Hier bunkert die Bundesrepublik Deutschland

Reportage
zuerst erschienen im September 1999 in Rolling Stone, S. 36-41
Oben nur ein tristes Wach- und Bürogebäude, doch gut 100 Meter tiefer darunter verbirgt sich im harten Eifelschiefer ein Refugium mit 83 000 Quadratmetern Nutzfläche. In diesem Labyrinth von fast 2000 Räumen mit 60 Zentimeter dicken Betonwänden hätten Bonns Herren dem Atomschlag 30 Tage unverstrahlt getrotzt. Nur, um dann wen noch zu regieren? Seit 1997 sucht man Nachmieter für den seitdem überflüssigen Bunker

Ein enger, schlauchartiger Gang. Gerade. Neonhell. Giftgrün. Die Decke rund, an der höchsten Stelle 2,20 Meter hoch. Die Wände voller Kabel, Rohre, Lautsprecher und Kameras. Rote Feuerlöscher, die in diesem kunstgrünen Schlauch besonders auffallen. Ein Blick kilometerweit ins flimmernde, unwirkliche Nichts, tief drunten in der Eifel.

Es gibt keinen Horizont hundert Meter unter der Erdoberfläche, aber da hinten ist ein Punkt, über den hinaus es kein Auge schafft. Alles verschwimmt in dem ehemaligen Regierungsbunker, im Trotzenberg, Haupteingang über den Weinhängen von Marienthal, einem Teflort von Bad Neuenahr, dreißig Kilometer südlich von Bonn.

Das sind einige lange Gänge. Viele Querverbindungen, einige mit Kurven. Ein Labyrinth auf zwei Stockwerken. Man braucht Werner Czeratzki, 64, um rauszukommen. Er kennt sich aus, kennt jede Ecke hier unten. Obwohl: Richtige Ecken gibt es kaum, fast alle sind abgerundet. Niemand sollte sich anstoßen im Ernstfall eines Atomschlags.

[38]

Seit 1997 plant die Bundesregierung ohne Atomkrieg. Der Bunker ist stillgelegt. Aber noch nicht verkauft. Czeratzki soll dabei helfen. Eine schwere Aufgabe, dann das Betonmonster hat die Bundesrepublik mehr als drei Milliarden Mark gekostet. Manche behaupten vier. Dazu kommt noch die Inflation. Die Kosten sind nicht genau zu bestimmen. Wegen der Geheimhaltung. Weil die Ausgaben nie eindeutig im Bundeshaushalt nachzulesen waren. Wel keiner sie wirklich zu kennen scheint.

Und vielleicht auch, weil es wohl ein bißchen peinlich wäre, die Zahl genanau zu sagen, jetzt, wo klar ist, das war eine Fehlinvestition, dieser Superbunker für den Fall der Fälle. War ja schließlich eine Toop-Geheimsache. Bekannt sind aber die Kosten für Unterhalt und Personal seit 1965, zuletzt 23 Mios. Im Jahr. Und dann nich die Sanierungen und Renovierungen…

Joachim Schräder, ein Regierungsamtsmann der Oberfinanzdirektion Koblemz, Bundesvermögensabteilung, kennt, was die Bunkerfinanzen anbelangt, alle Zahlen, die man kennen kann. Er geht hinter Czeratzki her, wirkt immer etwas bedrückt. Schräder ist einer jener Beamten, die den Bunker loswerden sollten, ihn aber bisher nicht losbekamen. Er hat sich anscheinend damit abgefunden, daß dieser betonierte Zynismus nicht verkauft werden wird. Bemüht kühl und teilnahmslos sagt er: „Die Investition des Bundes kommt selbstverständlich nie mehr rein. Sie brauchten eine turbotolle Idee für die neue Nutzung, damit sich das rentiert“

Er sagt nicht turbogeile Idee. Würde er nie sagen. Aber der junge Beamte Joachim Schräder vermittelt tief im Berg, weil er zwischen turbo und tolle so eine kurze Pause macht, den Gedanken, dass just liier die üblichen Regeln nicht gelten. Dass hier alles anders ist. Dass hier sogar ein deutscher Beamter imDienstturbogeilstatt turbotoll sagen könnte. Denn es ist klar: Hier im Bunker ist alles absolut anders – und total ungeil.

