Elefanten-Transport
Nach der Siegerehrung reißt Prasop Tipprasert die Hände hoch, lacht anders als er sonst lacht. Er hat ja oft gelacht in dieser Woche. Nun ruft er „I am free. I am free.“ Ein fragender Blick, es bricht aus ihm raus: „Das hier ist Luxus-Leben, nur Spiel. Das wahre Leben ist woanders.“ Wo? „Willst Du es kennenlernen?“ Ja. „Ist gefährlich. Heute Nacht werden die Elefanten abgeholt. Nach Surin. 20 Stunden Fahrt im Truck. Der ist offen. Ihr müsst mit den Elefanten hinten rauf, im Regen. Sonst gibt es keinen Platz. Aber es wär wirklich.“ Ok. „Seid um Mitternacht hier.“ Er schaut zweifelnd. Für Prasop bin ich einer derer, die nur gespielt haben, Elefantenpolo. Dekadenter Luxus.
Das Turnier in Hua Hin am Golf von Siam, der Sommerresidenz des Königs von Thailand, gesponsert von einer Whiskyfirma, war gut getimed. Während der Spiele hat es kaum geregnet. Aber ab jetzt ständig und viel. Wir, Marcus, Fotograf und ich, sind am Treffpunkt um Mitternacht. Es ist niemand da, mit dem wir reden können. Mr. Mu, Mr. Lee, einige andere, lächeln, nicken, sonst keine Kommunikation. Eine seltsame Nacht. Die Sonne geht gerade auf, als wir endlich Prasop Tipprasert ans Mobiltelefon bekommen. Er ist auf dem Weg nach Lampang, die ganz andere Richtung, mit zwei Babyelefanten. Er sagt: „Ihr wolltet das wahre Leben kennenlernen. Ich kenn es schon. Ich fahr heim.“ Oh? „Warte, die Trucks werden kommen.“ Wann? „Keine Ahnung, morgen, übermorgen. Geduld.“ Prasop kündigt an, Kollege Prakorb Chamnankit werde vorbeischauen. Wir warten drei Tage.
So fing es an: beim Elefantenpoloturnier in Hua Hin spielten eine Woche lang reiche Menschen Elefantenpolo. Engländer vor allem, Australier, Deutsche, Franzosen, ein paar Amis, einige Thailänder. Söhne oft die ein exklusives Hobby brauchen, was ganz Skurriles, um zu zeigen, dass sie reich sind. Und besonders. Es ist lustig. Die Einnahmen sind für das Elefantencamp in Lampang, eine Stiftung im Norden. Jedes der sechzehn Dreimannteams spendet 10000 Dollar. Das Hotel gibt 40 Prozent seiner Einnahmen, die Nacht kostet 300 Dollar, dem Elefantenfond. Die Tiere kommen aber aus Surin, gehören Farmern wie Mr. Lee.
Einmal landet der Armeehelikopter hundert Meter weit weg vom Spielfeld. Prasop Tipprasert, rund, lustig, quirlig, sorgt schnell dafür, dass das Spiel unterbrochen wird. Die Elefanten sammeln sich in der Mitte des Spielfelds, stehen im Kreis, berühren sich gegenseitig mit den Rüsseln. Fürchten sich wohl, trösten sich, warten. Erst als der Hubschrauber wieder weg ist, sind sie bereit weiterzuspielen. Das war der schönste Moment beim Elefantenpolo. Das Elefantengemeinschaftsgefühl wirkt auch bei den Menschen. Der Moment ist herzergreifend, zum Weinen sentimental.
Gesponsert wird das Turnier von einer Whiskymarke. „This is the Chivas life“ ist oft zu hören. Prasop Tipprasert ist der Ober-Mahout. Auf seiner Visitenkarte steht: Mahout and Thai Elephant Development Education College, Lampang. Er trägt die Verantwortung für die Elefanten, heuert die und ihre Mahouts an, erklärt denen die Spielregeln, begutachtet die Elefanten. Er macht das im fünften Jahr, gehört dazu, bekommt die Whiskys in die Hand gedrückt, schläft im Resort, nicht in den Zelten. Im Gegensatz zu den Mahouts, die mit den weißen Männern und Frauen nichts, gar nichts zu tun haben. Außer dass sie die Elefanten lenken, mit einem Polospieler hintendrauf. Und die Frauen sind die Shitkeeper.
