gab es Krach. Als die Mauer fiel, existierte Krohns Firma nicht mehr. Er sagt, der Staat habe sie kaputtgemacht. Es gab diverse Prozesse. Er sah im Fernsehen Minenräumen und hatte die Idee: Eine Waldfräse ist eine Minenfräse, wenn man sie ein bisschen verändert.

Krohn sitzt auf der Couch in seinem Haus am Waldrand. Er atmet wieder langsam, aber noch ist sein Gesicht rot vor Aufregung. Er hat ein paar technische Einzelheiten der Maschine erklärt, nicht alles, nur ein wenig, aus Sicherheitsgründen. Er dreht die Augen zur schrägen Holzdecke, deutet mit beiden Händen nach oben: “ Mehr erkläre ich jetzt nicht, ich weiß nicht, wie viel Wanzen hier sind. Das Telefon wird auf jeden Fall abgehört.“

Wagner kommt rein: „Da steht ein grüner Passat mitten im Wald.“ Krohn antwortet: „Finstere Typen. Die sind hier, um zu spionieren.“ Er steht auf und sieht nach. Wagner nutzt die Chance, Einzelheiten zu erklären. Die Maschine ist gepanzert, hat den Motor hinten, vom ist eine Walze, auf der Metallzähne sitzen. Sie dreht sich gegen die Fahrtrichtung, kommt von unten an die Minen, nicht wie andere von oben. Entweder sie trennt Zünder und Ladung, und alles ist gut, oder die Mine explodiert, folgenlos, weil die Walze einen dämpfenden Erdwall über sie schiebt. Es gab nie einen Unfall. Ein paar Imitate wurden erfolglos nach Korea verkauft. „Die konnten es nicht.“ Kurz darauf ist Krohn wieder da, er atmet schnell. „Als ich hinkam, haben sie geknutscht. Tarnung.“ Er weiß: Alle haben sich gegen ihn verschworen.

Wagner, Krohns Helfer, sagt: „Keiner will das System, weil anders mehr Geld verdient wird.“

Alle sind gegen ihn, alle. Er hat immer exakte Daten, haarkleine Nebensächlichkeiten. Erzählt von Mordanschlägen, wie die Uno und Geheimdienste ihn loswerden wollten. Am nächsten Tag sagt er: Als er gestern draußen bei dem Pärchen war, habe er seine Pistole dabeigehabt, in der Jacke. Er habe einen Waffenschein. Und übergangslos: Ein deutscher Agent, der Rüden bulgarischen Geheimdienst arbeitete, habe ihn in Friesland in einem Haus versteckt. Außerdem: In seinem Auto waren mal sechs Handgranaten. Bei einer war der Splint weg, der Zünder wurde mit Alufolie gehalten. Wäre er weitergefahren, wäre das Alu heiß geworden und hätte sich verformt. Das Ding wäre explodiert, und er mit. Mit dem Auto fuhr er von Kroatien, wo er fast geräumt hätte, in die Eifel, von dort nach Friesland. Da wurde die Falle entdeckt.

Er berichtet, wie Polizisten in kugelsicheren Westen das Haus stürmten. Wie er in Handschellen abgeführt wurde. Wagner nickt, es stimme. Krohn erzählt von drei Wäschekörben, in die er die Post der Polizei und der Staatsanwaltschaft reinwirft, ohne sie zu lesen. Gegen ihn liegen 14 Haftbefehle vor. Keiner wird vollstreckt, er wird nicht mehr ernst genommen. Eine Entmündigung hat er knapp abgewendet. Der Versuch nagt an seinem Ego.

Dreimal an zwei Tagen schmeißt er mich, dem er unbedingt die Wahrheit erzählen will - endlich ist einer da, der zuhört! -, dreimal schmeißt er mich raus, er schreit: „Sie sind so dumm. Allein, dass Sie solche Fragen stellen, zeigt, dass Sie dumm sind. Sie kapieren nichts. Gehen Sie! Sie dummer Junge.“ Jedes Mal kommt Wagner nach und sagt, warten Sie bitte. Drinnen verhandelt er mit dem Verzweifelten. Der schreit. Für ihn bin ich ein Agent, ein Feind. Aber Wagner bringt es stets, wenn er mich wieder reinholt, auf den Punkt: „Es geht nicht um Herrn Krohn, es geht um die mechanische Minenräumung.“

Von vom: Belege, Unterlagen, Akten, Dokumente. Es sind ein paar wichtige dabei: das Gutachten des Bundesrechnungshofs AZ IV 1-9150(28)/94 vom 4.5.1994. Das dürfte er eigentlich nicht haben, es sei ihm zugespielt worden. Da steht: Krohns Maschine ist besser, billiger, schneller. Ein Gutachten der US-Armee. Für die hat er einen Truppenübungsplatz entmint. Voll des Lobes. Positives vom Bundesamt für Materialforschung und -prüfung. In anderen Akten hat er mit Schreibmaschine oder Stift „Lüge!“ reingeschrieben, “ Betrug!“ und „stimmt nicht!“

Er ist verbittert. Seine Patente sind gerade wegen eines Formfehlers aufgehoben worden. Krohn kam zum Patentamt nach München ohne Anwalt. Er kann sich keinen leisten. Deutsche Rüstungsfirmen hatten vier geschickt. Zeugen waren nicht nötig. Ein kurzes Gespräch. Krohns Patente sind ungültig. Kappen und Maar gehen davon aus, dass die Welt nun vielleicht doch von allen Minen befreit wird. Durch Konzerne. Wagner dagegen meint, die mechanische Minenräumung Krohns würde die Produktion der fiesen Killer und Krüppler überflüssig machen. Sie wären sinnlos, wenn man einfach räumen könnte. Ein Riesengeschäft, auch in Deutschland, wäre tot. “ Das System hätte alles revolutioniert. Keiner will es, weil anders mehr Geld verdient wird. Alle leben gut mit dem Status quo.“ Er sagt, was alle Gesprächspartner sagen: „Tragisch.“