Czeratzki sagt: „Die Bundesbauordnung galt für uns hier nicht.“ Wenn einer wie er das sagt, klingt das wie: „Wir haben hier zugekifft die geilsten Orgienge-feiert.“ Haben sie natürlich nicht. Und Schräder erklärt ein paar Kilometer weiter im Berg: „Im Prinzip würde der Bund den Bunker kostenlos überlassen. Man müßte als Käufer nur Garantien übernehmen. Für den Unterhalt und für die umweltgerechte Schließung, falls die Nutzung erfolglos wäre.“ Die üblichen Geschäftsbedingungen gelten hier nicht.

Niemand will das Relikt des Kalten Krieges. Nicht mal geschenkt, weilder Unterhalt so teuer ist: Allein Strom für 60000 Mark monatlich verschlingt allein der Grundbetrieb. Ohne Bewohner! Zu teuer für ein Abenteuerhotel, für Erlebnisgastronomie, Techno-Disco, Kleinbrauereien oder für ein Müllager.

Alle 19 Interessenten, auch der japanische Millionär, der deutsche Champignonzüchter und diverse amerikanische Spinner haben nach kurzer Rechnerei nein gesagt. So verrückt ist keiner. Nicht mal der, der den Bunker weitemutzen wollte. Ein bisschen aufmöbeln, ein klein wenig Luxus für die Endzeit und dann die Räume einzeln dauervermieten an Leute, die weiterhin Angst vor dem Atomkrieg haben- und natürlich reichlich Geld. Hat sich aber nicht gerechnet, sagtjoachim Schräder lakonisch.

Ein Staat kann sich so ein Ding vielleicht leisten, eine Firma oder ein Privatmann aber niemals. Wahrscheinlich lässt der deutsche Staat die Eingänge bald zubetonieren. Was Werner Czeratzkisehr traurig machen würde. Aber er würde es überleben, er hat ja Routine: „Ich hab schon mal abgewickelt. Zuerst Bergbau studiert, dann in der Bergbau AG im Ruhrgebiet gearbeitet Die habe ich mit zugemacht, in den Sechzigern, 5000 Leute arbeitslos. Harte Sache.“ Czeratzki studierte wieder: Klimatechnik in Dort-mund. Und damit war er der ideale Mann für den Job im Bunker. Denn das Klima ist sehr wichtig, wenn 3000 Leute, tief im Berg eingeschlossen, für die Zukunft des Rests der freien Menschheit kämpfen.

Dreißig Jahre war er zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Ein mit seiner Familie vom Verfassungsschutz ständig überprüfter Geheimnisträger. Als Ingenieur dafür zuständig, daß beim Atomkrieg im Bunker Luft und Wasser sauber, daß Strom da und die Tore dicht gewesen wären. Heute quasselt er wie ein Vertreter. Es ist klar erkennbar: In dem Mann hat sich was aufgestaut. Jahrelang den Mund halten, auch der Frau und Kindern nur nichts Wichtiges von der Arbeit erzählen. Das fällt schwer. Jetzt kann er. Und [39] der Technische Rcgierungsoberamtsrat genießt es. Ganz im Gegenteil zu Regierungsamtsrat Joachim Schräder, der zu leiden scheint unter der Erde und immer stiller wird, je weiter es hineingeht.

Es ist kalt im Berg. Die Temperatur und dann noch die Atmosphäre. Czeratzki trägt eine gefutterte Jacke. Über die linke Schulter hat er eine gelbe Plastiktasclic mit Rauchmaske hängen. Die ist wie die Taschenlampe Pflicht hier unten im Schiefergestein. Idealer Stein für Bunker, viel besser als homogenes Gebirge. In dem würde jeder Schlag sich fortsetzen. Anders hier: Da spröde, hätte der Schiefer die Wucht einer Bombe geschluckt. Was wäre gewesen, wenn? Oben sind für eine ganze Generation die Worte „Kalter Krieg“ längst nur Historie. Doch in diesem Berg lebt der Horror nach. Laut Szenario hätten in der einsamen Sicherheit überlebt: der Bundespräsident, der Kanzler, das Kabinett, der Bundestag, das Bundesverfassungsgericht, die Spitzen von Bundesbank und Bundeswehr.