Sie rennen während des Spiels zu zweit mit einem großen Bastkorb aufs Spielfeld und sammeln den Elefanten-Dung, fußballgroß und -förmig, der ständig irgendwo landen, auf. Sie bekommen umgerechnet knapp zwei Euro dafür, am Tag. Und ab und zu ein Danke schön. John Claytor, ein Ami, der mitspielt aber auch gerne am Mikro kommentiert, ruft einmal laut: „Applaus für die Shitkeeper. Die Ladies machen einen Klassejob.“ Alle klatschen. Die Frauen, die gerade den schweren Bastkorb vom Feld schleppen, freuen sich. Sind sich der Würdelosigkeit des Ganzen nicht bewusst. Nur Prasop Tipprasert verzieht das Gesicht. Ich auch und stehe da gerade in seinem Blick. Von dem Moment an, vom Nachmittag des zweiten Tages an war er anders zu mir, er, der mich nun das wahre Leben erleben lässt.
Weit nach Mitternacht. Tiefer Schlaf. Plötzlich Schreie. Wer rüttelt heftig an meiner Schulter. Bis hierher nur Langeweile, ab jetzt geht alles schnell. Mr. Lee im Feldbett nebenan hat das Moskitonetz zur Seite gezogen, fuchtelt mit der Taschenlampe herum. Seine eigentlich schmalen Augen wirken groß, Schweiß steht auf seiner Stirn, dem Faltenmeer. Das weiße, ärmellose T-Shirt klebt ihm am Leib. Seit zwei Tagen und Nächten prasselt der Tropenregen durch die Decke des großen Zeltes. Alle hier sind nass, nassgeschwitzt und nassgeregnet. Es ist Sommer in Thailand. Regenzeit. Mr. Lee, aufgeregt, ruft: „Truck! Truck!“
Die Elefanten werden endlich abgeholt. Es wird Zeit. Die Elefanten müssen heim. Nicht, dass sie leiden, eigentlich geht es denen gut auf dem riesengroßen Militärgelände. Sie sind im dschungeligen Teil, haben zu fressen. Manchmal sind sie zu hören, wenn sie trompeten. Immer wieder auch mal gibt es Patschpatsch-Geräusche. Wenn ihre Ohren an ihre Schädel klatschen. Die Nacht zuvor kamen zwei zum Zelt, einfach nur neugierig. Das war das einzige Mal, dass die Kröten und Frösche ruhig waren. Gestern Mittag, es regnete kurz mal nicht, war feuchtheiß, der Boden dampfte, zeigte Mr. Mu mir die einzelnen Elefanten, nur Weibchen. Alle 34 Elefanten hier sind weiblich. Männchen wären zu aggressiv für Elefantenpolo.
Heute ganz früh am Morgen war Prakorb Chamnankit vom Elefant Village, einer Stiftung, für zehn Minuten da. Endlich. Zum Glück. Er kann englisch. Hat wenig Zeit, denn er verteilt die Schecks. 10000 Baht gibt es für jeden Elefanten, der die eine Woche Turnier mitgespielt hat. Etwa 200 Euro. Die Transportkosten übernimmt auch die Turnierleitung. Prakorb erzählt, die Elefanten wollen heim. Man spüre das doch. Ihr Verhalten ändere sich. „Home sick, Home sick“, sagt er. Wir sollen uns an Mr. Lee halten, dem gehören drei der Elefanten. Er, Prakorb, bleibe hier. „Wird kein Kinderspiel.“ Nun lacht er. Sagt, er habe wegen der Trucks telefoniert. Die kommen. „Haltet Augenkontakt mit Mr. Lee! Sagt coffee, wenn ihr auf die Toilette wollt.“
Mr. Lee und Mr. Mu haben die Elefanten oft zu den Wasserschläuchen gebracht, die Hähne aufgedreht, Eimer und Wannen gefüllt. Nach dem Elefantenpoloturnier war das hier so was Ähnliches wie Elefanten-Holiday-Camp. Nichts zu tun. Gutes Futter. Die Tiere im Gestrüpp. Sie schlafen stehend, nur die Kleinen liegen. Sie wälzen sich im Schlamm, haben immer Dreck auf dem Schädel und dem Rücken. Hilft gegen die Sonne, denn wenn es nicht regnet, knallt die. Einige Elefanten hab ich gar nicht mehr gesehen in den letzten drei Tagen beim Warten auf den Transport. So lange reden wir schon nicht. Überall Hunde, Fliegenschwärme.