Wer nun mal so alles wichtig gewesen wäre nach dem Untergang jener Welt, wie wir sie kennen. Wer nach 30 Tagen an die Oberfläche kommt, hat viel höhere Überlebenschancen, kann noch lange regieren und verwalten. Wen und was auch immer…

Dreißig Tage Nahrung und Luft für 3000 Menschen, Genug Wässer, auch für die paar Zierfische im Aquarium des Kontrollraums Ost. Hier sind die riesigen Tische mit den Schaltern holzgetäfelt, künstlich wirkendes, übermäßig lackiertes, dunkles Holz, das einzige im ganzen Bunker. Es sorgt für 70er-Jahre-Charme. Nur in diesem Raum, sonst gibt es keinen Charme im Bunker. Der Mann, der dort die Monitore beobachtet, ist natürlich auch Geheimnisträger, sagt seinen Namen nicht. Nicht mal den der Fische: „Die meisten wurden schon abgeholt. Das waren hier unsere Haustiere. Die besonderen Fische hatten Namen, der da, der hieß – Ach, lassen wir das.“ Warum? „Ist deprimierend.“ Wie heißt der große Fisch mit den blauen Streifen? „Staatsgeheimnis.“

Auf dem Tisch steht ein rotes Telefon mit Wählscheibe. Daneben klebt ein Zeitel mit der Aufschrift: „Beim Aushängen des Handapparats ohne Wahl erfolgt nach 10 Sekunden Alarm bei der Vermittlung.“ Klingt ernst. Und wofür war der ominöse Apparat? „Uninteressant. Für Notfälle.“

Droben Hunderttausende Tote und Verseuchte. Unten ist es ein bisschen eng. Die Stadt unter der Erde besteht aus selbständigen Teilen, welche jeweils 600 Menschen Platz bieten. Verbindungen der Bunkerflügel Hegen 60 Meter tief, werden in Sekunden gesperrt. Sind die anderen Flügel verstrahlt, existieren die Bewohner eines unverstrahlten Teiles für sich.

Informationen über den strahlenden Rest der Welt hätte es über Glasfaserkabel gegeben, die ältesten in Deutschland, Und über die riesige Antenne oben auf dem Berg. Wär die zerbombt worden, kein Problem, die zweite steckt sicher unter einer Betondecke in der Erde. Ein Knopfdruck, die Decke wäre aufgegangen, die Antenne automatisch ausgefahren. Irgendwo in der Nähe des Hubschrauberlandeplatzes.

180 Fahrräder stehen geputzt in den Ständern der zwei Fahrradräume. 180 Beamte sorgten im Schichtbetrieb dafür, dass in kürzester Zeit das Land von hier aas hätte regiert werden können. Inzwischen sind es 50, die anderen wurden versetzt oder verrentet. Noch immer stehen die 180 Fahrräder rum. Aber: Im Ernstfall durften sie nicht benutzt werden. Nicht mal bei Übungen. „Ist doch klar, die Anlage ist zwar riesig, aber wenn hier 3000 Leute drin sind, dann ist es gefährlich, in den engen Gängen rumzuradeln.“ Werner Czeratzki redet immer wieder im Präsens. So, als könne es gleich losgehen mit dem Atomkrieg. Gelegentlich merkt er es, und er sagt dann: „Wir haben hier nur Unikate, keine Wartungsverträge, alles machen wir selbst. Lauter Fachleute hier.“ Kurze, peinliche Pause. „Das heißt: Früher war das so.“ Oder: „Tschuldigung, es heißt natürlich nicht, wir haben nur das allerbeste Material hier unten, es muß heißen, wir hatten. Das meiste ist jetzt schon draußen. Nur Stahlmöbel, Schränke, Tische, alles aus Stahl für die Ewigkeit.“ Er scheint jedem Metallmöbel nachgeweint zu haben. Schräder erklärt: „Wir verwerten möglichst alles. Hilforganisationen bekommen billig Ausrüstungsteile.“ Nach Kuba gingen 3000 Matratzen. Das Rote Kreuz holte sich Schreibtische. Teile der Großküchen sind bei anderen Hilfsorganisationen gelandet. Zahlen begeistern Czeratzki: 19 Kilometer Tunnel, 83 000 Quadratmeter an Nutzfläche. 936 Schlafräume, 897 [40] Büros, ein Friseursalon, fünf Kantinen, eine Tischtennisplatte, fünf Kommandozentralen, fünf Krankenhäuser, eine Druckerei. Jeden Tag wären hier neue Karten gedruckt worden, damit die wichtigen Männer immer genau gewußt hätten, wo heute der Ostblock ist, wo die Amis stehen, was die Bundeswehr da oben in der verstrahlten Luft so macht.

25 000 Türen und dicke, richtig dichte Tore, riesige Steinrollen, die mit Druckluft in die Öffnung gesetzt werden. 25000 Türen und Tore? „Jawoll, ich hatte die Schlüssel für alle.“ Daraufscheint er fast so stolz zu sein wie auf den Beton; „Wir haben den allerbesten Beton genommen, den man kriegen konnte, B 300, mehr Eisen als Beton drin.“

Am Eingang ein Stander mit Broschüren des Beamtenbundes, zuständig für die Bunkerbelegschaft. Und zur Sicherheit ein großes, schwarzes Schild mit weißen Buchstaben; Vorsicht auch jenseits der Grenze. Den Verrat Hebt man, den Verräter nicht.“

Einige der Stollen im Berg haben Geschichte, sie waren vor Beginn des Ersten Weltkrieges als Eisenbahntunnel geplant, um Truppen schneller Richtung Frankreich bringen zu können, jedoch nicht rechtzeitig fertig geworden. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Tunnel anders genutzt: Insassen der Außenstelle Rebstock des KZs Buchenwald bauten unter SS-Aufsicht V2-Raketen zusammen. Und einige der Tunnel wurden auch ab Luftschutzstollen von den Marienthalern genutzt.

Der Bau begann 1960. Die Nato verlangte es so, ihr neues Mitglied Deutschland West brauchte auch einen Regierungsbunker. Fünf Jahre später war das erste Fünftel fertig. Bis in die späten 70er Jahre wurde vergrößert und verbessert. Alle zweijah-re der Ernstfall geübt in. diesen Wänden aus dem damals bestmöglichen Beton. 60 Zentimeter dick, ummantelt von Bitumen und Glasfaser.

Czeratzki beschreibt die Übungen als Mischung zwischen Landschulheim- und Nervenklinik-Aufenthalten. „Da wurde ganz schön gesoffen. Wir hatten schon unseren. Spaß.“ Und: „Da zeigt sich dann das wahre Ich, man saß da ja ganz dicht aufeinander, keine großen Ausweichmöglichkeiten.“ Die Verpflegung während der Übungen sei gut gewesen. „Die Marine hat immer gekocht, da gab es keine Beschwerden. In solchen Situationen ist die Verpflegung von großer Bedeutung. Besonders psychologisch gesehen.“

Einer der Räume für Bundestagsabgeordnete: Vier Personen hätten hier in zwei Stockbetten gelebt, an den kleinen Tisch härten höchstens drei gepasst, die Spinde nehmen zuviel Platz weg, um alle Stühle um den Tisch stellen zu können. Der Abstand zwischen den Hochbetten ist ein Meter zwanzig. „Frauen und Männer waren bei den Übungen streng getrennt. Im Ernstfall hatte das auch gegolten. Es gibt Frauenräume und Mäniierräume.“ Ordnung muß halt sein, will Czeratzki damit sagen. Und dann macht er gar einen Witz: „Die wären ja nicht zum Vergnügen hier gewesen“. Sofort wird er wieder ernst: „Es wären nämlich nur die Leute reingekommen, die gedurft hätten, keine Familienmitglieder.“