Jetzt aber. „Truck! Truck!“ Aufregung, Hektik. Lee und Mu packen eilig ihre Säcke voll, Frauen rollen Matten zusammen. Nur kurze Eindrücke gibt es bei dem wenigen Licht, dem hohen Tempo. Aber klar ist, einige Mahouts schlafen noch auf den von der Armee gestellten Feldbetten. Greife Mr. Lee an die Schulter, deute mit dem Blick auf die Schlafenden. Er sagt: „One Truck, one Truck.“ Hält ein Handy hoch. Da! Der Motor ist zu hören. Die Scheinwerfer zu sehen. Tatsächlich. Wir werden die Elefanten heimbringen. Es regnet brutal. Durch die Zeltplane tropft überall das Wasser. Die Mahouts sind Besitzer der Elefanten, manchmal aber nur die Führer, dann heißen sie offiziell Salalis, Diener. Aber jeder nennt sie Mahouts. Klingt ehrenvoller. Einen Elefanten zu führen, ist schwer, man braucht sein Vertrauen, muss quasi mit ihm alt werden, von klein auf dabei sein. Elefant und Mahout, das sei was Ähnliches wie eine Ehe, ist der Spruch, den Prakob und Prasop gesagt haben, den später Lee radebricht.
Die sechs Männer und fünf Frauen in unserem Zelt, die zwanzig anderen in den beiden weiter hinten, alle aus der Provinz Surin im Nordosten des Landes an der kambodschanischen Grenze. Mit den Elefanten klappt die Kommunikation besser als mit den Menschen. Die tiefen dunklen Augen. Die Blicke. Düster, traurig, wissend, passend zur Stimmung. Als würden sie alles verstehen. Weise. Vor allem enttäuscht. Als Mensch liest man viel hinein in die Blicke, ahnt Ironie, Neugier, Tiefsinn, wo nur große Augen sind.
Der Truck, eine alte, klapprige Karre, Marke Hino, Viertonner, ist da. Mr. Mu sucht Suwanlau, die größte der Elefantinnen, knapp drei Tonnen schwer. Auf ihr saß der Schiedsrichter. Er findet sie schnell, hakt ihr den Takor, die gefährlich aussehende Eisenharke, mit der die Tiere angetrieben und gelenkt werden, ans Ohr. Er zieht daran. Redet mit Suwanlau. Alles problemlos, alles schnell. Suwanlau ahnt vielleicht, es geht heim. Sie zögert kurz, geht aber allein auf den Wagen, der vom Damm der Piste nach unten gefahren wurde, damit sein Heck fast auf Höhe des Weges ist. Mit Suwanlau kommt noch Mulrat, etwas kleiner, auf den Truck, dann das blaue Honda Wave Moped von Mr. Lee. Dazu ein paar Taschen, ein Pappkarton mit Kleidern, der am Ende der Reise wegen der Feuchtigkeit zerfällt. Der junge Sunga. Der alte Wahid. Der, extrem hager, sieht aus wie frisch aus einem Gangsterfilm, gefährlich. Aber er ist nett. Dazu Nurenta, die junge Frau von Sunga. Mr. Lee, die dicke, namenlose Frau von Wahid und Marcus, der Fotograf, sitzen vorne beim Fahrer. Wahid ist relativ alt, seine Frau auch, es ist ein Zeichen der Ehrerbietung, sie vorne sitzen zu lassen.