In einem Raum voller Maschinen gerät Czeratzki meine seltsame, nur von scinem deutschen Beamtentum ein wenig gebremste Ekstase. Er deutet auf die Superfilter und erklärt viel zu laut, wie Luft angesaugt und gereinigt worden wäre. So, wie er das beschreibt, vermittelt er den Eindruck, er würde ein sinnliches Gedicht mit Gcnußaufsagen-Scinc Stimme ändert sich, seine Augen sind halb geschlossen, der Kopf erhoben: „Diese Gange gehen sechzig bis siebzig Meter nach oben, knicken rechtwinklig ab, dann ein neunzig Meter langer Schacht, nochmal fünfzehn Meter quer, dann zehn bis fünfzehn Meter wieder senkrecht hoch, je nach Oberfläche.“

Wenn er überakkurat erklärt, was im Falle eines Atomkrieges hier im Berg technisch abgelaufen wäre, dann wirkt er manchmal wie ein Oberbürokrat, so schrecklich gründlich, schematisch, formalistisch, pedantisch- Dann kippen plötzlich alle Eigenschaften des Werner Czeratzki, und er, die Verkörperung von deutschen Sekundärtugenden, erscheint plötzlich als Anarchist. Die Welt mag zwar verrecken, aber das Linoleum hier unten wäre auf alle Fälle sauber gewesen.

Basaltsandfilter, Schwebestoffilter, Aktivkohlefilter. Alle Luft, die nicht belastet ist, kann gefiltert und wiederverwertet werden. „Bloß nicht die aus den Toiletten und Nassräumen.“ In einem feuchten Raum zieht es. An der Innenseite der Stahltür steht: „Achtung! Starker Luftdruck in wechselnden Richtun- [41]en. Die Bunkermänner nannten diese Höhle intern den „Erkältungsbereich“. Czeratzki klatscht auf schwarzes Metall, deutet auf Behälter. „Diese Hochdruckkoniprossoren schließen alle Stahljalousicn der Luftschächte in nur 30 Millisekunden“. Er wiederholt: ,30 Millisekunden.“ Und noch einmal: „30 Millisekunden, kann man sich kaum vorstellen.“ Ein eiskalter, „U-Boot“ genannten Raum, die Betonwände marineblau. Hier drin wäre es im Ernstfall radioaktiv, die Leute rmissten in Schutzkleidung arbeiten.

Gleich daneben flache Räume, in denen es nach Hafen riecht. Öltanks, randvoll mit Diesel, der wie Heizöl verbrannt worden wäre, um die Aggregate anzutreiben. „Mit Sondergenehmigung, steuerbefreit.“ Alle Gänge haben Bügen voller Rohre und Kabel unter Stahlgittern, überall Zwischenschotts und Räume mit Kabelsträngen. Als wäre der Bau von der Raumstation eines Science-fiction-Films inspiriert worden. Aber eher „Aliens“ als „Raumschiff Enterprise“.

Für alle lagen Schutzmaske und Taschenlampe bereit, stand ein Feldbett mit Bundeswehrmatratze zur Verfügung. Seelischen Beistand, Wärme wohl, hätte es für die Christen im Berg gegeben; Einer der engen Räume war fiir ökumenische Gottesdienste eines Militärkaplans hergerichtet worden. Bauwerk 6 Raum 08: Hier hätte der Kanzler gelebt. Zwei mal drei Meter, Linoleumboden, die Wände mit schallschluckendem, gelochtem grünen Metall verkleidet. Ein Feldbett, ein Spind mit zwei Kleiderbügeln.

Das Telefon steht auf dem Boden, drei Rufnummern sind gespeichert, Zi 9, Zi 9b und Zi 10: das Kanzleramt, die drei Räume auf der Linken. Auf der anderen liegt des Kanzlers Mini-Bad. Sichtaus wie im Asyl bewerbe rhe im. Die Dusche hat etwa einen halben Quadratmeter Fläche. Um den üblichen Fragen zuvorkommen, sagt Czeratzki: „Kanzler Kohl war nie hier drin, bei den Übungen gab es einen Ü-Kanzler. Ü steht für Übung.“ Er sagt das, weil jedem sofort klar ist, dass Kohl nie in die Dusche gepasst hätte. „Überhaupt, ein Kanzler war hier nie drin. Auch Minister ganz selten. Und wenn…“ Er hört auf zu reden und geht weiter, einen langen Gang entlang. Was heißt das? „Ich sag es mal so, der einzige, der sich in der Kantine angestellt hat wie alle anderen auch, das war der Verteidigungsminister Leber. Das hat dem viele Sympathien gebracht hier bei der Belegschaft.“

Welche anderen Minister waren denn hier drin? „Keine Namen, meist kam ja doch ein Ü-Minister.“ So, wie Czeratzki das sagt, ist klar: Die Jungs im Berg kamen sich etwas verlassen vor. Tagein, tagaus hier drin, nur alle zwei Jahre bei den Manövern etwas Aufmerksamkeit. Dabei waren sie es doch, die das Überleben der Verfassungsorgane bei einem Atomkrieg garantiert hätten. Professionell, verbeamtet, schnell, preußisch. Ohne zu fragen und ohne zu hinterfragen. Czeratzki taut mal wieder kurz auf: Der Bunker sei Beweis fiir Westdeutschlands wahrhafte Demokratie. „Ich hab mir Bunker in Ostdeutschland angeschaut, mit holzgctäfelten Honnecker-Räumen, der reinste Luxus, Riesenräume für die Oberen. Hier im Bunker wären alle gleich gewesen.“ Wie zur eigenen Beruhigung greift er in den Kanzler-Spind, holt einen Besen raus.,Jeder hätte hier seinen Raum selbersauber machen müssen. Jeder! Ganz demokratisch.“

3000 überleben, der Rest nicht – ist das demokratisch? Darüber will er nicht sprechen, nicht mal nachdenken. „Rein philosophische Frage.“ Ist und war er nie für zuständig. „Da kann man sich schon den Kopf darüber zerbrechen, aber was bringt es?“ Weitergeht es: Die Tore hier sind aus dickem Stahl, an jeder Ecke ist ein Rad aus Metall, alle vier müssen offengedreht werden. Das dauert. Erfreut über die Ablenkung, eilt Schräder Czeratzki zu Hilfe. Beide schuften, dann endlich lässt sich die Tür öffnen. „Die wäre dicht gewesen“, befindet Schräder. Czeratzki nickt stolz. In den Kantinen wären in den Anfangstagen des Atomkriegs noch Zeitschriften verkauft worden. Alkohol hätte es gegeben - natürlich gegen Bezahlung. Alles war korrekt abgelaufen. Vorbei. Auch die Bundeswehr karrt ihr Zeugs so nach und nach ab. In den Lageräumen hängen noch Landkarten. „Sowjetische Besatzungszone“ steht da. Und „Gebiete unter fremder Verwaltung“. Damit sind Teile Polens gemeint.

An der Wand ein einsamer Metallschrank, voll magnetischer Panzer-, Flugzeug-, Hubschrauber-Miniaturen, dazu große und kleine Pfeile in verschiedenen Farben für die Truppenbewegungen droben in der Welt. Alles hätte funktioniert. Da ist sich Czeratzki sicher. Ein Mann vom Roten Kreuz hatte vorhin, noch keine 15 Meter im Berg, einen klaustrophobischen Anfall. Sollte Feldbetten anschauen, die könnte das DRK vielleicht noch brauchen. Musste schnell rausgebracht werden. Joachim Schräder machte das routiniert. „Nicht der erste“, sagt Werner Czeratzki.

Atomkrieg und Platzangst. Was dann? „Kein Problem“, Czeratzki geht weiter in den Berg, „Schleusen“. Schleusen? „Ja, Schleusen“ und erklärt noch ein paar hundert Meter weiter: Die panische Person wird vor ein Tor gesetzt. Dieses schließen. Das Außentor auf. Das Problem wäre draußen in der Welt.