Das Elefantenladen im Dunkeln dauert keine zehn Minuten. Abfahrt. Zuerst nach Norden, nach Bangkok, auf der Schnellstraße, vorbei an Neon, Neon, Neon, im Regen, alle Farben, schrille Spiegelungen auf der nassen Fahrbahn, schnelle gelbe, rote, schrill blaue Eindrücke, Reflektionen, Huschen, Surreales, Schillern, ein Rausch. Wir fahren schätzungsweise 40 bis 60 Stundenkilometer, überholen viele. Durch die Lattenroste der Seitenverkleidung sind Dörfer zu sehen, Städte, wenige Autos, viele Mofas. Tempo. Prasop hat gesagt, es komme auf die Geschwindigkeit an. Elefanten mögen es nicht wirklich auf dem Truck. Nachts muss gefahren werden, weil die Sonne sie zum saufen zwingen würde. Gut, dass es regnet. „Schlecht für dich, gut für die Elefanten.“
Suwanlau, die links steht, hat Durchfall. Mulrat dagegen lässt nur alle zwei, drei Stunden, drei, vier fußballgroße Dungknödel plumpsen. Suwanlau aber ständig. Ihre sind giftig grün und matschig. Mulrats braun. Suwanlau ist unruhig, trippelt viel mehr, Mulrat steht oft ganz still. Ich sitze einen Meter hinter Suwanlaus faltigem Hintern. Wenn sie mit dem langen Schwanz wackelt, trifft sie mich manchmal mit den harten Borsten. Stört sie nicht. Immer wieder mal reiben sie sich den halbtrockenen Schlamm von den Schädeln und den vorderen Rücken mit den Rüsseln ab. Der Fahrwind schleudert die Brocken nach hinten. Sie stechen im Gesicht. Der Laster rattert, quietscht, hat schlechte Federungen, selbst die Schnellstraßen sind uneben, ab und zu tut es richtig weh. Stehen kann man nicht immer. Jeder fällt zwei-, dreimal hin. Es riecht anfangs nach Diesel, später nach Urin und Scheiße. Die Elefanten stehen mit dem Kopf zum Fahrerhaus. Wir Menschen sind hinter ihnen, hinter uns das blaue Moped. Je länger die Fahrt dauert, desto häufiger trippelt Suwanlau. Manchmal reiben sich die beiden Elefanten aneinander, der Truck schwankt dann leicht. Stark, wenn sie sich an den Seitenwänden reiben, was sie am zweiten Tag oft machen, aber immer nur, wenn der Truck steht. Jedes Mal wenn Suwanlau den Schwanz anhebt, rufen Wahid oder Sunga. Besser gesagt, sie schreien. Alle werfen sich nach hinten. Die Waden tun weh vom Dauerkauern in der Hocke. Zweimal hab ich Krämpfe. Weil überall Dung ist, kann man nirgends sitzen. Hunger.
Essen ist seit Tagen schon ein Problem. Am ersten Tag im Camp, es wird dunkel, kommt einer der Mahouts, Bun Mi, der jüngste hier, der einzige ohne Frau, lächelt und deutet mit der rechten Hand auf seinen Mund, immer wieder, Daumen und zwei Finger fast drin im Mund. Los! An den Zelten vorbei, an Sandsäcken der Schießstände, an Zielscheibengestellen in angedeuteter Menschenform, an drehbaren Metallgestellen für Nahkampfübungen. Sandsäcke, die da eingespannt werden, liegen auf dem Boden. Dafür hängt Wäsche der Mahouts im Regen. Alles, was Metall ist, ist rostig. Frauen kommen dazu. Wir stehen nun an einer der Wege im Militärgelände. Warten. Nach dreißig Minuten gehen wir zurück. Man weiß hier nie, warum was wann passiert. Alle lächeln. Bun Mi deutet auf seinen Mund, wackelt verneinend mit einer Hand.
Hunger. Später kommt er wieder, rennt. Ich folge ihm, die Frauen auch. Stehen wieder an der Straße, fünfzehn Minuten. Im Regen. Ich sehe ein Auto kommen. Aus dem Gebäude auf der anderen Seite kommen hunderte von Soldaten herausgerannt. Alle in Tarnkleidung, viele mit freiem Oberkörper, einige mit Pistolen an der Seite. Sie haben Vortritt, drängen sich um den Pick-up, dessen Ladefläche voll ist: Hähnchenfleisch, Reis, Fleischbällchen an Spießen, in Bananenblätter eingewickeltes Süßzeug, kleine, durchsichtige Plastikbeutel mit Gemüse, Kraut mit Zucker, Sprossen, Suppe. Ein alter Mann kassiert, eine Frau händigt das Essen in kleinen Beuteln aus.
Für 80 Baht, 1 Euro 60, gibt es viel scharfes Essen, genug für vier oder fünf scharfe Essen. Die Frauen lachen über die Ladung, die ich kaufe. Sie lachen, als ich das Gesicht verziehe auf dem Rückweg mit Fleischbällchen im Mund. Mit tödlich scharfer Soße. „Hot, hot“, rufen sie. Jedes englische Wort, das Thais sprechen, sagen sie zweimal, nie einfach „Truck“ sondern „Truck, Truck“ oder „Hot, hot“. Mehrmals im Chor, lachend. Es gibt nichts zu trinken. Mr. Lee deutet auf den Wasserhahn. Nein. Mr. Mu ahnt irgendwann das Problem. Wir: er, Marcus mit den Kameras, Taschen, dem Rucksack, Mr. Mus dreijähriger Sohn, ich, fahren mit Mr. Lees Mofa zu einem Kiosk. Drei, vier Kilometer, keine Straße, ständig setzen die Stoßdämpfer auf. Am Kiosk gibt es Plastikflaschen mit Tee und Wasser. Mr. Mu kauft für umgerechnet 90 Cent eine Flasche Schnaps und trinkt die. Schneidet mit seiner Machete eine kleine Plastikwasserflasche zu einem Becher. Dann will er reden, redet auch, gestikuliert, lacht, redet, redet, redet. Am Ende wissen wir er heißt Mr. Mu, hat Frau und Sohn, einen Elefanten, wir sind german, groß. „Studied? Studied?“ Ich versteh nicht. „University? University?“ Ich nicke. “Computer? Computer?” Seine Frau erklärt etwas der Frau, die dazukommt. Das Wort, das ich höre: „Computer, Computer“. Wenn es fällt, schauen sie mich an.
Mr. Lee hält sich raus. Kein Schnaps. Im Gegensatz zu den anderen raucht er auch kein Kraut aus dem Plastikbeutel. Die anderen holen sein Essen. Er ist älter. Er hat drei Elefanten. Klar, dass er in den ersten Truck steigt. Zeigt Dokumente, thailändische Schrift, dreimal zwei Blatt, mit seinen Passfotos. Elefantenbesitzerpapiere. Er ist stolz auf die. Geht davon aus, dass ich sie lesen kann. Klar, Computer. Ich schaue sie lange an, tue so. Er freut sich. Das ist bei ihm besonders auffällig, weil er sonst teilnahmslos wirkt. Seine Fingernägel sind kurz geschnitten, nur am linken kleinen Finger hat er einen langen Nagel. Im Truck sitzt er vorne beim Fahrer. Ich im wahren Leben. Mr. Mu fährt nicht mit, er darf mit Kula Lin, seiner Dicken, in den nächsten Truck, zusammen mit Mr. Lees dritter Elefantenkuh. Ich sehe Mu im Dorf wieder.
Die Fahrt: die Elefanten produzieren Dung. Wahid macht daraus eine Barriere, damit der Elefantenurin nicht zu uns fließt. Es regnet stark, und nach neun Stunden steht das Urinwasser so hoch im Truck dass es über die wadenhohe Barriere spült. Wahid flucht nicht. Ich schon. Wir spannen eine Plastikplane über den hinteren Teil der Ladefläche. Sunga repariert derweil den Damm. An den Rändern der Plane läuft Wasser herab. In ihrer Mitte sammelt sich Wasser, beult sie aus. Eine Stunde später ist es zu schwer, läuft vorne, nahe der Elefanten, runter. Die Schnur der Plane kann die Wassermasse nicht mehr halten. Sunga rammt mit dem Takor ein Loch in die Plane. Wir haben einen Wasserfall im Truck. In der Mitte des Menschenteils.
Einmal schlafe ich kurz, auf der Vespa sitzend, Sunga hinter mir, Rücken an Rücken. Wir halten. Durch die Lattenroste der linken Seite schimmert ein Tankstellenschild. Will runter, da fährt der Laster wieder an. Hänge draußen. Kann zurückschwingen über die Klappe. Lange Fahrt: Wir Männer pinkelen durch die Holzgitter des Lasters auf die Straße während der Fahrt. Nurenta, die einzige Frau auf der Ladefläche, in eine Schüssel, wenn ich das richtig sehe. Stopp an der Grenze der Provinz Surin. Hektisch springen die, die vorne sitzen, aus dem Führerhaus. Mr. Lee geht mit Papieren zur Bude des Veterinäramts an der Straße, holt die Stempel. Fünf Minuten Pause, die erste. Kurz hört es auf zu regnen. Die Elefanten reiben sich an den Seitenwänden, bei jeder roten Ampel, der Wagen wackelt. Einmal, an einer Ampel in einem Ort namens Kamoohindact, schießen die Rüssel hoch und schnappen sich Äste von Bäumen am Straßenrand. Holz knackt, der Baum wackelt, ein Ast fällt auf die Plane, mehr Wasser.
Gegen Mittag halten wir, essen an der Straße, Schweinefleisch, eigentlich Schweinefett, nur zu ertragen, weil es stark gewürzt ist. Fringe mein Hemd aus, krame die Geldscheine aus der Tasche, sie sind völlig durchnässt, nur noch Papiermatsch. Kein Zahlungsmittel mehr. Das Geld in meinem kleinen Rucksack ist feucht, aber noch Geld. Die Salalis und die Frauen kommen nicht zum Essen. Mr. Lee schüttelt den Kopf. Der Lastwagenfahrer sagt: No, no. Weiter. Hinten auf dem Laster will niemand die in Bananenblätter eingewickelten süßen Teigstückchen, die ich mitbringe, essen. Peinliche Situation. Wahres Leben. Am späten Morgen sind wir in Surim, fahren über mehrere Brücken, einmal dreht Mr. Lee vorne das Autoradio so laut auf, dass hinten der chinesische Song zu hören ist und Mr. Lees Klatschen. Er freut sich auf sein Dorf. Krapo Tatum hat vielleicht 200 Einwohner. Die sind stolz auf die Schule. Sie ist groß, auch Kinder aus Nachbardörfern kommen hierher. Die Elefanten springen fast vom Truck, trotten zu den Bäumen. Sie sind happy, machen Krach wie Diesellaster, lassen Äste knacken.
Zuhause bei Mr. Lee, seiner Frau, dem Teenager-Sohn, der nicht ein Wort sagt, dem kleinen Sohn, der nicht lacht. Essen auf dem Boden, schlafen auf dem Boden. Mr. Lee genießt es. Alle Leute des Dorfes kommen vorbei, schauen uns an wie was Besonderes, fragen „back of truck, back of truck?“ Wir sind Helden. Am frühen Abend sammeln sich viele im Matsch auf den flachen Holzgerüsten, reden, trinken Bier. Selbst Mr. Lee nimmt ein paar Schluck. Wir sind Hollywood, Entertainment. Geduscht wird mit einer Schöpfkelle hinterm Haus. Abends ziehen Frauen mit Wasserbüffeln und Kühen durch die Matschwege des Dorfes. Wenn es dunkel wird, ist Schluss, dann geht man schlafen in Krapo Tatum oder aber, man versammelt sich vor Mr. Lees Haus im Dunkeln. Mr. Lee muss einer der Reichen hier sein, er hat einen Pick-up, den einzigen. Er setzt, sobald er daheim ist, seine schicke Sonnenbrille auf. Führt mich zum Markt, wo ich für zwei Euro eine Hose, ein T-Shirt und ein Paar Flipp-Flopps kaufe. Hose, Schuhe, T-Shirt aus dem Truck werfe ich weg. Ich hatte einfach keine Ausrüstung für diese Geschichte, für das wirkliche Leben. Mr. Lee zeigt seine Grasflächen. Fährt uns mit Mr. Chen, Mr. Jam herum zu jedem Tempel, zu allen Schulen, Brücken.
Wir sind fast immer dabei, wenn ein Truck zwei Elefanten bringt. Die hauen sofort ab in die Wälder. Haben sich schon in Hua Hin kaum für Menschen interessiert, hier, in der Heimat, gar nicht mehr. Wir werden Mr. Lees Vater vorgestellt in Ban Sala, einem Nachbarort. Besuchen orange gekleidete Mönche in Ban Kha Po. Mr. Lee führt uns ins Restaurant am Fluss. Fisch, scharf, Bier, Karaoke. Mr. Chen singt mit viel Gefühl, in der richtigen Stimmlage, im Takt. Mr. Jam eher nicht so. Mr. Lee, würdevoll, gar nicht. Mr. Jam kann ein bisschen englisch, erklärt, dass ich dran bin. Im Katalog ist ein Lied mit englischem Titel, „Money, Money“. Das wird es. Ist aber leider nicht von Abba. Immerhin wird der Text auf englisch und thailändisch über den Fernsehschirm gejagt. Ich rappe den Song. Danach ist sofort Schluss mit Karaoke. Keiner sagt ein Wort.
Von Mr. Chen lerne ich, dass man für einen alten Elefanten etwa 2000 Euro zahlen muss, für ein Baby das Doppelte, es wird ja länger leben. Der Besitzer eines männlichen Elefanten bekommt 200 Euro, für einmal „Pam, Pam“, sagt Mr. Chen. Er klatscht mehrmals in die Hände. 200 Euro aber nur, wenn ein Baby geboren wird. Elefanten werden bis zu 80 Jahre alt, wenn ich die Finger und Hände richtig gezählt habe, ab 15 Jahren „Pam, Pam“. Mr. Chen will, dass Marcus Elefanten-Pampam fotografiert. Zwei Nächte muss er in den Wald. Vergeblich. Am letzten Abend suche ich Suwanlau und Mulrat. Suwanlau erkenne ich, sie mich aber nicht. Oder aber ich langweile sie. Mulrat entdecke ich nicht, sie ist so groß wie einige andere, für mich nicht mehr definierbar. Ein paar kleine Elefanten schauen mich neugierig an. Ab und zu sehe ich auch älteren in die Augen. Wieder dieser wissende, traurige Blick. Nach einer Woche bringen uns Lee, Mu, Chen, Jam im Pick-up dreißig Kilometer nach Surin zum Bus nach Bangkok. Zwölf Stunden Fahrt, mit Klimaanlage, ohne Elefanten. Das Abschiedsessen auf dem Markt: gehackte Hühnerleber, roh. Als wir in den Bus steigen, umarmt uns Mr. Lee. Sieht traurig aus. Sagt: „Come back, come back.“
In Bangkok: Telefonat nach Lampang. Prasop sagt er komme am Wochenende. Wir sollen uns unbedingt treffen. Am Sonntag in einer Bar: er lacht viel. Freut sich. Fragt viel. Ich höre raus: Er kennt Surin kaum. Aber stamme selbst vom Land. Das Leben dort ahnt er. Fragt nach Details wie Dusche, Essen, dem Markt. Will wissen ob wir während der Fahrt geschlafen haben. Einmal, ich hab ihm vom Dammbruch auf dem Truck erzählt, lächelt er, sagt „Shitkeeper“. Sagt, nein, er habe das nicht als Schocktherapie gedacht. Nichts bewirken wollen. Sagt aber mehrmals: „Das ist wahres Leben. Kein Spiel. Wahrheit.“